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Geschichtswerkstatt Tiergarten: Wohnungsbau in Moabit

Morgen startet das Herbstsemester des Volkshochschulkurses der Geschichtswerkstatt Tiergarten.

An acht Terminen werden wir uns mit dem Wohnungsbau auf der Moabiter Insel beschäftigen und zunächst anhand von Karten die Besiedelungsgeschichte nachvollziehen. Wo wurden Wohnhäuser gebaut, wo siedelte sich die Industrie an? Nach einer Exkursion zu den ältesten noch bestehenden Häusern in Moabit, werden wir lernen, wie man Luftbilder auswertet mit Hilfe von Spiegelstereoskopen.

Von den sehr alten Moabiter Häusern stehen nur noch sehr wenige, die meisten wurden abgerissen und durch Mietskasernen unterschiedlicher Qualität ersetzt. Hier noch eine ländlich wirkende Villa, das  Haus Otzen nach einem Stich. Die Abbildung ist in zwei Büchern mit verschiedener Bildunterschrift zu finden, einmal heißt es „Wohnhaus des Architekten Johannes Otzen, Alt-Moabit“, das andere schreibt die Villa Otzen stand in der Turmstraße 1. Vielleicht finden wir heraus, was stimmt.

Die nächsten vier Termine beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Hobrechtplans auf den Massenwohnungsbau, mit Terraingesellschaften und Bodenspekulation. Wie wurden damals die Häuser gebaut? Unter welchen Bedingungen lebten die Bauarbeiter? Dokumente berichten von einem Streik aus dem Jahr 1898, die AOK untersuchte das Wohnungselend. Schließlich traten eine ganze Reihe Wohnungsreformer auf den Plan und Genossenschaften bauten bessere Wohnungen. Als Zusatztermin werden wir eine Wohnanlage des Beamten-Wohnungs-Vereins e.G. besuchen und mit den heutigen Bewohner_innen diskutieren.

Das Frühjahrsemester 2013 wird sich dann ausführlich mit Genossenschaften in Berlin und Moabit beschäftigen und zwei weitere Genossenschaften in Moabit besuchen. Außerdem können Moabiterinnen und Moabiter berichten, was sie über ihre Häuser geforscht und herausgefunden haben. Dafür sind zwei Termine Anfang März eingeplant.

Termine jeweils Dienstags 16:30 Uhr im Nachbarschaftstreff Rostocker Straße 32b (außer Exkursionen)
Kosten für alle Termine 10 Euro. Man kann auch nur an den Exkursionen teilnehmen (5 Euro).
Bitte anmelden bei der City-VHS. Man kann sich auch noch nachträglich anmelden und erst einmal vorbeikommen.
Die einzelnen Termine sind auch im Veranstaltungskalender von MoabitOnline eingetragen.

Nachtrag:
Es ist uns leider bei der Geschichtswerkstatt nicht gelungen das Rätsel um den Standort der oben abgebildeten Villa Otzen komplett zu lüften. Möglicherweise könnten wir es im Landesarchiv herausfinden. Je länger wir nachgeforscht haben, um so widersprüchlichere Angaben traten zu Tage.

Zunächst die Angaben aus den Büchern mit der jeweiligen Bildunterschrift. In Christine Becker / Brigitte Jacob, Der Stephankiez, Berlin 1992 heißt es auf Seite 16: „Wohnhaus des Architekten Johannes Otzen in Alt-Moabit nach einem Stich von 1872„. Im Kompaß, dem Bd. II zu Berlin: Von der Residenzstadt zur Industriemetropole, Berlin 1981 heißt es auf Seite 70: „Villa Otzen Turmstraße 1 um 1873, aus: Architektonisches Skizzenbuch H, 6, Bl. 4„. Dort steht auf Seite 69 – nachdem die Bedeutung Otzens und der Terrain-Gesellschaft „Am kleinen Tiergarten“ für das relativ hohe bautechnische und bauhygienische (den Zeitverhältnissen entsprechend) Niveau der Häuser Stephanstraße 4 bis 15  erklärt wird – zum Wohnhaus: „Otzen hatte mit Carstenn in Lichterfelde gebaut. Er war in den achtiger Jahren Professor an der Technischen Hochschule. Von 1874-1881 bewohnte er übrigens in der damals noch bis zur Heidestraße führenden Turmstraße ein zu einer Villa umgebautes Laboratorium des alten Pulvermühlengeländes. Das Gebäude wurde abgerissen im Zuge der weiteren Kasernenbebauung dieses Geländes, die über die Auflösung der Reste der Pulvermählenanlagen den Weg freigab auch für die Wohnbebauung dieses Gebietes.“

