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Kiezreporter*innen: Lokal verortet und vielseitig vernetzt

Starke Stimme ist eine Reihe über Publikations- und Medienformate, die in Berlin-Mitte ansässig sind oder hier entwickelt werden. Mit Dominique Hensel und Susanne Torka werden zwei Kiezreporterinnen vorgestellt, die den Lokaljournalismus hochhalten. Sie sind verantwortlich für die Online-Formate „Weddingweiser“ und „MoabitOnline“.

Weddingweiser Dominique Hensel

Um Dominique Hensel zu treffen, sind mehrere Anläufe nötig: sie ist so eingespannt, dass die Zeitfenster wohlüberlegt vergeben werden. Umso schöner, als es dann doch klappt und das Arbeitstreffen in einen ausgedehnten kollegialen Austausch übergeht. Sich im Café zu treffen und dort zu arbeiten, gehört für Dominique Hensel zum Alltag: sie ist freiberufliche Journalistin und darüber hinaus in verschiedenen Projekten engagiert. Ihr Hauptaugenmerk gilt dabei dem Online-Format Weddingweiser, der neben Kieznews auch Veranstaltungstipps und Lokalgeschichte anbietet. „Das war wie ein Sechser im Lotto für mich“, lautet die Überschrift eines Artikels, in der die Bücherbox-Patin Cornelia Holl unter den Stichworten „Aus dem Kiez/Ehrenamt/Soldiner Kiez“ porträtiert wird. In einem weiteren Artikel wird unter dem Stichwort „Kultur“ auf das Kiezfest im Ballhaus in der Wriezener Straße am 2. Juli hingewiesen. Hensel berichtet wiederum vom „Anradeln“ im Sprengelkiez aus Anlass der Eröffnung der Fahrradstraße in der Triftstraße.   

2023 ist der Weddingweiser für seine engagierte Arbeit von den Goldenen Bloggern als bester Lokalblog ausgezeichnet worden. Das liegt nicht nur am hohen Turnus (jeden Tag erscheint ein Beitrag) und der Qualität der Beiträge (Hensel ist zum Beispiel ausgebildete Journalistin), sondern auch an der starken Präsenz in den sozialen Medien. Dennoch ist die Arbeit fast durchweg ehrenamtlich (Hensel bekommt zwei Stunden pro Woche für die Autor*innenbetreuung bezahlt, das Geld stammt aus Spenden). Das ginge nur, erzählt sie, weil sie viele Beiträge über das Lokalblatt Weddinger Allgemeine Zeitung querfinanzieren könne. Diese kostenlose Zeitung, die immer am letzten Donnerstag im Monat erscheint, gibt es seit fünf Jahren. Sie wird von Tomislav Bucec herausgegeben, einem geborenen Weddinger, der neben dem RAZ Verlag auch das Prime Time Theater betreibt. Hensel hat zum Treffen noch ein weiteres Magazin mit dem Titel brunnen mitgebracht, dessen Bürgerredaktion sie auch leitet. Dieses Magazin für das Brunnenviertel gibt es seit 2015 und wird unter anderem durch das Quartiersmanagement Brunnenstraße finanziert. Circa 20 Personen sitzen in der Redaktion, tragen zum Magazin bei und werden von Hensel angefragt, betreut und deren Beiträge lektoriert. Auch hier geht es um eine Mischung aus Tipps, Erfahrungsberichten, Historie und Kultur. Im Koordinieren von Beiträgen und Gastautor*innen ist Hensel also Profi. Was sie außerdem beherrscht: aus der Fülle von Informationen, diejenigen rauszugreifen, die interessant sind. „Alle zwei Wochen veröffentlichen wir unseren Nachrichtenüberblick mit sieben Meldungen, es ist jedes Mal eine Herausforderung diese auszuwählen. Aber mit der Zeit bekommt man darin eine Routine und einen Blick für das, was die Leser*innen interessiert – was nicht bedeutet, dass wir nur Gastrotipps veröffentlichen!“ 

Der Blog wurde 2011 von Joachim Faust gegründet, weil dieser, so erzählt es Hensel, im Wedding wohnte und sich wegen des damaligen schlechten Rufs öfter rechtfertigen musste. Der Blog bot ihm die Möglichkeit, auf die schönen Seiten des Stadtteils hinzuweisen. Hensel sagt, sie würden sich perfekt ergänzen: Während Faust hauptberuflich in der Verwaltung arbeite, sei sie seit ihrer Jugend journalistisch aktiv und bringe nicht nur journalistische Expertise, sondern auch ein großes und breites Interesse an lokalen Themen mit. „Die Themen, die wir behandeln, kommen in den großen Tageszeitungen kaum vor, wie zum Beispiel die Entscheidungen der Bezirksämter.“ Am Lokaljournalismus reizen sie zudem die Partizipationsmöglichkeiten und der direkte Austausch: „Wir sind immer offen für Gastbeiträge und bekommen viel Feedback auf unsere Beiträge.“ Hensel erzählt, dass sie im Kiez durchaus bekannt sei – und man merkt an der Freude darüber, dass sie mit Leib und Seele Kiezreporterin ist.

