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Das ist nicht Klaras Vermächtnis

Ingrid Thorius im Gespräch mit Susanne Torka

Als Du erfahren hattest, dass die Straße bei den Neubauten der Groth Gruppe nach Deiner Mutter Klara Franke, der Kiezmutter der Lehrter Straße benannt wird, hast Du Dich gefreut. Was denkst Du jetzt darüber?

Ich habe mich schon gewundert, dass ich nicht gefragt wurde. Es hieß, dass sie in Erwägung ziehen eine kleine Straße nach ihr zu benennen, aber über die Entscheidung wurde ich nicht benachrichtigt. Das Straßen­schild ist groß, aber es hat kein Geburts­datum und sagt nicht, wer Klara Franke eigent­lich war. Die Mieter, die dort wohnen, wissen das wahr­schein­lich gar nicht. Ich möchte auch gerne wissen, ob die Straße überhaupt ein­ge­weiht wurde, so wie es damals beim Klara-Franke-Spiel­platz war, mit Horst Porath, dem dama­ligen Tier­gar­te­ner Bau­stadt­rat.

Es ist zum Glück gelungen bei den Neubauten in der Lehrter Straße zumindest einen kleinen Anteil an geför­derten Sozial­wohnungen durch­zu­set­zen, die für durch­schnitt­lich 6,50 Euro/m² netto-kalt ver­mie­tet werden, aber die Miet­wohnungen, die an der Bahn­strecke liegen, werden für 17 Euro/m² netto-kalt ver­mietet. Solche Preise sind nicht einmal selten bei Neu­ver­mie­tung, z. B. wird im Stephan­kiez für ein neues Hinter­haus oder eine sanierte Wohnung im Altbau bei Akelius rund um 20 Euro/m² netto-kalt verlangt. Hast Du Angst vor Verdrängung?

Natürlich habe ich Angst vor Verdrängung. Ganz Berlin wird verkauft – den Urberliner gibt es bald nicht mehr. Am meisten fällt mir das auf, wenn ich mal Taxi fahre. Die jungen deutschen Taxifahrer kriegen den Mund nicht auf vor Diskretion, aber mir ist das zu distanziert. Nur mit türkischen oder andern Taxifahrern kann man reden und Späße machen, die sind integriert als Berliner.

Aber um auf die Miete zurückzukommen: ich kenne einige Leute, die in ihrer viel zu großen Wohnung bleiben, wenn ihre Kinder aus dem Haus sind, weil die Miete nach einem Umzug in eine 2-Zimmer-Wohnung genauso teuer, wenn nicht sogar teurer ist. Schwierig wird es, wenn z.B. JobCenter oder Grundsicherung die Kosten für die zu große Wohnung nicht mehr übernehmen. Und solche Mietpreise sind doch verrückt, wer kann denn 17 oder 20 Euro/m² netto-kalt bezahlen. Da müssen ja alle normalen Leute wegziehen, und mit der „billigen Prachtstraße“ ist es in der Lehrter dann wohl auch bald vorbei.

Deine Mutter hatte sich immer ein Hochhaus für Studenten gewünscht. Jetzt kommt gegenüber vom Poststadion-Haupteingang „The Fritz“ mit 18 Etagen und über 200 Mikroapartements mit Concierge-Service und allen Schikanen zur Geldanlage. Die werden bestimmt nicht billig vermietet und dürfen nur zwei Jahre am Stück bewohnt werden, das reicht nicht einmal für ein Bachelor-Studium. Auch an der Kaiserin-August-Allee sind Studentenappartements, die sogenannten Smartments entstanden, die 465 bis 520 Euro kosten für 17 bis 20 m², allerdings inklusive Möblierung, Strom, W-Lan usw. Was denkst Du über diese Bauprojekte?

So ein Hochhaus hat sich meine Mutter nicht gewünscht! Sie wollte bezahlbare Wohnungen für Studenten! Sie würde sich im Grabe rumdrehen, wenn sie wüsste, dass hier 24 m² Minibuchten für mehr als 5.800 Euro/m² verkauft werden, wie in der B.Z. stand. Sie sollen richtig teuer vermietet werden, bestimmt nicht an Studenten, obwohl Klaus Groth das Hochhaus zuerst als Studentenwohnheim angepriesen hatte. Da werden Leute einziehen, die kurzzeitig gute Jobs in der Stadt haben und Studenten nur, wenn sie aus einem sehr reichen Elternhaus kommen. Und was die Smartments betrifft, sind sie eher die günstigere Variante – mal abgesehen vom Studierendenwerk Berlin. Die haben auch sehr kleine Zimmer ab 9 m² und nur sehr selten eigene Kochgelegenheiten und trotzdem lange Wartezeiten von mehreren Semestern.