Daraufhin haben wir in den Berliner Adressbüchern recherchiert: Im Adressbuch von 1872 sind unter „Thurmstraße 1-26“ Baustellen von Dr. Spiekermann“ angegeben, 1873 dann unter den gleichen Nummern Baustellen von Otzen. Weiterhin ist der Baumeister Otzen bis 1875 unter „Thurmstraße 1“ und „Thurmstraße 2“ mit „an der Lehrterstraße“ angegeben, letztere Hausnummer mit dem Zusatz „Baugesellschaft am Kleinen Thiergarten“ aufgeführt. Für 1876 ist die Straße nicht auffindbar, ab 1877 steht unter „Thumstraße 1“ und „Thurmstraße 2“ die Angabe „an der Rathenowerstraße“ und Otzen bzw. die Baugesellschaft werden weiter aufgeführt bis 1883. Danach gehört die „Thurmstraße 1“ einem Maurermeister, der sie mit einem Mietshaus bebaut. Irgendetwas ist an diesen Angaben aber deshalb merkwürdig, weil Oehlert in seiner Moabit-Chronik für 1887 den „Verkauf des westlichen Teils der alten Turmstraße an die Lehrter Bahn“ angibt und für 1890 die „Umnummerierung der Turmstraße unter Beseitigung der Lücke 16 – 28„. In den Angaben aus den 80er Jahren in den Adreßbüchern findet sich sinngemäß die Angabe „15-28 existiert nicht„.

Im Hobrecht-Plan von 1862 ist in der östlichen Turmstraße (Döberitzer Straße) nur ein Haus an der Heidestraße als Bestand eingetragen mit dem Besitzvermerk „Lehmann“ (Nordseite, da wo heute noch die später entstandenen Altbauten stehen, auf der Südseite ist als Eigentümer eines unbebauten Grundstückes „Griebenow“ eingetragen. An der heutigen Turmstraße 1 ist die Filialstrafanstalt (des Zellengefängnisses) eingetragen, nach Oehlert 1856 errichtet und ab 1871 als Pockenlazarett mit 1611 Kranken umgenutzt. Ein Schließungsdatum wird nicht genannt.

Zwar passt der Grundriss der „Filialstrafanstalt“ in etwa zu dem Bild der Villa, doch sonst passt nichts so richtig zusammen. War die Filialstrafanstalt vorher ein Pulverlaboratorium? Aber die Kasernen wurden auf der anderen Seite der Rathenower Straße gebaut (oben wurde erwähnt, dass das Haus dafür abgerissen wurde). Und die Angabe im Adressbuch einmal Thurmstraße 1 und 2 an der Lehrter Straße und 2 Jahre später an der Rathenower Straße macht es noch verwirrender.

2 Kommentare auf "Geschichtswerkstatt Tiergarten: Wohnungsbau in Moabit"

  1. 1
    Reinhard Arlt says:

    Guten Tag!
    Zu dem oben ausführlichen Bericht kann ich vielleicht etwas beitragen. Zunächnst, interessiere ich mich immer noch für Moabit, weil ich da geboren und aufgewachsen bin, und das ganz in der Nähe der Turmstr. Ich suche nämlich seit ewigen Zeiten ein Foto aus der Vorkriegszeit von der Wilsnacker Str. zwischen Dreysestr. und Birkenstr. und so bin ich auch auf Ihre Seite gestoßen.
    Zum Thema, gibt es eine Stadtplanansicht, die es vielleicht erklärt, dass eben die Thurmstr. dann etliche Zeit vor 1900 nur noch Stückwerk bis zur Heidestr. war. Und zwar in dem Buch, „Das Berliner Miethaus 1862-1945 1.Teil von Johann Friedrich Geist und Klaus Kürvers aus dem Prestelverlag Seite 74. Habe es auch heraus fotografiert, aber kann das hier an der Stelle nicht richtig als Bilddatei anfügen.
    Vielleicht hilft es.
    Mit freundlichen Grüßen
    Reinhard Arlt
    13507 Berlin

  2. 2
    Susanne Torka says:

    Eine weitere Quelle zur Villa Otzen ist die 1900 erschienene Schrift von Oehlert, dem Autor der Moabiter Chronik von 1910, über den Kleinen Tiergarten. Hier wird auf den Seiten 25-27 eine alte Karte mit Randbemerkungen beschrieben:

    „Ueber diesen Bestand und über die Beschaffenheit des hinteren, oder wie er nun schon genannt wurde, des kleinen Tiergartens um jene Zeit gibt eine „Charte von dem Großen und Kleinen Thiergarten nebst der Haasen Heyde auf allergnädigsten Befehl eines hohen Forstdepartements vermessen im monath October 1782 durch Licht. Copirt durch Oesfeld. Copirt im monath September 1836 durch F. Horwicz“ Aufschluß, die sich im Besitz der königlichen Ministerial-Baukommission befindet und über die Stadtrat E. Friedel in der „Brandenburgia“ (Jahrgang 1893) ausführlicher berichtet hat.
    In den, allerdings z. T. erst nach 1782 entstandenen Randbemerkungen dieser Karte heißt es u.a.
    „Der kleine Tiergarten besteht aus sandigtem Boden, der mit überständigem Kienenholze bewachsen und einem kleinen Elsbruche, so zwar guten Moor-Boden fasset, aber mit wenigen und schlechten Elsen bewachsen ist“. Die Kiefern sind, wie wir hier einschalten wollen, inzwischen gänzlich aus dem kleinen Tiergarten verschwunden; nur eine einzige hat sich noch gegenüber dem Hause Alt-Moabit 99 erhalten; dagegen finden wir noch eine Anzahl Elsen in der Nähe des Kriegerdenkmals zunächst der Straße Alt-Moabit vor.
    Die hohe Heide, das ist der mit Bäumen bestandene Teil, ist nach der Licht’schen Karte auf 273 Magdeburger Morgen 107 Quadratruten Eichen und Kienbäume (von denen erstere wohl noch aus des Großen Kurfürsten Zeit stammen) vermessen, das Elsbruch auf 34 Morgen 170 Quadratruten; dazu kommen auf Wege und Unland 21 Morgen 170 Quadratruten, sodaß der ganze Umfang sich auf 330 Morgen 84 Quadratruten stellt, während der große Tiergarten nach unserer Karte 848 Morgen 165 Quadratruten Grundfläche aufzuweisen hatte.
    Von dem Teil, der heute durch die Otto-, Turm- und Stromstraße, sowie durch Alt-Moabit umschlossen wird, heißt es westlich (heutiger Ottostraßen-Park): „Bepflanzt mit Laubholz hochstämmige Bäume an. 1791“, in der Mitte: „bepflanzt mit Laubholz 1790, hochstämmige Bäume“, östlich: „bepflanzt mit Laubholz 1791“. Ein Teil dieser Bäume, fast ausschließlich Eichen, steht noch heute, besonders in der sogenannten „Plantage“ in der Gegend der Heilandkirche und an der Straße Alt-Moabit zwischen der Thusnelda-Allee und der Ottostraße.
    Im Norden des kleinen Tiergartens heißt es: „Grenze mit der Berlinischen Magistrats-Heyde“, worunter zunächst das ganze Gebiet bis zu dem um das Jahr 1848 zugeschütteten kleinen und dem noch heute vorhandenen großen
    Plötzensee zu verstehen ist und von dem nur ein Stück an der Nordweststrecke der jetzigen Turm- und Rathenowerstraße fiskalisch war; hierin erscheint das „Pulvermagazin“, etwas weiter östlich ist die „Magazinwache“ vermerkt. Ersteres wurde später in ein Filialgefängnis für das Zellengefängnis und danach vom Baumeister Otzen in eine Villa umgewandelt, die nun auch längst verschwunden ist; letztere stand auf dem heutigen Moabiter Exerzierplatz in der Verlängerung der Turmstraße, da, wo aus jener Zeit bis auf heute noch einige alte Bäume sich erhalten haben; sie wurde erst in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beseitigt. Beide sind erst nachträglich in die Copie aufgenommen, da das besagte Pulvermagazin erst im Jahre 1816 erbaut worden ist. Der größere (südliche) Teil der „Magistrats-Heyde“ aber wurde bald darauf zur Begründung der Kolonie Neu-Moabit aufgeteilt.“

    Es dürfte nun also klar sein, dass das ehemalige Pulvermagazin auf dem Kartenausschnitt im Artikel, zunächst die Filiale des Zellengefängnisses und dann die Villa Otzen wurde.

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