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Ute Seifert lebt gern in Moabit

Ute Seifert lebt seit 1965 mit kurzen Unterbrechungen in Moabit. Eine helle 2-Zimmer-Wohnung im Haus der Mietergenossenschaft MUT am Unionplatz ist ihre bis jetzt letzte Station.

Die heute 70jährige zog als junge Mutter mit Mann und Baby Polly 1965 in die Berlichingenstraße – zum Entsetzen ihrer Mariendorfer Mutter: ein Berliner Zimmer mit Anbau im Erdgeschoss, das zu der von den Hauptmietern genutzten Ladenwohnung gehörte, Toilette über den Hof. Ein Bad gab es nicht. Geheizt wurde elektrisch. Ihr Mann, Manfred, arbeitete in seiner Metallwerkstatt, der Kinderwagen stand im Garten. „Es war eigentlich grauenhaft, aber auch urig schön,“sagt sie heute. Der Garten war ein kleines Paradies umgeben von den Parkplätzen der AEG, wo nur zum Schichtende die Autos wechselten. Ein Laden in der Nähe fehlte. Ute erinnert sich gut an den Spielplatz bei der Tucholsky-Bücherei. Dort saß sie mit vielen anderen Müttern und ihren Kindern im Buddelkasten. Ihr Vorschlag sich doch mal mit dem Aufpassen abzuwechseln stieß auf Unverständnis. Das konnten sich die Frauen nicht vorstellen. Es war noch vor der Kinderladenbewegung.

1966 wurde das Haus verkauft, die AEG wollte ein Arbeitnehmerwohnheim daraus machen.  Mit Drohbriefen und Zwangsräumungen ging man gegen die Mieter vor. Keiner wusste etwas von Mieterschutz. Selbst ein altes blindes Ehepaar, das seit 50 Jahren dort lebte, musste ins Falkenhagener Feld umziehen. „Es war unglaublich. Damals geriet mein Glaube an Gerechtigkeit stark ins Wanken.“ Die kleine Familie musste zunächst in den 4. Stock umziehen. Der war schon entmietet. Dort dröhnte der Lärm der Turbinenhalle, der hinten nicht zu hören gewesen war. „Wie hatten die früheren Mieter das nur aushalten können!“ Nach heftigen Protesten akzeptierten sie schließlich ein Wohnungsangebot in der Pohlstraße, Tiergarten-Süd. Ihr Aufenthalt dort war aber nur von kurzer Dauer und nach einem Abstecher von wenigen Monaten nach Westend, zogen sie wieder nach Moabit, diesmal in die Werftstraße, eine Wohnung, in der Ute 35 Jahre lang leben sollte.

Es war zunächst wieder zur Untermiete bei der Mutter des Berliner Malers Johannes Grützke, der war dort aber schon ausgezogen. Ein kleines und ein großes Eckzimmer hatten sie zur Verfügung. Später zog auch Mutter Grützke aus. Sie übernahmen die schöne Altbau-Wohnung als Wohngemeinschaft mit Marx-Arbeitskreis und Musik von Janis Joplin und Jimi Hendrix. Es war die Zeit der Vietnam-Demos. Ute studierte, was die Kinderladenbewegung möglich machte, Manfred war der einzige Arbeiter im TU Kinderhaus. Später trennten sie sich, ihr zweiter Mann hieß Uli und 1974 kam Jenny, die zweite Tochter, zur Welt. Später war Ute Kunstlehrerin, musste aber wegen einer Lungenkrankheit in Frührente gehen.

Sie hat immer gerne in Moabit  gelebt. Bei Ausflügen mit den Kindern zu in der Nähe gelegenen Freiflächen gab es immer etwas zu entdecken: die „Zaubertreppe“ am ULAP-Gelände gegenüber dem Restaurant Paris-Moskau, die alten Bahnanlagen, die Sandberge hinter der Lehrter Straße boten vielfältige Spielmöglichkeiten. So war es auch kein Wunder, dass sie sich um 1980 in der Bürgerinitiative „Rettet den Carl-von-Ossietzky-Park“ engagierte. Gemeinsam mit Uta Wobit vom Fahrradclub, ihrer Freundin Helga Metzger und vielen anderen konnte sie verhindern, dass 8 Meter breite Wege anglegt, große Flächen mit Verbundsteinen gepflastert und die Spielbereiche nach Altersgruppen getrennt wurden. Der lange Kampf hatte Erfolg und die Umgestaltung orientierte sich schließlich am Gegenentwurf der Bürgerinitiative, gestaltet von Eva Haus, eine Gartenarchitektin aus Finnland, wie sich Ute erinnert. Auch gegen die Umgestaltung des Fritz-Schloß-Parks gingen die Menschen damals auf die Straße, in alten Zeitungen kann man über ihren Kampf gegen „Beton im Grün“ viele Artikel finden. Gerne erinnert sich Ute an die langen Nächte im Tempodrom und ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Freundeskreis für das Haus der Kulturen der Welt.

Ute konnte nie verstehen, warum viele Bekannte in Moabit nur wohnen, aber für alles andere woanders hingehen, sei es zum Einkaufen, Ausgehen, in Restaurants oder ins Grüne. Auch ihre beiden Töchter haben Moabit schnellstmöglich verlassen. „Dabei gibt es hier alles, was ich brauche. Selbst von hier, dem Moabiter Norden, komme ich schnell zur Spree, durch den schönen Bremer Park. Es gibt jede Menge nette Cafés und Restaurants. Die entsprechen vielleicht nicht immer dem deutschen Geschmack, aber man muss sie nur mal ausprobieren.“ Ute geht zum Sport ins SOS Kinderdorf, zur Malgruppe des Kunstvereins und zu Veranstaltungen in die Kulturfabrik. Natürlich nur unter anderem. Auf ihrem Schreibtisch steht ein Karton mit aktuellen Programmen.

Und dass sie mit dazu beigetragen hat, dass sich die Menschen in der Siemens- und Unionstraße gegen den Großmarkt von Hamberger wehren, hat sie fast schon wieder vergessen. „Ja stimmt, ich bin ja im B-Laden gewesen und habe gefragt, wie man ein Flugblatt für die frühzeitige Bürgerbeteiligung schreiben könnte.“

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, April 2010.

2 Kommentare auf "Ute Seifert lebt gern in Moabit"

  1. 1
    H. E. says:

    @ Ute, betreffend den Großmarkt an der Siemensstraße

    Danke, Ute, für den Anfang!

    Und inzwischen sind es nicht nur Menschen aus der Siemens- und Unionstraße, sondern es sind eine Bürgerinitiative und mehrere einzelne Personen, die sich aktiv gegen den Großmarkt an der Siemensstraße wehren und die von einer endlosen Zahl von Moabitern unterstützt werden.

    Und Erfolge sind zu verzeichnen:
    In der Presse wurde über dieses Vorhaben und die Bürgerinitiative verschiedentlich berichtet, in den Parteien der BVV wird darüber diskutiert, im Bauausschuss des Bezirksamtes wurde und wird weiter darüber diskutiert, und der Stadtrat für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD) scheint ebenso wie der Investor nervös geworden zu sein. Nicht zu vergessen sind das große Echo in MoabitOnline mit bisher fast 150 Kommentaren und die ständig länger werdende Unterschriftenliste der Bürgerinitiative.

  2. 2
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