Noch viel verrückter finde ich diese Firmen, die ganze Wohnungen in Einzelzimmer aufteilen und dann jeweils für 500 bis über 600 Euro vermieten. Hier in der Stromstraße hat Medici Living sogar ein neues Hinterhaus dafür gebaut. Sie nennen das dann Wohngemeinschaft, obwohl sich niemand aussuchen kann, wer da einzieht. Auch im Neubau in der Klara-Franke-Straße 12 soll es mindestens so eine Wohnung von Agoora Living geben: 11 m² für 550 Euro, 14 m² für 590 Euro, 16 m² für 600 Euro und 19 oder 24 m² für 690 Euro. Das ist doch verrückt und dann wohnt man mit lauter zusammengewürfelten Leuten! Meine Mutter ist damals, als die Häuser in der Lehrter Straße leer standen, weil sie abgerissen werden sollten, in die Studentenkneipen nach Kreuzberg gegangen und hat sie eingeladen die Wohnungen in Besitz zu nehmen. Ob man mal wieder eine Hausbesetzerbewegung braucht?

Ich kenne eine Studentin, die hat lange eine Wohnung in Moabit gesucht. Ich hätte ihr sogar eine vermitteln können, aber der WBS-Antrag hat zu lange gedauert, da war die Wohnung schon weg. Jetzt ist sie am äußersten Rand von Spandau gelandet und sehr traurig darüber, dass sie so weit weg von ihrer Familie und ihren Freundinnen wohnt. Der ganze soziale Zusammenhang ist weg, alle Vertrautheiten muss man aufgeben, das kann auch für junge Leute schwierig sein.

Und wenn man als alter Mensch aus seiner Wohnung geklagt wird, ist es eine Katastrophe. Das Beispiel von Dr. Jürgen Rostock aus der Torstraße hat mich sehr erschüttert. Das Amtsgericht hatte entschieden, dass er mit 81 Jahren wegen Eigenbedarf ausziehen muss und keinen Härtefall anerkannt, er sei ja noch fit genug. Ein paar Monate später ist er gestorben. Aber es gibt jetzt eine Debatte, ob man Menschen über 65 besser davor schützen sollte, wie z.B. in Frankreich oder auch Dänemark. Das ist gut, obwohl ich nicht weiß, wen aus der Politik man noch wirklich ansprechen kann. Das erinnert ich mich an eine Veranstaltung zur Calvinstraße 21 in der Markthalle: die anwesenden Politiker haben den engagierten Rechtsanwalt Müller belächelt.

Verdrängung ist schlimm, das vertraute Umfeld, der Kreis von Nachbarn, Geschäften, Ärzten geht verloren. Wie sagt man: einen alten Baum verpflanzt man nicht. Aber auch für junge Menschen ist es schlimm, wenn ihre Wurzeln aus der Humuserde gerissen werden. Sie sollen dann im Sand neue Wurzeln schlagen. Wie soll das gehen?

Foto: Jürgen Schwenzel

Ingrid Thorius, 87 Jahre war Oberschwester im Krankenhaus Moabit und engagiert sich bis heute im Kiez an der Pritzwalker Straße für gute Nachbarschaft und insbesondere die Kinder (Portrait bei Kiezhelden in Moabit-Ost, Interview beim Ex-Berliner in englisch und Moabit TV 2017).

3 Kommentare auf "Das ist nicht Klaras Vermächtnis"

  1. 1

    Start der Wochenserie der Abendschau zum Thema Wohnen heute, das passt hier doch:
    https://www.rbb-online.de/abendschau/archiv/20180730_1930/6.html

  2. 2
    Lehrter Nachbarin says:

    Hier findet Ihr das Interview mit Ingrid Thorius in ihrem 92. Lebensjahr, das die Macher*innen des Projekts „Urban Mining Moabit“ im Dezember 2022 aufgenommen haben:
    https://www.youtube.com/watch?v=7pudh9lf5LE&t=13s

    Die ganze Webseite ist super interessant – am Anfang hatte ich mich schon gewundert, warum Bodenproben aus dem Trümmerberg Fritz-Schloß-Park entnehmen:
    https://www.bodenproben.org/urban-mining-moabit

  3. 3
    Ralf G. Landmesser says:

    Tja, liebe Ingrid, die Jahre gehen ins Land und wir gehen hier langsam zum Teufel.

    Mich hat jetzt eine RÄUMUNGSKLAGE am Wickel: man wünscht detick faadufte! Auch wenn das hier alles zum Himmel stinkt. Da würd selbst Kläre die Spucke wegbleiben…

    Wir leben längst auf ner Haifischinsel.

    https://moabitonline.de/37032

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