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Bye bye, Wolfram

Blauregen_H-Richter-25031 Jahre lang hat Wolfram Liebchen in der Lehrter Straße 25 hinter der langezogenen alten Mauer antike Altberliner Bauelemente verkauft. Axel und der komische Schwabe sind schon vor langer Zeit gegangen. Jetzt, Ende Juni, ist es auch für dich endgültig vorbei. Jedenfalls in der Lehrter.

Am Montag, den 22. Juni 2015 kamen in der Frühe die Abrissbagger und machten erstmal den wunderbaren Blauregen (illegal?) platt. Jedenfalls musste wohl auf Befehl einer Umweltbehörde die Aktion abgeblasen werden. Aber da lag er schon. Ein trauriger Anblick, den der Blauregen da bot. Niedergestreckt von kalten Stahl. Wie überhaupt der ganze Anblick des Geländes ein trauriger war. Nichts mehr mit einem vollgestellten Platz, wo man immer mal wieder schöne alte Sachen finden konnte. Nur noch Gerippe deiner verschiedenen Gebäude. Ein leerer seelenloser Platz, auf dem man sich nicht mehr wohlfühlen kann.

Lager_H-Richter-250Ach war das schön, mal auf einen Kaffee oder Bier bei dir vorbei zu kommen. Oder einfach nur zum Quatschen am Feuerchen in deiner Waschmaschinentrommel, auf der auch ab und an ein Würstchen braun wurde. Kein gemeinsames Kokeln mit Bier oder Kaffetrinken mehr. Bei dir konnte man vergessen, das man in einer Großstadt lebt, die immer mehr dem Willen von sogenannten Investoren unterworfen wird. Tja, jetzt wird daraus wohl ein sauberes, gesichtsloses, langweiliges glattes Etwas. So wie Investoren und Politiker das mögen.

Es wird traurig und langweilig sein ohne dich.

Text und Fotos: Hans Richter

und hier noch die Abendschau vom 14. April 2015:

Ursprünglicher Artikel vom 26. März 2011:

Interview mit Wolfram Liebchen, Antike Bauelemente

In der Lehrter Straße 25-26 liegt hinter einer weiß gestrichenen Eisentür ein Lagerplatz, wie man ihn sich kaum vorstellen kann, wenn man ihn nicht schon einmal besucht hat. Hier lagern alte Türen, alte Dielen, Türbeschläge, Kachelöfen und viele wunderbare Fundstücke aus Berliner Abrisshäusern oder aus dem alten Adlon. Seit mehr als 25 Jahren ist die Firma Antike Bauelemente als sogenannter Zwischennutzer auf dem früheren Bahngelände ansässig.  Hans Richter hat den Inhaber Wolfram Liebchen interviewt.

Hans:  Wie lange gibt es denn schon Antike Bauelemente Berlin?
Wolfram: Hm, laß mich mal überlegen. Seit 1983.

Hans: Wie bist du darauf gekommen, alte Türen, Kacheln, Öfen usw. zu verhökern?

Wolfram: Unser Einstieg waren Kachelöfen, die aufgrund geförderter Modernisierungsmaßnahmen aus den Häusern rausgeflogen sind. Da lagen dann entlang der Straßen Häufchen von abgerissenen Öfen. Auch gab es flächenweise zum Abriss bereite Häuser, wo wir die Bauleiter gefragt haben, ob man die Öfen abbauen kann. Die waren ganz froh darüber, da sie für Abriß und Entsorgung nichts bezahlen mussten.  Wir haben dann das Material in Kellern gestapelt. Erst 1 Keller, dann 2, dann 3, dann 4. Der Hausmeister ließ sich mit Korn aus dem Intershop bezahlen.

Hans: Wer ist wir?
Wolfram: Hardy, auch Ofenhardy genannt. Der rettet auch altes Baumaterial und Öfen in Schönwalde.

Hans: Und wie seit ihr die Öfen wieder los geworden?
Wolfram: Es wurden in westdeutschen Zeitungen Anzeigen geschaltet. Bedingt durch die Ölkrise wollten damals viele Westdeutsche ihren eigenen Ofen haben.

