So können Sie mitmachen!

Lesekreise in Moabit

2023 sind mehrere Lesekreise in Moabit neu entstanden und ergänzen das bisherige Angebot der Heilandskirche (Literaturkreis mit Judith Göde, Di. 19. Sept., 17. Okt., 21. Nov., 15-17 Uhr) und vom Meerbaumhaus (Literaturkreis, Mo. 11. Sept., 17-20 Uhr, mit Widerspruch zum Untertext: 1. Mo. im Monat, 15:30 Uhr).

Jeden letzten Dienstag im Monat, 19-21 Uhr trifft sich der Anfang des Jahres von Klaus-Peter Rimpel und Stephan von Dassel ins Leben gerufene „Literaturkreis Moabit“ in der Kunststätte Dorothea der Dorotheenstädtischen Buchhandlung in der Turmstraße 5 (Eingang Pritzwalker Straße).

Ebenfalls einmal im Monat Mittwochs um 18:30-20:30 Uhr trifft sich das von den Moabiterinnen Carmen und Eva gegründete „Prosazimmer“ im KuKuMu in der Lübecker Straße 43. Kontakt über Instagram oder eine Mail an: prosazimmer@web.de.

Und dann gibt es mit einem etwas anderen Konzept seit Frühjahr auch noch das „rosarote Lesecafé“ von Nancy im Stephans, Stendaler Straße 9, jeden Mittwoch, 16:30-18:30 Uhr. Hier liest Nancy ihre Lieblingstexte vor, nimmt aber auch Vorschläge entgegen oder Teilnehmer*innen tragen ihre eigenen oder Lieblingstexte oder Gedichte vor.

Im Juli testete ich zwei dieser Literaturkreise oder Buchclubs und war begeistert über den intensiven Austausch unter den sehr unterschiedlichen Teilnehmenden.

Im „Literaturkreis Moabit“ suchen alle gemeinsam für das Gespräch im kommenden Monat ein belletristisches Taschenbuch mit nicht mehr als 300 Seiten aus, wobei sie auch auf aktuelle Themen eingehen. So haben sie sich zum Beispiel mit dem 1951 erschienenen Roman „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen beschäftigt, nachdem im März eine Lehrerin in Baden-Württemberg gegen die geplante Pflichtlektüre im Abitur protestierte, weil zu befürchten sei, dass viele Lehrer*innen nicht sensibel mit der damals üblichen und auch heute noch verbreiteten rassistischen Sprache umgehen können.

Am 25. Juli besuchte ich zum ersten Mal den „Literaturkreis Moabit“, allerdings leider ohne mich vorher erkundigt zu haben, welches Buch besprochen werden sollte. So hatte ich Andrej Kurkows „Ein Freund des Verblichenen“ nicht gelesen und konnte nicht mit diskutieren. Die Geschichte handelt von einem Selbstmörder, der sich nicht traut und deshalb über einen Freund einen Mörder engagiert und die Verwicklungen, als er dann doch anders entscheidet, weil er sich verliebt hat. Verfilmt wurde das Buch unter dem Titel „I hired a contract killer“ von Aki Kaurismäki.

Reihrum berichteten die Leser*innen über ihre Eindrücke, wie den anfänglichen Unwillen ein Buch über Selbstmordgedanken in den Ferien zu lesen, was aber durch den schwarzen Humor und die Selbstironie des depressiven Protagonisten aufgehoben wurde. Oder wie „schrecklich schön“ die Schilderungen des tristen Alltags, der grauen Umgebung und des tagtäglichen Einerlei in ihrer Vorstellung waren.

Auch wurden persönliche Schlüsselsätze ausgetauscht – wie die Episode über das Abiturtreffen: „denn nichts verbindet die Menschen mehr als eine gemeinsame Vergangenheit, sei es die Schule oder das Gefängnis.“ Ein Teilnehmer, dem die überraschenden Wendungen im Kontrast zu der Gleichförmigkeit des Geschehens ebenso gut gefallen haben, wie die leicht daher kommende aber dennoch in die Tiefe gehende Sprache und die Darstellung von universell menschlichen Erfahrungen, wie Angst vor dem Verlassen werden und Wunsch nach Beziehungen, gibt zu verstehen, dass er jetzt aber mal ein Buch lesen möchte, in dem die Menschen arbeiten und nicht nur herumsitzen und nachdenken.

