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Der Fuchs zieht um

Seit drei Jahren begeistert die Lesebühne Fuchs & Söhne ihre stetig wachsende Fangemeinde in Moabit. Zum Ende des Jahres verabschiedet sich das literarische Kollektiv von seinem alten Spielort, dem Historischen Gemeindesaal, und zieht zum Januar 2017 in das Zentrum für Kultur und Urbanistik – kurz: ZK/U. Wir haben die vier Autoren um kleine persönliche Anekdoten zum Thema Umzug gebeten. Aus Tiergarten, Tempelhof, dem Wedding und Berlins südlichstem Stadtteil: Leipzig

Sebastian Lehmann / Tiergarten

Meine Mutter ruft an. »Sohn«, sagt sie sofort. »Wir haben eine  Wohnung in Berlin gekauft.« »Wirklich?« rufe ich. »Seit wann habt ihr so viel Geld?« »Ach, dein Onkel Bill ist gestorben.« »Der reiche Onkel aus Amerika? Ich dachte, das habt ihr mir als Kind nur so erzählt.« »Sebastian, alles, was wir dir als Kind erzählt haben, ist wahr.« »Auch, dass ich eckige Augen bekomme, wenn ich zu viel fernsehe?« »Probier’s lieber nicht aus!« »Wo in Berlin habt ihr denn die Wohnung gekauft?«, frage ich. »Ganz in deiner Nähe.« »Jetzt sag’s ihm halt«, ruft mein Vater von hinten ins Telefon. »Wir haben deine Wohnung gekauft«, sagt meine Mutter. »Das ist ja cool«, rufe ich. »Dann muss ich keine Miete mehr  bezahlen.« Meine Eltern beginnen laut zu lachen. »Ihr wollt von eurem eigenen Sohn Miete nehmen?«, frage ich. »Genaugenommen«, ruft mein Vater, »müssten wir deine Miete etwas anpassen. Das heißt, sie verdoppelt sich.« »Das dürft ihr doch gar nicht einfach so!« »Na ja, wir sanieren und nehmen bauliche Veränderungen vor«, sagt meine Mutter. »Wärmedämmung, Kinderwagenparkplätze und Gemeinschaftshundehütten«, ergänzt mein Vater. »Ihr wisst schon, wovon ich meine Miete bezahle?« Meine Eltern schweigen lange. »Von unserer Unterstützung?«,  fragt meine Mutter leise. »Ich würde mal sagen, dass ihr die auch schleunigst verdoppelt «, sage ich und lege schnell auf.

Kirsten Fuchs / Tempelhof

Wohnungen sind Schlampen. Eines Tages plauschte mich die alte Frau Patze im Hausflur an. Ihr Hörgerät piept immer und ich muss schreien, wenn ich mit ihr rede. In meiner Wohnung hat mal ihre Schwester gewohnt, erzählt sie mir. Und als wäre das nicht genug, brüllt sie weitere ehemalige Lebensgefährten meiner Wohnung im Hausflur herum. Meine Wohnung hatte schon etliche Frauen vor mir und Männer auch. Jetzt wissen alle, dass ich mit einer Schlampe zusammen lebe. Als ich zurück in die Wohnung gehe, gehe ich mit schweren Füßen. Kaum wollen sie über die Schwelle. Ich versuche mir vorzustellen, wie dort, wo jetzt mein Schreibtisch steht, ein Oma blumenständer stand. Darüber ein Bild aus Wollfransen, eine Mühle an einem Fluss. Daneben eine dunkle Schrankwand mit einem Glasschrank voller Eierlikörgläschen. Nein, ich kann so nicht mehr. Ich will hier nicht alt werden. Wir haben uns auseinander gelebt. Wann hat mir meine Wohnung das letzte Mal die Tür aufgehalten? Wann hat sie mich das letzte Mal vom Bahnhof abgeholt? Wann hat sie das letzte Mal was Leckeres im Kühlschrank für mich versteckt? Ich will zu keiner Mieter-Wohnungs-Beratung. Wir können es nicht nochmal probieren. Sie ist mir zu eng geworden. Sie lässt mir nicht meine Freiheiten. Sie sperrt mich ein. Ich will einfach woanders von vorne anfangen. Wir können ja Freunde bleiben.