Hans: Kachelöfen abbauen, stelle es mir nicht einfach vor. Hattet ihr schon Vorwissen?

Wolfram: Nein. Dazu haben wir Ofensetzer, 400 gab es damals noch, kontaktiert, um zu recherchieren, Tipps und Tricks und auch Handwerkerwissen einzusaugen. Wir wurden natürlich belächelt und als Quereinsteiger teilweise auch nicht immer gern gesehen.

Hans: Wann habt ihr denn aus den Kellerlöchern den Sprung ans Licht in die Lehrter gemacht?

Wolfram: Na ja, als die Abrisswelle vorbei war, gab es die Überlegung, dass wir einen Lagerplatz brauchten Nach vielem Rumfragen kamen wir dann in die Lehrter. Wir haben mit Martin Bildau, einem ehemaligen Hausbesetzer aus der Wilsnacker, Antike Bauelemente gegründet. Seither hat sich unser Angebot um Türen, Fenster, Beschläge, Kacheln und vieles mehr erweitert. Nur original Altberliner Bauelemente übrigens.

Hans: Wer sind eure Kunden?

Wolfram:  Neben Hausbesitzern und Wohnungseigentümern zählen Filmschaffende, Filmausstatter, Künstler und Dekorateure zu unseren Kunden. Sogar Touristen kommen hier gezielt vorbei, um das eine oder andere zu erwerben.

Hans: Noch eine letzte Frage. Wie sieht denn deine Zukunft aus, wenn die Vivico ihre Pläne für das Areal in der Lehrter verwirklicht? Da ist ja dann kein Platz mehr für dich. Und, um mal ein beliebtes Totschlagargument, mit dem man jeden Politiker weich gekocht kriegt, zu gebrauchen: Wieviele Arbeitsplätze stehen auf der Kippe? Okay, waren jetzt 2 Fragen.

Wolfram: Im Moment profitieren 6-8 Arbeitsplätze plus X von mir. Und da ich stadtbekannt, etabliert und nicht mehr wegzudenken bin, ist die Vivico an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Von daher gehe ich optimistisch in die Zukunft.

Hans: Wolfram, ich danke dir für das Gespräch und wünsche dir weiterhin Glück.

Wolfram: Ich danke auch. War schön mit dir zu plaudern. Einen Tee vielleicht noch?

Hans: Der Tee ist lecker, ja danke.

Lesen Sie auch die ausführlichen Artikel über die „Antiken Bauelemente“ in TAZ und Berliner Zeitung. Im MoabitOnline-Artikel „Wie ein Wappentier zur beschämenden Zirkusattraktion wird …“ sind weitere schöne Fotos des Gewerbegeländes.

Das Interview führte Hans Richter, Fotos: Hans Richter und Susanne Torka

Nachtrag:
Bei den berlinfolgen der taz gibt es einen schönen Beitrag: Wolfram Liebchen, Der Bewahrer.

Lesen Sie auch: „30 Jahre Antike Bauelemente“ und „Kampfplatz für den Frieden

3 Kommentare auf "Bye bye, Wolfram"

  1. 1

    In der Abendschau heute: Tipps für weihnachtsfreie Aktivitäten an den Feiertagen, man könnte Tanzen gehen im Postbahnhof oder auch bei Wolfram Liebchen in den Antiken Bauelementen stöbern, an Heilig Abend und am 2. Weihnachtsfeiertag. Dazu gibt es Glühwein.
    http://www.rbb-online.de/abendschau/archiv/archiv.media.!etc!medialib!rbb!rbb!abendschau!abendschau_20111222_tipps.html

  2. 2
    Susanne says:

    Die neueste berlinfolge der TAZ lässt „Wolfram Liebchen, Den Bewahrer“ im Originalton zu Wort kommen:
    http://taz.berlinfolgen.de/index.175.de.html?v%5BchapterId%5D=100

  3. 3
    Hans Richter says:

    Ich muss feststellen: Geld(gier) frisst Lebensqualität

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