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Adieu, Bündnis

 Frank Bertermann steht nicht mehr auf der Wahlliste der Grünen-Fraktion in Mitte

Ende Mai kamen die Bündnisgrünen von Mitte im Poststadion zusammen, um ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die BVV zu küren. Zwar waren die Flügelkämpfe bei den Mitte-Grünen kein Geheimnis, dennoch glich das Wahlergebnis einem unerwarteten Paukenschlag: Auf der Liste findet sich kaum noch ein Name aus der bisherigen BVV-Fraktion. Und die vielleicht größte Überraschung: Auch Frank Bertermanns Name fehlt. Zwar trat er zur Wahl an, erhielt aber nicht die notwendige Mehrheit. Kann man das, Flügelkämpfe hin oder her, anders deuten als einen unverblümten Affront? Viele Außenstehende können das nicht nachvollziehen, und zwar parteiübergreifend. Auch der Stadtrat für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD) zeigte sich ziemlich konsterniert – schließlich schätzt er Bertermann als fachlich überaus kompetenten Stadtentwicklungsexperten, der auch in Kontroversen sachlich und fair bleibt.

Bertermanns Kompetenz ist unbestritten und kommt nicht von ungefähr, zugleich erinnert seine Biographie auch daran, warum seine Partei Bündnis90/Die Grünen heißt. »Urgestein« nennt man Leute wie ihn wohl, nicht ganz treffend, verwurzelt wäre passender. Politisch sozialisiert, so sagt er, wurde er noch in der DDRBürgerbewegung »Demokratie jetzt«, vor allem ging es ihm um die Wohnungspolitik. Die gewann in der Zeit des DDR-Umbruchs und in den frühen 90er Jahren ganz besonderes Gewicht in den Ostberliner Altbauvierteln, die großteils dem Verfall anheimgegeben waren, manche Straßenzüge waren bereits für den Abriss vorgesehen. Es war die große Zeit der Hausbesetzungen und der Bürgerinitiativen, zugleich wurden erste Nothilfeprogramme – etwa das 25-Millionen-Programm des Senats für Selbsthilfehäuser – aufgelegt. Auch in der Spandauer Vorstadt in Ostberlins Mitte, wo Bertermann damals wohnte, gab es eine Bürgerinitiative, die sich erst gegen die drohenden Abrisse und dann gegen Spekulanten zur Wehr setzte. Die Spandauer Vorstadt gehörte dann auch zu den ersten Sanierungsgebieten in Ostberlin, und dazu gehörte wiederum eine ordentlich gewählte Betroffenenvertretung. Neben Uschka Thierfelder gehörte auch Frank Bertermann zu deren Sprechern.

Neuland war das – für alle, die da in den monatlichen Beiratsrunden des Sanierungsgebiets saßen: für uns Ostberliner Laien, denen die Fachbegriffe des westdeutschen Sanierungsrechts um die Ohren flogen, für den Sanierungsbauftragten Hartwig Dieser und sein Büro KoSP, die allesamt in der Westberliner Stadterneuerung sozialisiert waren und für die der Osten neu war; für das Stadtplanungsamt Mitte, das sich ebenfalls erst in das neue Regularium einarbeitete, für die frisch gegründete Mieterberatungsgesellschaft und auch für die junge Ostberlinerin Sabine Krutzsch, die nun in der Senatsbauverwaltung für das Sanierungsgebiet zuständig war.

Bertermann erlebte Stadtentwicklung quasi von der Pike auf: als Mitglied der BV Spandauer Vorstadt, ab 1994 als Bürgerdeputierter im Stadtentwicklungsausschuss in der damaligen BVV, der er mit einer kleinen Unterbrechung während der Bezirksfusion 2001 seit 1995 nahezu ununterbrochen angehörte. Seit einigen Jahren ist er Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses (das sagt auch etwas aus über die Fähigkeit zum sachlichen Aushandeln und zum Kompromiss) und seit 2019 Vorsteher der BVV, und eine Zeitlang war er auch wieder Mitglied einer Stadtteilvertretung – diesmal in Moabit.

