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Kältetod in Moabit

Kerzen-350In der kleinen Grünfläche an der Salzwedeler und Quitzowstraße brennen Kerzen und liegen Blumen auf dem mittleren von drei Parksitzen.  Hier ist Marion, eine 55jährige obdachlose Frau, vermutlich erfroren. An der Lehne des Sitzes ist ein laminierter Zettel angepinnt mit folgendem Inhalt:

Hier saß, lag, lebte seit Wochen eine Frau, für die es in unserer Gesellschaft keinen Platz zu geben schien.
Viele von Euch haben sich um sie gekümmert, deshalb berichte ich Euch hiermit, warum die Frau nicht mehr auf dieser Bank sitzt.
Am 29.01.2014 haben wir einen Rettungswagen gerufen. Die Frau verweigerte erneut die Hilfe, wie unlängst zuvor die Hilfe des Kältebus‘, des psychologischen Notdienstes und anderer sozialer Einrichtungen. Es ist nur schwer vorstellbar, was diese Frau durchgemacht haben muss, wenn sie die Kälte und Einsamkeit der Nacht auf dieser Parkbank einem warmen Schlafplatz vorzieht.
Nur wenige Stunden später kamen erneut Rettungswagen und die Polizei. Die Frau war nun kaum noch ansprechbar. Im Rettungswagen versuchten die Sanitäter mehr als eine halbe Stunde die Frau  zu reanimieren. Dann fuhren sie ins Krankenhaus.
Heute habe ich von der Polizei (Abschnitt 33) erfahren, dass die Frau die Nacht nicht überlebt hat.
In der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 2014 verstarb die ältere Dame, die auf dieser Bank seit Wochen saß, lag und lebte.
Ich bin froh in einem Viertel zu leben, in dem die Menschen nicht wegschauen. Viele kannten die Frau, haben ihr geholfen.
Wir konnten nicht mehr für sie tun, aber wir können unseren Teil dazu beitragen, dass so etwas nicht mehr passiert und uns für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen. Ohne HartzIV-Sanktionen, ohne Niedriglohnsektoren und Leiharbeit, für mehr staatlich geförderte soziale Einrichtungen, die Menschen in Not helfen wieder den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden.
Wir dürfen uns nicht entpolitisieren lassen! Wir dürfen nicht resignieren!              Steve K.“

von-oben-250Thomas N., Anwohner aus der Quitzowstraße, berichtet, dass die Frau zu Anfang noch unterwegs gewesen sei, sich aber seit dem Herbst dauerhaft in dem kleinen Park aufgehalten habe: „Auch wenn es regnete oder sehr kalt war.“ Sie hatte eine Menge Decken angesammelt um sich gegen die Kälte zu schützen. Nachbarn hätten regelmäßig Lebensmittel vorbeigebracht: „Ich habe selbst gesehen, wie ein Angestellter des ‚Main Station Hotels‘, das direkt neben der Grünfläche liegt, eine Tüte mit Lebensmitteln überreicht hat.“  Thomas N. hatte sie noch am 25. Januar abends angesprochen, ob er den Kältebus rufen soll. „Doch sie wollte das nicht. Die Leute vom Kältebus würden sie kennen und regelmäßig vorbei schauen. Auch eine Plane wollte sie nicht haben. Am Montag habe ich ihr aber wenigstens zwei Kissen und einen Schal gebracht, wofür sie sich bedankte.“

Viele Nachbarn haben versucht zu helfen. Trotzdem ist Marion gestorben. Sie muss sehr verzweifelt gewesen sein. Die Berliner Morgenpost berichtete gestern, dass sie seit März auf der Straße lebte, weil sie ihre Wohnung verloren haben soll. Die soll ganz in der Nähe gewesen sein, schreibt der Berliner Kurier. Die vielen Kerzen, die Blumen und Briefe der Anwohner auf der Parkbank, auf der sie zuletzt lebte, bringen viele Leute dazu anzuhalten, sich über ihr Schicksal zu informieren und nachzudenken.

12 Kommentare auf "Kältetod in Moabit"

  1. 1
    Moabiter says:

    Der Bericht ist nicht ganz richtig. Die Frau war bereits seit März 2013 dort und hat auch die kalte Zeit 2013 überstanden und wollte dort leben.
    Die Frau wollte unbedingt dort bleiben und sagte sie sei glücklich dort.
    Anwohner haben ihr täglich Essen und Getränke gebracht.
    Sie war immer dankbar und liebenswert, wollte aber nie etwas von sich erzählen, nicht mal ihren richtigen Namen verriet sie.
    Sie hatte mehrere Schlafsäcke, Daunendecken und weitere dicke Decken.
    Zahlreiche soziale Einrichtungen hatten mit ihr Kontakt, so der Kältebus, eine Caritative Einrichtung, Bürste, usw.
    Sie wurde immer wieder eingeladen in benachbarte Läden zu kommen um sich dort aufzuhalten, sie wollte aber nicht.
    Die Frau war bis zum Rettungswagen noch ansprechbar, erst im Rettungsweagen verlor sie das Bewusstsein.
    Die Todesursache ist noch unklar, man weiß also noch nicht ob sie erfroren ist, sie hatte einen sehr schlechten Gesundheitszustand.