Teilweise Unverstandenes konnte gemeinsam aufgeklärt werden oder blieb am Schluss offen. Sehr individuelle Leseerlebnisse wurden geteilt, Außenseiterpositionen haben es ein wenig schwerer, wie überall. Die Diskussionen wirken nur selten belehrend – eine nette Runde, in der auch neue Gesichter willkommen sind. Der nächste Literaturkreis Moabit findet am 29. August um 19 Uhr statt, Lektüre: „Daheim“ von Judith Hermann.  Und das ist vielleicht das einzige Manko, dass in der Einladung nicht das Buch, um das es gehen wird, angegeben ist.

Einen Tag später, am 26. Juli besuchte das „Prosazimmer“ im KuKuMu, gegründet mit Hilfe des Aktionsfonds des QM Moabit-Ost. Ein Buchclub für Lesebegeisterte in dem recht neuen Kultur-Café, das eine Gruppe junger Leute gegründet hat. Obwohl die Einladung hier schon den Buch-Titel enthielt, um den es gehen sollte, hatte ich „Die Diplomatin“ von Lucy Fricke leider auch nicht gelesen, was sich aber im Nachhinein nicht unbedingt als ein Fehler herausstellte.

Der Altersdurchschnitt der literaturbegeisterten Teilnehmenden war – wie zu erwarten – eher halb so hoch. Bei Kerzenschein und Räucherstäbchen, Knabberzeug und Obst leiten Eva und Carmen sehr charmant den Austausch über die Lektüre des vergangenen Monats. Auf Wunsch einer Teilnehmerin muss das Geräuchere bald wieder gelöscht werden. In Zweiergesprächen wird intensiv über den Text diskutiert. Dafür finden sich ganz locker die nebeneinander sitzenden Personen zusammen.

Die Aufgabe der Zweiergruppen ist, das Buch mit drei Worten zu beschreiben. Und das hört sich dann so an: unzusammenhängend – langatmig – unausgeschöpft (weil zu wenig hinter die Kulissen geschaut wurde) | enttäuscht – Thema interessant – zu viele Themen nur angeschnitten | statisch – nicht mitreißend – oberflächlich | Distanz – desillusionierend – viel Staatssymbolik. Nur eine Zweiergruppe, die sich beide als Leseanfänger outen und die Lektüre schwierig fanden, können eine positive Charakterentwicklung der Protagonistin erkennen. Den meisten Leser*innen war sie fast die ganze Zeit sehr unsympathisch. Einige hatten auf eine Politthriller gehofft und sind von der dahin plätschernden Story enttäuscht. Politischer Background taucht nur in Nebensätzen auf, wobei die Schilderung der Diplomatin in Istanbul langweilig, aber der Anfang in Montevideo „stark“ empfunden wird. Sie fragen sich, sieht so die Realität einer Diplomatenlaufbahn tatsächlich aus? Können engagierte Menschen in diesem Bereich gar nichts ausrichten?  Müssen sie so distanziert sein? Sie wundern sich darüber, dass der Titel auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Zum Schluss werden Punkte vergeben: maximal 2 von 5.

Und danach können alle noch selbst kreativ sein, Bilder werden gezeichnet mit Stiften, Pinsel, Markern. Die können mit dem Text zu tun haben, müssen es aber nicht. Schönes Papier und Material ist vorhanden. Und alle bekommen bunte Klebezettel zum Markieren der nächsten Lektüre. Überhaupt sind alle willkommen, sie müssen auch das Buch nicht unbedingt gelesen haben, einfach zuhören und sich inspirieren lassen. Ich ging nach dieser Veranstaltung auf jeden Fall beschwingt nach Hause.

Das nächste Prosazimmer findet schon am 23. August um 18:30 Uhr im KuKuMu statt. Besprochen wird dann der Roman „Fast genial“ von Benedict Wells.

Kontakte: Literaturkreis Moabit, Literaturkreis@posteo.de  –  Prosazimmer, prosazimmer@web.de

Nachträge:
Zum Literaturkreis Moabit am 26. September wird „Annie Ernaux, Erinnerung eines Mädchens“ gelesen und zum Prosazimmer am 27. September „Patti Smith, Just Kids“.

Beim Literaturkreis Moabit am 31. Oktober wird „Weinhebers Koffer“ von Michel Bergmann besprochen und beim Prosazimmer am 30. Oktober „Der Revolver“ von Fuminori Nakamura.