Beobachtet man lange die Politik, im Großen wie im Kleinen, kann man viele erleben, die sich im Laufe der Zeit verändern, den Geschmack der Macht entdecken, an Erdung verlieren. Die nach und nach Netze und Bündnisse eher für eigene Zwecke schmieden, die ihre »Truppen« um sich scharen und auf Twitter und Facebook ihre Follower. Bertermann gehört nicht dazu. Nicht nur, weil er sich bis heute dem Twittern und dem Sog von Social Media verweigert. Bestens vernetzt ist er zwar, aber nie für den Selbstzweck – seine Bodenhaftung ist geblieben, und viel mehr interessieren ihn die vielen Initiativen in den Kiezen, da unten »an der Basis«, wie man so schön sagt. Verbogen hat er sich nie, nicht in der DDR und auch später nicht, auch wenn er manchmal mit seiner etwas robusten Art bei zarteren Gemütern aneckt. Aber Geschwurbel liegt ihm nicht – klare Haltung, klare Sprache. Um Frank Bertermann muss man sich sicher keine Sorgen machen. Aber eine Fraktion, die sich so leichtherzig und radikal von allen verabschiedet, die Erfahrung und Kompetenz mitbringen – die gibt einem schon zu denken.

Text: Ulrike Steglich, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte

Zuerst erschienen in der ecke turmstraße, Nr. 3, juni/juli 2021

Lesen Sie dazu auch den Text: „Grüner Neuanfang. Fast nur Neue in der künftigen BVV“ auf Seite 11 derselben Ausgabe.

7 Kommentare auf "Adieu, Bündnis"

  1. 1
    K. S. says:

    Auch ich beobachte entsetzt, wie die Grünen immer mehr Bodenhaftung verlieren und (unter Einbeziehung der global-unsozialen Medien) zu NATO und Gendergaga tendieren. Ich habe Tränchen in den Augen und wünsche alles Gute auf allen Deinen weiteren Wegen, Frank. Als langjähriger Grünen-Wähler habe ich zur Europawahl für DiEM25 gestimmt, jetzt bleiben von den Über-fünf-Prozent-Parteien nur noch die Linken. Und leider auch da besteht die Gefahr (siehe Sahra Wagenknechts Buch). dass alltagsferne Sprachkosmetik die brennenden Zukunftsthemen überlagert. Bin gerade ziemlich ratlos und gönne mir am frühen morgen einen Schluck Schnaps …

  2. 2
    Thomas Chistel, geb. Koch says:

    Diese Nachricht habe ich gerade bei einem meiner sehr seltenen Besuche auf Moabitonline gelesen.

    Frank Bertermann kenne ich jetzt auch schon seit Anfang der 90er Jahre als Hansdampf in allen Gassen von Mitte, strategisch denkendem Bezirkspolitiker mit Weitblick und Strippenzieher.

    Nach meiner eigenen Erfahrung kann es durchaus den eigenen Horizont weiten, sich neu auszurichten, nachdem der Schmerz und Ärger, den mutmaßlich auch Frank aushalten musste, nachläst. Alles Gute. Viel Freude und innere Freiheit wünsche ich.

  3. 3
    Rudolf Blais says:

    Großer Wahlkampf – Bürgeröffentlichkeit in BVV-Sitzung nicht zugelassen

    Einleitung:

    Nach der langen Sommerpause fand am 19.8.2021 wieder eine BVV.Sitzung im Rathaus Mitte statt. Die Sitzung wurde hybrid durchgeführt, mit etwa der Hälfte der gewählten 55 BVVl-Mandatsträger(Innen im Saal (der Rest war zugeschaltet).
    Meine folgende schon Ende Juni eingereichte Einwohneranfrage durfte ich nicht selbst vortragen (wie sonst üblich), sondern wurde vom BVV-Vorsteher Frank Bertermann im Wortlaut vorgelesen.. Diese Anfrage war rechtzeitig allen Fraktionen durch das BVV-Büro i zugegangen. Es war an diesem Abend die 3. Einwohneranfrage, die erst kurz vor Ende des Tagesordnungspunktes Einwohneranfragen dran kam.

