Lehrter Idylle
Mit dem Fall der Mauer strömten wir los, unsere Nachbarschaft jenseits des bisherigen „anti-faschistischen Schutzwalls“ zu erkunden. So entdeckten mein Mann und ich bald die lauschige Lehrter Straße – damals eher ein Lebensraum denn für Verkehr genutzt. Diese dicht von Bäumen gesäumte, kleine Allee wirkte beschaulich, fast wie eine Spielstraße fern vom Rauschen der Großstadt.
Wie es der Zufall so wollte, kamen wir eines Tages gerade hinzu, als die Nachbarn in der Lehrter feierten. Ich erinnere mich an eine wunderbare Stimmung, an entspannte Menschen verschiedener Nationalitäten und bunten Trubel mitten auf dem Damm – aber, wie gesagt, nicht von Autos! All das spielte sich rund um die Kulturfabrik ab, deren etwas angegriffenes Äußeres uns damals recht normal vorkam, waren wir doch von den herunter gekommenen Fassaden im Osten Berlins genau solch einen Anblick gewohnt. Das muss man sich heute einmal vorstellen!
Die Laubenpieper-Kolonie (neben den 3 – 4 zurückgesetzt stehenden Wohnhäusern aus tiefrotem Backstein) wurde uns bald Kulisse für so manchen Spaziergang am Nachmittag. Immer wieder rätselten wir ob der verwunschenen Gräber inmitten der Garten-Anlage und erfreuten uns des Grüns. Je mehr es dort im Sommer wucherte, desto geheimnisvoller wurde es. Eines Tages thronte sogar eine grau getigerte Katze auf einem der alten Grabsteine. Besonders mochten wir den aufmerksamen Schäferhund, der von seinem weitläufigen Gatter aus in der vorletzten Parzelle (links vorm Ausgang Richtung Bahnhof) alles bewachte. Am anderen Ende des Sandwegs wiederum gackerten lange Zeit auch noch Hühner – sehr zu unserem Gefallen.
Autorin: Gudrun Radev
Da gackerten die Hühner und vor allem watschelten ja auch jedem Menge Enten rum. Bis irgendein Nachbar sich über die Tierhaltung beschwerte.
Mein Ältester (geb. 1983) und seine Freunde der Kinderzeit liebten diese kleinen Ausflüge zu den Enten und einmal rum um die Gärten.
Kurz nach der Wende begegneten mir im nördlichen Abschnitt der Lehrter Straße des öfteren ein wenig unsichere Passanten, die fragten: „Sind wir hier wirklich im Westen?“ Die Balkongitter ohne Böden und die unsanierten Häuser kamen ihnen zu bekannt vor.