Am 28. November spricht der Literaturkreis Moabit über das Buch „Gertrudas Versprechen“ von Ram Oren und das Prosazimmer am 29. November über das Buch „Die Beichte einer Nacht“ von Marianne Philips. Im Dezember gibt es keinen Literaturkreis und auch kein Prosazimmer.

Der nächst Literaturkreis Moabit findet am 30. Januar 2024 statt. Es wird Max Frisch, Tagebuch 1946-1949 besprochen. Das nächste Prosazimmer am 31. Januar 2024 bespricht eine Neuheit auf dem Buchmarkt: „24 Wege nach Hause“ von Jenny Fagerlund.

Weitere Bücher zum Lesen und gemeinsam Diskutieren jetzt besser in den Kommentaren.

6 Kommentare auf "Lesekreise in Moabit"

  1. 1
    Susanne says:

    Das nächste Prosazimmer findet statt am 27. September. Buch zu lesen bis dahin: Patti Smith, Just Kids

  2. 2
    Nachbarin says:

    Dies Buch ist ja eine tolle Idee, nie davon gehört …. ich habe Patti Smith’s Musik in den 80ern sehr geliebt, auch den Ohrwurm „Because the Night“ … und jetzt noch mal nachgelesen. Wusste gar nicht, dass sie immer noch so aktiv ist.
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/patti-smith-102.html
    Hier ein tolles fast 1stündiges Feature – nur 1 1/2 Jahre alt, das ich mir daraufhin gleich angehört habe:
    https://www.hoerspielundfeature.de/die-poesie-der-patti-smith-anarchie-und-feuerspeiende-pferde-100.html

  3. 3
    Susanne says:

    Am 27. Februar 2024 bespricht der Literaturkreis Moabit Amoz Oz „Liebe Fanatiker – Drei Plädoyers“
    https://www.suhrkamp.de/buch/amos-oz-liebe-fanatiker-t-9783518428023

    und am 30. April den Nachwenderoman Lutz Seiler „Stern 111“
    https://www.suhrkamp.de/buch/lutz-seiler-stern-111-t-9783518429259

    Das Buch für den 26. März wird nächsten Dienstag gemeinsam ausgewählt.

  4. 4
    Susanne says:

    Das nächste Prosazimmer findet am Mittwoch, den 6. März um 18:30 Uhr im Kukumu, Lübecker Straße statt. Es wird „Farm der Tiere von George Orwell“ besprochen.

  5. 5
    Susanne says:

    Am Dienstag, 26.3. ist um 19:15 Uhr wieder Literaturkreis in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung, bis dahin möglichst gelesen:
    Heinrich Böll „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“
    Auch für die nächsten beiden Termine wurden die Bücher bereits festgelegt:
    Dienstag, 30.4. Lutz Seiler „Stern 111“ (528 Seiten, wegen der Osterfeiertage erschien uns ein so langer Roman ausnahmsweise möglich)
    Dienstag, 28.5. Michel Houellebecq „Serotonin“

    Es gibt also jede Menge Raum für Buchempfehlungen oder Buchwarnungen, bitte immer mit kurzer Leseprobe. Und auch für ein literarisches Schmankerl am Ende unseres Treffens gibt es genug Zeit, bringen Sie gerne etwas mit.

  6. 6
    Susanne says:

    Bis zum 17. April um 18:30 Uhr im KuKuMu esen wir ein zeitgenössiches Buch, welches 2022 erschienen ist: „Dschinns“ von Fatma Aydemir. Der deutsch-türkische Generationenroman ist der zweite veröffentlichte Roman der deutschen Schriftstellerin und Journalistin und wir sind gespannt auf augenöffnende Details und eine Familiengeschichte, die berührt und mitreißt.

    Der Klappentext des Buchs gibt etwas mehr Einblicke und macht Lust aufs Lesen:

    Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach.
    Fatma Aydemirs großer Gesellschaftsroman erzählt von sechs grundverschiedenen Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind. Alle haben sie ihr eigenes Gepäck dabei: Geheimnisse, Wünsche, Wunden. Was sie jedoch vereint: das Gefühl, dass sie in Hüseyins Wohnung jemand beobachtet. Voller Wucht und Schönheit fragt „Dschinns“ nach dem Gebilde Familie, den Blick tief hineingerichtet in die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte und weit voraus.

    Hier gehts zum Buch:
    https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/fatma-aydemir-dschinns-9783446269149-t-3355

    Wir freuen uns auf Eure Ansichten, Meinungen und einen schönen Abend im April und wünschen ganz viel Vergnügen mit der neuen Buchauswahl!

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