    Folgender schriftlicher und vorgetragener Wortlaut meiner Einwohneranfrage:

    Frage 1

    Das Bezirksamt Mitte gibt jährlich für 45.000 EUR AZ-Förderung (Steuergelder) 8 Ausgaben der Zeitung die Ecke Turmstrasse heraus, in der vorrangig Berichte von den Akteuren im Sanierungs- und Aktionsgebiet enthalten sind.
    Warum gibt es in der Ausgabe Nr. 3, Juni/Juli 2021 mit 2 ganzseitigen Artikel (S.11 und 14) eine Wahlkampfberichterstattung zur Partei Bündnis 90/Die Grüne zur Aufstellung der BVV Kandidatenliste und von Frank Bertermann der bei der BVV-Listenwahl durchfiel (nicht das Vertrauen Parteibasis erhielt) ?

    Frage 2

    Warum lässt das BA Mitte zu, dass im erheblichen Umfang die Berichterstattung für Parteien missbraucht wird, unter der Vermutung, dass jetzt alle anderen in der BVV vertretenen Parteien ihre Berichterstattung nach dem Gleichheitsgrundsatz einfordern können, vielleicht sogar werden – oder das Kandidaten für die Bundestags-.Abgeordnetenhaus- Kommunalwahl (BVV) 2021 vorgestellt werden ?

    Frage 3

    Es gibt andere wichtigere Themen in Moabit bzw. Bürgerbelange für die die Zeitung die Ecke berichten sollte. Warum gibt es kein Leserdialog, mehr Leserbriefe, Berichte von Bürgern – und warum bleibt die Bürgermitwirkung auf der Strecke, erst recht im Windschatten der Coronakrise ?

    _________________________________________________________________

    Zu den Antworten auf diese Einwohneranfrage (aus meiner Sicht):

    Der Bezirksbürgermeister Stefan von Dassel beantwortete für das Bezirksamt als erstes darauf – wegen der schlechten Tonqualität konnte ich mir nur Stichpunkte notieren. Er versuchte meine wesentlichen Kritikpunkte zu entkräften bzw. aus seiner Sicht zu beantworten.

    Alle Vertreter/Innen der einzelnen BVV-Fraktionen durften keine einzige Stellungnahme oder Rückfragen (wie sonst üblich) stellen, weil der BVV-Vorsteher den Tagesordnungspunkt Einwohneranfragen pünktlich abbrach, und auch keine Antworten aus den Fraktionen mehr zuließ.

    Erste Einschätzung von mir:

    Ich bin gespannt welche Antworten es noch geben wird und warte auf eine schriftliche Antworten oder auch sonstige Beurteilungen ggf. auch mündlich zu meiner genannten Anfrage. Alles weitere dann zu einem späteren Zeitpunkt . Vielleich wird in den nächsten Wochen das Thema um die Zeitung die Ecke Turmstraße mal im zuständigen BVV-Ausschuss behandelt. Besonders in Wahlkampfzeiten müssten ja unsere derzeitigen und neu zu wählenden Volksvertrter/Innen offen für Bürgeranliegen sein.

    Hinweis zum Schluss: Diese Einwohneranfrage war bzw. ist bereits im Internet, und ist über die umfangreiche Tagesordnung der BVV Sitzung vom 19.8.21 zu finden (Eingangsseite http://www.berlin.de).

  4. 4
    Susanne Torka says:

    @ Rudi,
    so wirklich verstehe ich Deine Beschwerde nicht, das ist das persönliche Statement einer Redakteurin …. und ich finde es ist doch eher das Gegenteil von Wahlkampf, ausgesprochen Anti-Wahlkampf.

  5. 5
    H. E. says:

    Die Entscheidung der B’90/Grünen gegen Herrn Bertermann kann man nur bedauern. Welche kleingeistigen Interessen der Fraktion mögen da wohl im Hintergrund eine Rolle gespielt haben?

  6. 6
  7. 7
    BVV-Beobachter says:

    … auch wenn das viele Menschen anders sehen, ich finde Ingrid Bertermann hat es richtig gemacht, schließlich gibt es die „Freiheit des Mandats“. Und sie ist beileibe nicht die erste Politiker*in, die ihre Partei gewechselt hat – Jutta Schauer-Oldenburg ging vor vielen Jahren von der SPD zu den Grünen mit ganz ähnlicher Begründung, der damalige Bürgermeister spielte auch eine Rolle ….
    https://leute.tagesspiegel.de/mitte/unter-nachbarn/2022/01/05/204173

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