Heidestraße 45 – verpasste Chance
MacheR mag sich schon gefragt haben, warum dieses kleine etwas verwahrlost aussehende Wohnhaus in der Heidestraße 45 eigentlich noch steht – in dieser neu gebauten EuropaCity (, in der sich eben nicht alle Grundstücke in privatem Eigentum befinden, wie die hier verlinkte Webseite der Senatsverwaltung am Ende des ersten Absatzes behauptet). Das Haus wurde 1870 gebaut mit 24 Zimmern in 8 Wohnungen. Die historische Bauzeichnung zeigt eine solide klassische Ausstattung. Hier haben Menschen günstig gewohnt, am Anfang Beschäftigte der Eisenbahn mit ihren Familien, später Menschen, die sich mit Ofenheizungen oder Nachtspeicheröfen und wenig Komfort arrangieren konnten, dafür aber kleine Gärten im großen Hof und eine erträglich geringe Miete genossen. Zum Schluss, mindestens in den letzten 20 Jahren, wohnte nur noch ein Mieter im Haus, die anderen waren nach einem Wasserrohrbruch geflohen.
Christian Piechotta liebte seinen Garten, putzte die Treppe, wollte bleiben, obwohl er krank war. Er hat noch im Juni 2020, als der Block mit dem benachbarten Urban Loft Hotel im Bau war, über seinen Blick auf die Europacity berichtet (11 Min.), beim Offenen Kanal Europa. Und auch in der Radiosendung „Cashmere Talks Offener Kanal Europa – Live in Europacity #1: Europacity kenne ich nicht“ im Juli 2021 ist er dabei gewesen. Noch im Februar 2023 erschien eine Reportage über ihn in der Zeit.
Im Februar 2022 war eine Anfrage in der BVV Mitte nach dem Leerstand gestellt worden, zu der es dann hieß, es seien sogenannte „Negativatteste“ beantragt, aber noch nicht beschieden. Das sollte wohl heißen, dass ein Abrissantrag gestellt wurde. Im Sommer 2023 erreichte uns die traurige Nachricht: „Der letzte Bewohner der Heidestr. 45 ist im Juli gestorben. Herr Piechotta hat den Altbau in den letzten Jahrzehnten alleine bewohnt, das Treppenhaus und die Außenanlage in Schuss gehalten. Er war die heimliche Seele der Straße. Er fehlt.“ Mehrere Krankenhausaufenthalte waren vorausgegangen. Das Kohleschleppen war ihm im letzten Winter seines Lebens sehr schwer gefallen und auch der Garten verwilderte zusehends.
Und schon im August 2023 entdeckten wir das Schild des Bundeseisenbahnvermögen zum Verkauf des Grundstücks. 5,2 Mio. Euro ruft der Bund für das knapp 830 qm große Grundstück auf. Warum gab es keinen Vorkauf durch das Land Berlin oder den Bezirk Mitte? Das versuchte der Tagesspiegel herauszubekommen, leider ist der zunächst öffentlich zugängliche Artikel mittlerweile hinter der Bezahlsperre gelandet, doch sind die Zitate zu diesem Haus in der Moabit Crowd Map gesichert. Im Artikel ist davon die Rede, dass das Land ein Vorkaufsrecht gehabt hätte, aber nicht „zuschlug“, obwohl es das Grundstück günstiger bekommen hätte. Außerdem ist von 16 Wohnungen die Rede und nicht von 8. Bei einem so hohen Verkaufspreis ist nicht zu erwarten, dass das Haus stehen bleibt. So heißt es auch im Exposé des Bundeseisenbahnvermögens: „Auf Grundlage der bestehenden Festsetzungen [im Bebauungsplan] erscheint eine Neubebauung mit einem Büro- und Geschäftsgebäude realisierbar.“ Obwohl doch bezahlbarer Wohnraum dringend fehlt. Hier könnte ein landeseigenes Wohnungsunternehmen den fehlenden Wohnraum in der Europacity ein wenig verringern.
Deutlicher ist es im TAZ-Artikel von Uwe Rada zu lesen. Hier in einer kurzen Zusammenfassung: Das Vorkaufsrecht für Bundesimmobilien für das Land Berlin besteht grundsätzlich, wie in dieser Bundestagsanfrage von Oktober 2020 bestätigt wird. Auf Seite 3 ist hier bereits erwähnt, dass neben anderen Grundstücken wie dem Flughafen Tempelhof auch die Heidestraße 45 dem Land Berlin angeboten wurde. Danach sei das Interesse der landeseigenen Wohnungsunternehmen abgefragt worden – ohne Ergebnis. Im Februar 2023 hätte die Berliner Immobilienmanagement BIM dem Bezirk Mitte mitgeteilt, dass es kein Interesse der Wohnungsunternehmen gäbe. Das folgende Bieterverfahren blieb ebenfalls ohne Ergebnis, doch kann in dem aktuellen Verfahren das Vorkaufsrecht nicht mehr geltend gemacht werden. Baustadtrat Gothe (SPD) findet das bedauerlich, lässt aber prüfen, ob dem eventuellen Käufer ein Abriss genehmigt werden könne.
Und nicht nur die Heidestraße 45 ist in der Bundestagsanfrage erwähnt, sondern auch die Heidestraße 53/53a und Döberitzer Straße 1 in einer Liste über den damaligen Leerstand (auf S. 10).
Wie können wir uns den Vorgang zur Entscheidung über den Vorkauf der Grundstücke durch das Land Berlin innerhalb der Mühlen der Bürokratie vorstellen? Ein mögliches Szenario: Umfangreiche Listen werden verschickt, überarbeitete Mitarbeiter*innen reagieren nicht und irgendwann ist es dann zu spät. Hat sich da irgendjemand bemüht die Grundstücke zu identifizieren oder sogar anzusehen? Oder war das einfach Behörden-Ping-Pong?
Der Betroffenenrat Lehrter Straße hat kürzlich – noch ohne den TAZ-Artikel zu kennen – eine Anfrage an stadtpolitisch einschlägige Politiker*innen im Berliner Abgeordnetenhaus und in der BVV Mitte geschickt. Diese soll wohl zum Anlass genommen werden, Näheres über den Vorgang zu erfahren.
Eine noch nicht beantwortete Anfrage in der BVV Mitte zum Haus, Vorkaufsrecht und Preisgestaltung Bundeseisenbahnvermögen:
https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=12156