  2. 2
    Susanne Torka says:

    Danke Moabiter, für Deine Korrektur. Da ich nicht dort in der Nähe wohne, konnte ich nur das wiedergeben, was die Leute mir erzählt haben. Habe den Text geändert in „vermutlich erfroren“. Aber das mit dem „Glücklich sein“ auf der Parkbank, kann ich nicht wirklich glauben. Bevor ein Mensch dazu kommt, muss er schon viel Ausgrenzung oder andere Schicksalschläge erlitten haben.

  3. 3
    Thomas Koch says:

    Susanne, es gibt unter Obdachlosen eine größere Anzahl von Leuten, die Notübernachtungen aus unterschiedlichen Gründen ablehnen. Das Gefühl, dort bedrängt zu sein, gehört sicherlich dazu. Andere empfinden es als persönliche Freiheit und ein Stück Unabhängigkeit draußen zu bleiben.

    Ich kenne einen Herrn, der seit Jahren unter einer Brücke am Spreekanal in Mitte schläft. Er ist gut ansprechbar und hat, ähnlich wie Marion, eine ganze Reihe von sozialen Kontakten. Meistens sind diese Leute beim Kältebus bekannt. Es macht aber immer Sinn, sicherheitshalber dort auf die Person und die konkreten Umstände hinzuweisen, damit ein Kontakt aufgebaut werden kann. (0178) 523 58-38, kaeltehilfe(at)berliner-stadtmission.de

  4. 4
    R@lf says:

    Ich kann aus eigener Erfahrung (7 Jahre Obdachlosenbetreuung im Rollbergviertel) bestätigen, dass es viele Obdachlose beiderlei Geschlechts gibt, die eine „Platte“ (Übernachtungsplatz verschiedener Art) jeglicher geregelter Unterbringung vorziehen. Allerdings hat alles eine Vorgeschichte mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Der Hinweis, dass die zu Tode gekommene Frau März 2013 ihre Wohnung verloren haben soll, die sich evtl. in der Nähe ihres Aufenthaltsortes befand, sollte zumindest zum Nachdenken anregen. Mit dem Verlust ihrer Wohnung verlieren viele Leute ihren letzten Halt – unabhängig von den Gründen des Wohnungsverlusts – und sind schwer wieder aufzufangen.
    Ein Leben draußen ist hart und untergräbt die Gesundheit. Kommen noch andere Faktoren dazu, ist es recht sicher, dass mensch damit nicht sehr alt wird. Irgend jemand hat mal gesagt: „Nirgendwo kann man so frei verrecken wie hier.“ – da ist was dran.

  5. 5

    Sowas stört die Commerzbank allerdings nicht. Die schließt trotzdem ab 22.Uhr ab und weder Obdachlose noch Bankkunden bekommen was sie brauchen.

    Ciao
    DerDemokrator

  6. 6
    moabiter says:

    auch die sparkasse turmstr macht jetzt 22.30-07.30 zu. kein aufwärmen, kein geldautomatzugang

  7. 7
  8. 8
    Zeitungsleser says:

    Heute ein lesenswerter Artikel im TagesspiegelOnline ein Archiv-Artikel, in dem ein Obdachloser erklärt, warum er nicht in die Notübernachtungen geht, selbst bei Minusgraden:
    http://www.tagesspiegel.de/zeitung/obdachlose-im-winter-durch-die-minusnacht/6214212.html
    Aktuell gibt es einen Konflikt am Hansaviertel, wo der Berliner Obdachlosenhilfe die Essensverteilung verboten wurde:
    https://www.facebook.com/b.obdachlosenhilfe/posts/1254075944687290
    http://www.berliner-obdachlosenhilfe.de/

  9. 9
  10. 10
    Susanne Torka says:

    Wenn es jetzt hier einiges nicht so neue über die Situation von Obdachlosen in Berlin zu lesen gibt, möchte ich einen praktischen Wegweiser posten, Adressen der Kältehilfe 2016-17 und Nachtrag:
    http://www.kaeltehilfe-berlin.de/images/PDF/Kaltehilfe_2016_Web.pdf
    http://www.kaeltehilfe.gebewo.de/images/PDF/neue_einrichtungen_jan2017.pdf
    Hier alle Angebote aktuell im Netz:
    http://www.kaeltehilfe-berlin.de/angebot
    nach Bezirken (durch Anklicken der Karte):
    http://www.kaeltehilfe-berlin.de/angebot/nach-bezirken

  11. 11
    Zeitungsleser says:

    Ein Interview mit dem Leiter der Bahnhofsmission:
    https://www.taz.de/!5376071/

    und eine klasse Nachbarschaftsgruppe in Hamburg (schon etwas älter):
    https://www.taz.de/Radikales-Nachbarschaftsnetzwerk/!5224058/

  12. 12
    Zeitungsleser says:

    Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission, hat das Bundesverdienstkreuz erhalten:
    http://www.berliner-woche.de/charlottenburg/leute/dieter-puhl-bekam-das-bundesverdienstkreuz-d119796.html

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