Spanische VJane in Moabit
Was ein DJ ist – die Abkürzung für Disc Jockey – und sein weibliches Pendant eine DJane, war mir geläufig, aber, dass es auch VJ’s gibt, die statt Musik eben Bilder „reiten“ habe ich erst kürzlich erfahren, als ich im Moabiter Jugendfreizeitheim Kubu mit Georgina Espasa sprach. Video Jockeys (oder Visual Jockeys) projizieren Bildsequenzen zum Rhythmus von Musik.
Die zierliche 25jährige Spanierin arbeitet dort für neun Monate im Rahmen des europäischen Freiwilligendienstes, gefördert von der EU im Programm „Jugend in Aktion“. Georgina hat Kunst studiert, sich auf Foto und Video spezialisiert und ihren Master als „Director of photography and cinema“ gemacht. Nach Abschluss des Studums arbeitete sie als VJ in ihrer Heimatstadt Barcelona. In diesem Sommer wird Georgina mit den Jugendlichen vom Kubu das Videoprojekt „vjXperience“ durchführen.
Das EU-Programm „Jugend in Aktion“ hat verschiedene Teilbereiche. Einerseits treffen sich Partnerorganisationen aus mehreren europäischen Ländern zu gemeinsamen Jugendbegegnungen. Andererseits können Jugendliche im Alter von 15 – 25 Jahren, in manchen Bereichen reicht die Altersspanne sogar von 13 – 30 Jahre, als Freiwillige in gemeinnützigen Organisationen in einem anderen Land Europas für zwei Wochen bis zu einem Jahr mitarbeiten. Sie erhalten dafür ein Taschengeld. Es gibt spezielle Programme für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf. Das Grundprinzip sieht so aus, dass man sich im Heimatland eine Entsendeorganisation suchen muss, die bei der Bürokratie unterstützt und die Vorbereitung übernimmt. Ein Platz in der Aufnahmeorganisation wird gesucht und beide gemeinsam stellen einen Antrag auf Förderung bei der Europäischen Union. Die Aufnahmeorganisation, für Georgina das Kubu, muss Kost, Logis, BVG-Karte und den Sprachkurs finanzieren, die Förderung ist recht knapp.
Das Kubu war schon mit zwei Gruppen zu je vier Jugendlichen in Marseille. Sie trafen dort Jugendliche aus England, Frankreich, Italien und Rumänien. „Zwei Jugendliche von uns sind jetzt in Frankreich und arbeiten dort im Freiwilligendienst. Ein Mädchen bei der gastgebenden Partnerorganisation in Marseille wird wohl bleiben und weiter dort arbeiten,“ erklärt Martina Kühn, die Sozialpädagogin.
Barcelona – Berlin
Georgina hat über eine Freundin von der Möglichkeit, als Freiwillige ins Ausland zu gehen, erfahren und ein Jahr lang nach einem passenden Platz in Berlin gesucht. „Wer nach Deutschland will, will nach Berlin“, sagt sie. Und sie wollte unbedingt nach Berlin, weil ihr die Stadt bei einem Besuch vor vier Jahren gut gefallen hat, ganz besonders das anregende Klima für junge Künstler. Damals war Georgina dort anzutreffen, wo sich Studenten und die internationale Jugend trifft: Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzelberg. Das kannte sie. Moabit nicht. Aber es gefällt ihr gut hier. Das Kubu hat ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in der Lehrter Straße für sie gefunden. In drei Häusern nebeneinander leben viele junge Leute in mehreren Wohngemeinschaften. Sie fühlt sich zu Hause dort, kann auch mal abschalten und englisch sprechen. In Barcelona sind die Mieten so teuer, dass an eine eigene Wohnung nicht zu denken ist, die meisten jungen Leute leben bei ihren Eltern. Georgina trifft sich mit den anderen in der Kulturfabrik, geht dort ins Kino, Theater oder einfach in die Kneipe: „Wenn man vom Hauptbahnhof kommt, ist es erstmal ein bißchen tot, aber wenn man bei Plus vorbei ist, dann ist Leben auf der Straße. Das gefällt mir.“
Projektarbeit im Jugendfreizeitheim
Mit den Moabiter Jugendlichen aus dem Kubu Kunst zu machen, ist eine große Herausforderung für Georgina. Sie hat sich bewusst dafür entschieden. Die meisten von ihnen sind Hauptschüler mit und ohne Schulabschluss, ihre Eltern stammen meist aus der Türkei, dem Libanon oder Ländern des früheren Jugoslawien. Die Zeitreportage „Die Straßen von Moabit“ beschrieb deren Lebensbedingungen ungeschminkt und direkt. Dem Leser prägten sich frühe Erfahrungen mit Kriminalität und Polizei besonders ein. Damals gab es eine Debatte, ob Reportagen dieser Art eher positv wirken, weil sie die Lebenswirklichkeit abbilden, oder ob sie Vorurteile nur verstärken. Wie dem auch sei: Intelligenz und kreative Fähigkeiten haben nachgewiesenermaßen nur wenig mit Schulerfolg zu tun. Es sind vollkommen andere Erfahrungen als Georgina in ihrer eigenen Jugend gemacht hat, doch neugierig auf verschiedene Lebenswirklichkeiten war sie schon imner. Seit knapp zwei Monaten ist sie jetzt dabei, ein halbes Jahr vorher hat sie mit dem Deutsch lernen begonnen. Georgina berichtet, dass die jüngeren, etwa 15jährigen, erst lernen müssen, sie zu akzeptieren, mit denen sei es etwas schwierig. Aber die älteren seien richtig nett, helfen ihr nicht nur bei den Hausaufgaben für den Sprachkurs. Georgina erklärt wie froh sie ist, dass sie plötzlich wieder zeichnen kann, 3 Jahre war sie blockiert und hat kein Bild zu Papier gebracht. So war es auch, als sie ein Jahr in Paris studierte oder in den Ferien kleine Kinder in Marokko betreute. Vielleicht blebit Georgina nach den neun Monaten Freiwiligendienst noch länger in Berlin, wenn sie eine Arbeit findet.
zuerst erschienen in: stadt.plan.mitte, Nr. 60, Juni 2008
Wer möchte liest auch noch das Interview mit Georgina Espasa in der LiesSte von Juni 2008 und hat dann vielleicht selbst Lust auf Europa bekommen.
Hallo allerseits,
ein sehr guter Artikel, den ich noch ergänzen kann.
Georgina wird als Video Jockey bei der Langen Nacht der
Moabiter Filme im Filmrauschpalast am 27.6.08 auflegen.
Auch werden Filme von Moabit Vice, http://www.moabit-vice.de,
gezeigt.
Das Filmprogramm wird am Mittwoch feststehen,
da es viele Kurzfilme sind, werden wir nur eine Auswahl
bekanntgeben.
Rané
Institut21