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Im Gespräch mit Hanwen Zhang

„Es braucht viel Zeit und Einsatz, diese Prozesse in Gang zu setzen und zu begleiten“

In der Reihe „Community basierte Kunst“ geht es um Wege und Herausforderungen, Gemeinschaften zu bilden. Wie bringt man Leute an einem Ort zusammen? Wie ermuntert man sie mitzumachen? Wie hält man einen Raum und stiftet Verbindungen? Gemeinschaftsbildung hat ihren Ursprung oft in Aktivismus und Subkultur und ist Teil künstlerischer Praxen. Sie wird verstärkt von Institutionen angefragt, um das Publikum zu erweitern und sich lokal zu verorten, als Care-Arbeit ist sie jedoch häufig prekär bezahlt.

In der Waldstraße in Moabit befindet sich die Psychosoziale Initiative Moabit e.V., eine Anlaufstelle für psychisch erkrankte Menschen im Kiez, die hier verschiedene Angebote wahrnehmen können – von Beratungen, offenen Treffen bis hin zur Suppenküche. Die Initiative schafft Arbeitsmöglichkeiten für psychisch- und suchtkranke Menschen, die sich an den individuellen Interessen, Fähigkeiten sowie der Belastbarkeit der einzelnen orientieren.

Hanwen Zhang ist Künstlerin und Kuratorin und wohnt seit fünf Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Verein. Aus dem Anfangsimpuls, den Ort kennenzulernen und ehrenamtlich zu unterstützen, ist ein mehrmonatiges partizipatorisches Garten-Projekt im Jahr 2019 entstanden, bei dem sie sich zusammen mit Besucher*innen der Initiative und Anwohner*innen um ein kleines Beet in der Grünanlage unmittelbar vor den Räumen der Initiative gekümmert hat. Aus Anlass der Veranstaltung „How to grow the community? Zu Community basierter Kunst“, die Fragen nach Methoden und Formen der sozialen Teilhabe nachging, hat Hanwen Zhang die Zusammenarbeit mit der Initiative wiederaufgenommen. Für die Installation „Eine Einstellung zur Arbeit“, die im Fenster der Initiative bis zum 12.3.2022 zu sehen war, nahm sie sich des bislang unbeachteten Archivs des Vereins an, das die unterschiedlichen Tätigkeiten dokumentiert. Wir treffen uns vor Ort, um über ihre Arbeit und ihr Selbstverständnis als Künstlerin zu sprechen.   

Anna-Lena Wenzel: Magst du ein bisschen über deine Zusammenarbeit mit der Initiative erzählen? 

Hanwen Zhang: Ja, es fing damit an, dass ich hier oft vorbeigekommen bin, aber eigentlich nicht viel über den Ort wusste. Weil ich einige Menschen kenne, die mit psychischen Problemen zu tun haben, wollte ich die Initiative gerne unterstützen, auch um etwas mehr über psychische Krankheiten zu erfahren. Ich bin also eines Tages hin, habe mich vorgestellt und bin mit offenen Armen empfangen worden. Das Grundkonzept der Initiative ist es, Menschen mit Schwierigkeiten, die Möglichkeit zu geben, sich zu strukturieren, sie zu unterstützen und gemeinsame Aktivitäten umzusetzen. Ich hatte die Idee, zu gärtnern und dabei die Nachbarschaft einzubinden, um so die Möglichkeit für Begegnungen zu schaffen. Es gibt vor dem Haus einen Grünstreifen und wir haben von Grün Berlin zwei 1×1 Meter große Beete zur Verfügung gestellt bekommen. Dieser kleine Garten ist auch eine Metapher dafür, dass wir als Gemeinschaft wachsen können. Als dann in der Gruppe die Idee aufkam, beim Kunstfestival Ortstermin mitzumachen, wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, mir etwas zu überlegen, was mich sehr gefreut hat. Ich habe daraufhin zwei Künstler*innen eingeladen, Workshops durchzuführen: Gregor Kaspar führte Gespräche über Politik und Marisa Benjamin bot einen Zeichenkurs zur Sprache der Pflanzen an. Dabei sind auch Pflanzen, die im Beet gewachsen sind, zum Einsatz gekommen.

ALW: Hattest du eine Förderung oder hast du ein Honorar bekommen?

HZ: Nein, wobei es für die Workshops ein Honorar von der Initiative gab. Kristina Leko, bei der ich studiert habe, hat mal ein Seminar zu „Null Budget“ gegeben, das heißt, ich war darauf vorbereitet, auch wenn ich am Seminar gar nicht teilgenommen habe (lacht). Aber wenn ich so etwas Ähnliches noch einmal machen würde, würde ich auf jeden Fall versuchen, Förderungen zu bekommen.

ALW: Nochmal zurück zum Stichwort „Community basierte Kunst“. Was fällt dir dazu ein?