Paul Bokowski / Wedding

»Ich muss ihnen leider noch ein Geständnis machen.« 26 junge Akademiker, die sich in meinem Wohnzimmer zusammengeschart haben, blicken mich mit erwartungsvollen Augen an. »Also die Wohnung«, setze ich an, »die kostet eigentlich ein bisschen weniger als in der Anzeige.« Eine Medizinstudentin in der zweiten Reihe hyperventiliert unauffällig in ihre Handtasche. »Wie viel weniger?« fragt ein Jurist aus Paderborn. »120 Euro.« Die angespannte Stille wird vom zischenden Geräusch eines Asthmatiker-Inhalators unterbrochen. »Warum ziehen Sie denn aus?«, fragt eine Wirtschaftsprüferin aus Hamm entgeistert in die Runde. »Es gibt da diese emotionale Komponente«, sage ich leise. »Ich habe meine Exfreundin in einer Fabrik für Raufasertapete kennengelernt.« Ein Werbetexter aus Lüdenscheid legt seine Hand tröstend auf meine Schulter. Schwer abzuschätzen, ob er mir gerade eine Tafel Milka-Schokolade oder ein iPhone 7 in die Gesäßtasche geschoben hat. Eine halbe Stunde später leuchtet die Telefonnummer meiner Vermieterin auf meinem Handy auf. »Frau Trautmann!« rufe ich gut gelaunt in das Gerät. »Bokowski!« zischt es mir entgegen. »Ich hab es einmal gesagt und ich sag es immer wieder: Hören Sie auf, Ihre Wohnung zu inserieren, wenn Sie NICHT vorhaben auszuziehen!«

André Herrmann / Leipzig

Laut der Sendung »taff« wohne ich neuerdings in der gefährlichsten Straße Deutschlands, der Eisenbahnstraße in Leipzig. Und das Gerücht stimmt. Ich lebe in einem brennenden Haus, mein Haustürschlüssel ist eine Brechstange und meine Miete zahle ich in Gramm statt in Euro. Letztens saß ich beim Mittagessen. Eine Frau fragte mich: »Entschuldigen Sie, ist es hier sehr gefährlich? Unsere Tochter schaut sich um die Ecke gerade eine Wohnung an.« Ich antworte: »Geht so. Wie lang ist ihre Tochter schon weg?« Gestern stand ich vor meinem Haus, wartete auf jemanden, rauchte eine Zigarette und als ich von weitem eine Person kommen sah, rief ich: »Na, ganz allein im Dunkeln die gefährliche Eisenbahnstraße lang gelaufen?« Und erst dann bemerkte ich, dass das jemand völlig anderes war, der da gekommen war, nämlich ein armes Studentenmädchen, das völlig entsetzt stehen blieb, die Straßenseite wechselte und anschließend weg rannte. Prima, wieder einen Menschen in die Psychotherapie getrieben. Wahrscheinlich war es sogar das besagte Erstsemester-Mädchen, das erst im Oktober all den Warnungen ihrer Eltern zum Trotz auf die Eisenbahnstraße gezogen ist, und dann komme ich und zerstöre sein Leben. Ich bin ein furchtbarer Mensch. Aber wenigstens meine Miete bleibt stabil.

Die Lesebühne »Fuchs & Söhne«..
Ab Januar 2017 im ZK/U – Zentrum für Kultur und Urbanistik, Siemensstraße 27 (Moabit).
Jeden 3. Mittwoch im Monat. Einlass: 19:30 Uhr, Eintritt: 5 Euro

Zuerst erschienen in der „ecke turmstraße“, Nr. 8 – dezember 2016/januar 2017.

2 Kommentare auf "Der Fuchs zieht um"

  1. 1
    Netzgucker says:

    Am 18. Januar ist es soweit: … Und da Kirsten leider ausfällt, haben wir zwei supertolle Gästinnen besorgt: Milena Reinecke und Sarah Bosetti.
    http://www.zku-berlin.org/zku-newsletter/zku-newsletter-51/#c2482
    https://www.facebook.com/events/1086907951420433/

  2. 2
    Susanne says:

    Wieder ein Umzug – ab 25. September 2018 im GRIPS Theater am Hansaplatz! Vorverkauf für September und Oktober läuft schon:
    https://fuchsundsoehne.blogspot.com/

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