Neu-Moabiter unterwegs im Kiez
Vroni ist eine Neu-Moabiterin – sie zog erst vor kurzem aus Bayern hierher. Die schüchterne, zierliche junge Frau hat gerade ihr Sozialpädagogik-Studium abgeschlossen, hofft nun auf einen Job als Streetworkerin und wohnt mit zwei Bekannten in einer WG. Mitbewohner Tobias studiert noch, Mitbewohnerin Hannah will eine Zusatzausbildung zur Hebamme machen.
Es war, so erzählt Vroni, überaus schwierig, eine geeignete WG-Wohnung zu finden, sie mussten sehr lange suchen. Inzwischen, so ist ihre Erfahrung, kostet in Berlin ein WG-Zimmer von etwa 20 Quadratmetern im Schnitt 400 Euro – das ist sehr viel für Studenten und Absolventen, die sich ihre Existenz meist durch Jobs sichern müssen. „Es gibt auch noch Zimmer für unter 300 Euro“, erzählt Vroni, „aber da stehen dann mindestens 150 Bewerber Schlange, und es gibt regelrechte WG-Castings.“
Auf dem Willkommenstreffen für Neu-Moabiter, zu dem der Verleger und Unternehmer Lasse Walter und das Quartiersmanagement Moabit-West im Juni eingeladen hatten, sind gleich mehrere neu Zugereiste aus Bayern vertreten. Auch Marie, eine junge Frau, die mit ihrem gleichfalls sehr jungen und sehr munteren Hund erscheint. „Kennen wir uns nicht?“, fragt Vroni. Tatsächlich kennen sich Vroni und Marie – allerdings nicht aus Moabit, sondern aus Bayern. So klein ist manchmal die Welt.
Während in Prenzlauer Berg die Parolen gegen zugezogene Schwaben für große Aufregung sorgten, versuchen das QM Moabit-West und Lasse Walter mit ihrem Projekt „Willkommen in Moabit“, eine andere Kultur zu pflegen: Neu-Moabiter sollen sich im Kiez aufgenommen fühlen. Für Menschen, die in diesem Jahr herzogen, gibt es ein Willkommenskörbchen mit unterschiedlichen Kiezzeitungen (auch die „Ecke Turmstraße“), Gutscheinen hiesiger Händler und anderen kleinen Aufmerksamkeiten. Außerdem wurde der kleine Empfang in den QM-Räumen in der Rostocker Straße organisiert – bei Kaffee und Kuchen konnten sich die Eingeladenen kennen lernen und wurden anschließend ging es auf einen zweistündigen Kiezrundgang, der schließlich bei der festlichen Eröffnung des diesjährigen „Ortstermins“ in der Galerie Nord endete. Teil des Projekts „Willkommen in Moabit“ ist aber auch, die Neu-Moabiter nach ihren Geschichten zu befragen und diese aufzuschreiben. Was sind ihre ersten Erlebnisse und Eindrücke im Kiez, was empfinden sie als positiv oder auch als negativ?
Vor allem erschienen junge Neu-Moabiter. Manche kamen zum Studium nach Berlin, andere fanden hier nach dem Studium Arbeit. Manche sind erst seit ein paar Wochen da, andere schon mehr als ein Jahr. Dass viele aus Bayern kommen, dürfte wohl eher Zufall sein. Aber fast alle wissen inzwischen ein Lied davon zu singen, wie schwierig es ist, in Berlin eine halbwegs bezahlbare Wohnung zu finden.
Beim Kiezspaziergang und schönster Sonne lernen die „Zuzügler“ ihren neuen Kiez ein wenig besser kennen: beispielsweise das „Stadtschloss Moabit“ mit seinen zahlreichen Angeboten und Veranstaltungen, oder den neuen Moabiter Stadtgarten samt dem ZKU – dem Zentrum für Kunst und Urbanistik an der Siemensstraße. Hier zeigt sich Moabit jenseits des Straßenlärms von seiner idyllischen Seite: Menschen sonnen sich auf der grünen Wiese, auf dem Spielplatz schaukeln Kinder, daneben unterhalten sich die Mütter, während auf den „Bürgerbeeten“ junge Väter an Tomatenpflanzen herumpusseln und übers Gärtnern fachsimpeln.
Maries Hund, von der Leine losgelassen, tobt inzwischen ausgelassen über die Wiese.
Weiter geht es durch die wunderschöne Grünanlage zwischen Oldenburger und Bremer Straße bis zur Zunfthalle, wo der Marktleiter den Neuankömmlingen ein Getränk spendiert und von den Händlern erzählt, die inzwischen die alte Arminiushalle neu beleben. Und das sind keineswegs nur idyllische Geschichten: Er erzählt auch von Neu-Moabitern. Zum Beispiel griechischen Akademikern, die jüngst hier in der Halle einen Gastronomie-Stand aufgemacht haben (siehe S. 9). In jedem Fall sind es spannende Geschichten.
Ebenso wie jene, die man von den Neu-Moabitern erfährt. Eine Studentin erzählt, dass sie ihre Wohnung nur aufgrund eines Tipps fanden, den ihnen ein Kumpel ihres Freundes gab. Und dieser hatte seine Wohnung auch nur bekommen, weil seine Freundin ein adliges „von“ im Namen führt. Weil der Eigentümer selbst ein adliger „von“ ist, überzeugte das bei der Bewerbung – Adel verpflichtet eben.
Und so definiert sich standesgemäßes Wohnen völlig neu.
Text: us, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte
Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 5, juni / juli 2013.