 MoabitOnline Susanne Torka

Die Tür zum B-Laden in der Lehrter Straße in Moabit steht offen und ist vollgehängt mit Veranstaltungshinweisen. Der B-Laden ist ein Nachbarschaftstreffpunkt, der auch die Redaktion von MoabitOnline beheimatet. Ich bin mit Susanne Torka verabredet. Sie wohnt seit den 1980er Jahren in der Lehrter Straße und hat den B-Laden in den 1990er Jahren mitgegründet (damals war die behutsame Stadterneuerung ein großes Thema in West-Berlin). Seit 2007, also seitdem es MoabitOnline gibt, ist sie zudem Teil der Redaktion des Online-Magazins. Sie schreibt regelmäßig Beiträge, aktualisiert den Veranstaltungskalender und betreut Gastautor*innen. Im Gespräch mit ihr wird schnell klar, dass ihre journalistische Arbeit und ihr Engagement für die Nachbarschaftszeitung eng gekoppelt ist mit ihrer Stadtteilarbeit und ihrem Einsatz für mehr Bürgerbeteiligung – und im B-Laden läuft alles zusammen. Hier befinden sich ein Arbeitsplatz und ein umfangreiches Archiv mit Unterlagen zu Bürgerbeteiligungsprozessen, Initiativen und Lokalzeitungen. Torka hat nicht nur bei den Initiativen wie dem Verein Moabiter Ratschlag mitgemacht, sondern auch bei den Lokalzeitungen wie dem Blickwinkel und dem stadt.plan.moabit, der dann zum stadt.plan.mitte wurde, mitgearbeitet. Torka ist damit zugleich Journalistin und Chronistin der Moabiter Stadtteilarbeit und gut bekannt mit Kolleginnen wie Ulrike Steglich. Diese hat lange Jahre das unabhängige Magazin Scheinschlag verantwortet und betreut seit 2011 die vom Bezirksamt Mitte herausgegebene Stadtteilzeitungen Ecke Turm- und Ecke Müllerstraße. Während Steglich für ihre Arbeit bezahlt wird, arbeitet das Redaktionsteam von MoabitOnline jedoch komplett ehrenamtlich. 
Gegründet hat die Zeitung Aro Kuhrt, der aber 2017 ausgestiegen ist und sich auf die Plattform moabit.net konzentriert hat. Neben Torka und Jürgen Schwenzel, die seit Anfang an dabei sind, gibt es noch einige weitere Autor*innen, doch Versuche, die Redaktion zu erweitern bzw. zu verjüngen seien langfristig wenig erfolgreich gewesen, berichtet Torka. Aus diesem Grund würden sie öfter Beiträge übernehmen oder Pressemitteilungen veröffentlichen. Beiträge von Gastautor*innen seien aber weiterhin willkommen.
Inhaltlich hätte der Fokus zu Beginn mehr auf Nachrichten gelegen, jetzt verstehe sich MoabitOnline als Plattform mit Veranstaltungshinweisen und Kommentaren zu lokalen Bauprojekten, Initiativen und Bezirksamtsbeschlüssen. Das spiegelt sich auch auf der Webseite wider: Auf der Startseite lockt ein Beitrag mit der Überschrift „Verstöße gegen den Milieuschutz ohne Folgen“ von Birgit Leiß vom 12. Juni, er ist zuvor im MieterMagazin im Juni 2023 erschienen. Der folgende Artikel informiert über „Ehrenamtliche Alltagsbegleitung für Seniorinnen und Senioren“ und wurde am 5. Mai veröffentlicht.

Neben Rubriken mit Veranstaltungen und Kommentaren gibt es zusätzlich die Untermenüs: „Moabit …“ und „Netiquette“, während auf Informationen zu MoabitOnline selbst verzichtet wird. Das Selbstbild changiert dabei zwischen Aufklärungsjournalismus und digitaler Geschichtswerkstatt. Torka berichtet von einem Fall, bei dem eine von Jürgen Schwenzel angeregte Recherche zum drohenden Verlust der von der Groth Gruppe, Investor des Mittenmang-Quartiers in der Lehrter Straße, für den Umbau der Kurt-Tucholsky-Grundschule in der Rathenower Straße zu zahlenden 3,3 Mio. Euro dazu geführt hätte, dass BZ und Tagesspiegel das Thema aufgegriffen haben. 

Neben den Online-Aktivitäten gibt es auch einen Newsletter, der alle zwei Wochen verschickt wird und in dem u.a. auf Beiträge über Moabit in anderen Zeitungen verwiesen wird.

Am Ende des Gesprächs weist mich Torka auf die aktuelle Ausstellung mit historischen Postkarten aus der Lehrter Straße hin. Auf ihnen sind das Poststadion und Fußballspieler zu sehen, der Hamburger und der Lehrter Bahnhof, aber auch Pferdekutschen mit Holzfässern, in denen Wein und Likör transportiert wurde. Beim Erzählen kann man Torkas Neugierde und Freude darüber heraushören, dass sich immer wieder neue Geschichten und Recherchevorhaben ergeben. Ein paar Stunden nach unserem Gespräch bekomme ich eine E-Mail mit Links zur Website bodenproben.org, auf der ein künstlerischer Rechercheprozess mit dem Titel „Urban Mining Moabit“ im Fritz-Schloß-Park dokumentiert wird inklusive Link zu einem Youtube-Video mit einem Zeitzeugin-Interview mit Ingrid Thorius (91 Jahre), das im Rahmen des Projektes durchgeführt wurde. Von Altersmüdigkeit keine Spur.

Text und Fotos: Anna-Lena Wenzel

Zuerst erschienen im Kultur Mitte Magazin: https://kultur-mitte.de/lokal-verortet-und-vielseitig-vernetzt/

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