HZ: Es braucht viel Zeit und Einsatz, diese Prozesse in Gang zu setzen und zu begleiten. Ich verstehe mich eher als Initiatorin denn als Künstlerin. Es geht nicht darum, konsequent seine eigene künstlerische Idee zu verfolgen, sondern darum, andere anzuregen und anzustoßen. Gleichzeitig verstehe ich mich auch als Researcher. Oft sind Interviews Teil meiner Praxis. Für die Arbeit What connects us, is the same that keeps us apart, die ich in Wien realisiert habe, führte ich zum Beispiel mit mehreren Personen Interviews, die mir etwas über den Wiener Nordbahnhof erzählt haben. Das ist ein historisch aufgeladener Ort im Zweiten Bezirk, der früher stark jüdisch geprägt war. Heute verändert er sich durch große Neubauprojekte. Ich habe mit dem Direktor des Bezirksmuseums gesprochen, mit Mitarbeitenden vom dortigen Integrationsbüro und von Jane‘s Walk. [1]
Die Gespräche sind Teil einer mehrteiligen Installation. Ich verfolge dabei den Ansatz eines „speaking nearby“, den die Theoretikerin Trinh T. Minh-Ha entwickelt hat, was man übersetzen könnte mit: sprechen mit und nicht über die Menschen. Das impliziert, dass ich als Interviewerin sichtbar und hörbar werde. Es gibt keine neutrale Interviewerposition. Das gilt auch für die anderen Projekte und meine Filmarbeiten: ich möchte nicht, dass die Dargestellten zu Objekten meiner Arbeit werden, sie sollen Akteur*innen sein.

ALW: Du hast an der Universität der Künste Kunst im Kontext studiert. Inwieweit hat das deine Arbeitsweise geprägt?

HZ: Im Studium spielte der Kontext, in und für den die Arbeiten entstehen, eine wichtige Rolle. Ich habe mitgenommen, je nach Kontext unterschiedliche Methoden zu entwickeln. Zum Beispiel habe ich im Rahmen eines Workshops des Harun Farocki Instituts – das war dann schon nach meinem Studium – einen kurzen Film gedreht. Es ging um heutige Formen von Arbeit, die man in einer Einstellung festhalten sollte. Ich habe dafür einen Blumenladen im Bahnhof Turmstraße ausgewählt, der sich zwischen den Gleisen befindet und von einer vietnamesischen Familie betrieben wird. Die Szene ist statisch, nur die U-Bahnen fahren rein und raus. Ich finde es krass, dass die Frau den ganzen Tag kein Tageslicht sieht. Der Film heißt Blütenreich Underground. Er ist Teil meiner Recherche zu Post-Migration, in der ich einen besonderen Fokus auf Menschen lege, die aus Asien nach Berlin gekommen sind.

ALW: Dazu passt, dass du 2021 die Plattform Asian Feminist Studio for Art and Research zusammen mit Mooni Perry gegründet hast. Was ist euer Anliegen?

HZ: Die Plattform ist gedacht als experimenteller Raum für künstlerische Praxis und Wissensproduktion jenseits dominanter feministischer Narrative und nationaler Konstrukte. Wir haben uns verschiedene Formate überlegt wie EQUI-VOCAL, bei dem wir sieben Künstler*innen und Kollektive eingeladen haben, Arbeiten zu entwickeln und führen Interviews mit Kulturschaffenden, die Perspektiven aus der Diasporagesellschaft und aus „Dritte-Welt-Ländern“ in das „Zentrum“ einbringen (wie die Plattform Contemporary &). Dieses Jahr werden wir uns auf das kuratorische Projekt „Feminist Continuous Reading Group“ fokussieren, bei dem wir künstlerische Arbeiten mit feministischen Texten zusammenbringen und Künstlerinnen zum Round-Table einladen. Um unser Netzwerk stetig zu erweitern und uns auszutauschen, arbeiten wir mit verschiedenen Gruppen und Kooperationspartner*innen zusammen. Das ist auch eine Art Community-Arbeit, eine, die viel Zeit kostet. Vorausgegangen ist der Plattform meine Masterarbeit zu „Dritter Welt Feminismus“, in der ich versucht habe, die Dichotomien zwischen dem globalen Süden und Norden sowie zwischen den verschiedenen Feminist*innen aufzubrechen. Das möchten wir auch mit der Plattform erreichen: Kooperationen jenseits von identitären Zuschreibungen.

[1] „Jane’s Walks sind kostenlose, von Bürger*innen geführte Spaziergänge im Erinnerung an Jane Jacobs. Sie ermutigen Menschen dazu, Geschichten über ihr Grätzl zu erzählen, Städte zu erkunden und sich mit Nachbarn zu vernetzen.” www.janeswalk.at

Hanwen Zhang arbeitet interdisziplinär als Kuratorin und Künstlerin. Ihre Schwerpunkte liegen in der kritischen Epistemologie und Methodik im Zusammenhang mit feministischer und queerer Theorie. In verschiedenen Projekten und sozialen Interventionen geht es ihr um soziale Strukturen und darum, den politischen Subtext des Alltags offenzulegen.
www.hanwen-zh.com

Dr. Anna-Lena Wenzel ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.
www.alwenzel.de

Alle Fotos: Mizu Sugai

Zuerst erschienen im Kultur Mitte Magazin: https://kultur-mitte.de/es-braucht-viel-zeit-und-einsatz-diese-prozesse-in-gang-zu-setzen-und-zu-begleiten-im-gespraech-mit-hanwen-zhang/

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