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Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett

Fred Leist tauscht Groschenromane in der Moabiter Markthalle

Man mag es kaum glauben, aber es ist so: Seine Kunden kommen nicht nur aus Moabit, sondern auch aus Charlottenburg, Spandau, aus allen Berliner Bezirken und darüber hinaus aus Potsdam, aus Rheinsberg, aus Cottbus und Frankfurt an der Oder. Fred Leist gehört mit seinem Stand für viele zu den Anziehungspunkten der Moabiter Arminius-Markthalle. Seine Waren sind keine Raritäten, im Gegenteil. Perry Rhodan ist über eine Milliarde mal verkauft worden, Jerry Cotton ungefähr 850 Millionen mal. Fred Leist bietet Groschenromane an, seit 34 Jahren, Unterhaltungsliteratur, Heftchenromane, Volksbücher sagte man vor 200 Jahren, als diese Werke auf Jahrmärkten feil geboten wurden. Seine Exemplare sind nicht druckfrisch, sie sind gebraucht, schon ungezählte Male gelesen. Meist zweispaltig gesetzt, 64 Seiten im DIN-A-5-Format. Schon ungezählte Male haben sie die Menschen entführt in die Straßen von New York, aufs Fürstenschloss, in die Privatkliniken beliebter, blondgelockter Frauenärzte, in die archaischen Weiten des Wilden Westens und, ja, auch das, ins Feld, wo der Landser bereits ist, fürs Vaterland den Heldentod zu sterben. Vierzig Cent kostet so ein gebrauchtes Heftchen, und wenn man es zurückbringt und gegen ein anderes eintauscht, noch einmal zwanzig.

Und davon kann man leben? Naja, nicht ganz. Aber man konnte davon leben. Früher. Es ist, so sagt es Fred Leist, ein aussterbendes Gewerbe. Viele gibt es nicht mehr von seiner Zunft. In der Tegel-Halle ist noch einer, einer in der Müller-Halle, er selbst hatte früher drei Läden. Darin hat bis zu ihrem Tod seine Frau gearbeitet, und er hatte Angestellte. Doch mit den Angestellten sei das so eine Sache, sagt er, weil man das Geschäft nicht kontrollieren könne. Er selbst hat immer erst nach Feierabend in seinen Läden gearbeitet. Dreißig Jahre war er Fahrer beim Bezirksamt, und erst seit seiner Pensionierung widmet er sich ganz den Groschenromanen. Das heißt, so ist es nicht ganz richtig. Er widmet sich nicht den Groschenromanen, sondern seiner Kundschaft. Das sind Leute, die brauchen diesen Lesestoff, viele dringend, für die Nacht, die können ohne nicht einschlafen. Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett. Eine Kundin habe mal gesagt: Ich brauche meine Mörder. Für diese Kunden will Fred Leist da sein. Er mag sich gar nicht ausmalen, wie groß die Enttäuschung ist, wenn jemand kommt und sein Laden ist geschlossen, und es gibt keinen Nachschub des Stoffes, aus dem die Träume sind, für die Stunden, die vom Tage übrig bleiben.

Frauen wollen Liebe, Männer Action

Es gibt natürlich Ausnahmen, aber überwiegend sei es doch so, dass die Männer sich lieber Krimis, Western und Science Fiction ausleihen und Frauen lieber Fürstenromane, Arztromane und andere Liebesgeschichten. Auch wenn diesen Büchern aus sprachlichen und stilistischen Gründen das Prädikat „besonders wertvoll“ versagt blieb und bleibt, sollte man die Phantasieleistung der Autoren nicht unterschätzen. Hedwig Courths-Maler hat über zweihundert Romane geschrieben, Heinz Werner Höber über fünfhundert. Und niemand kennt ihn. Damit man weiß, wer hier gelebt hat, steht auf seinem Grabstein auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof neben seinem Namen Jerry Cotton. Auf den Heftchen stand neben Jerry Cotton nie Heinz Werner Höber. Über vierzig Jahre lang hat Höber jeden Monat einen Roman über den New Yorker FBI-Agenten geschrieben. Hier in Berlin, nahe dem Savignyplatz. Nur mit einem Stadtplan von New York ausgerüstet. Als er nach Jahren dann tatsächlich mal in New York war, konnte er den Taxifahrern den Weg weisen. Nur einmal, hat Höber erzählt, habe er sich in einem Roman geirrt, weil er dem Stadtplan nicht angesehen habe, dass eine bestimmte Straße bergauf ging, und da habe man nicht so rennen können, wie er habe seinen Helden rennen lassen. Von den Auflagen eines Jerry Cotton können alle andere Schriftsteller nicht einmal träumen. Aber reich ist Heinz Werner Höber nie geworden. Autoren von Groschenromanen arbeiten erfolgsunabhängig für einen Festpreis.

Der Reiz des Trivialromans hat übrigens auch auf Schriftsteller gewirkt, die eher als Schöpfer ernsthafter Werke bekannt sind. Zu Zeiten der deutschen Romantik hat beispielsweise Ludwig Tieck zig Schauerromane geschrieben und die angstbereiten Seelen seiner Leser in die Abgründe des dunklen Waldes gelockt. Selbst Friedrich Schiller hat’s versucht – „Der Geisterseher“ – und ist prompt daran gescheitert.

Seit es Trivialliteratur gibt, und die gibt es, seit die technischen Möglichkeiten das Buch zum Massenmedium gemacht haben, wurde immer wieder darüber gestritten, ob der Genuss solcher Bücher nun schädlich oder harmlos ist. Diejenigen, die diese Frage zuspitzen, hegen einen schlimmen Verdacht. Den Verdacht nämlich, dass die Lektüre trivialer Geschichten süchtig machen kann. Wahrscheinlich haben sie recht. Jedenfalls stellen wir uns den älteren Herrn, der halbjährig mit dem Taxi aus Rheinsberg zu seinem Dealer in der Moabiter Markthalle kommt, um einen ganzen Koffer voller Heftchenromane zu tauschen, als einen süchtigen Menschen vor. Na und? Solange lesen nicht gewalttätig und dumm macht, ist das hinnehmbar.

Für solche Kunden ist Fred Leist gerne da. Nun soll ja die Markthalle verkauft werden, das könnte seinem Laden ein Ende bereiten. Aber vielleicht will sie ja keiner haben. Dann kann es weitergehen. Nicht ewig natürlich. Fred Leist ist 64 Jahre alt und sein Gewerbe ein aussterbendes. Weil seine Kundschaft nicht nachwächst. „Die Jugend liest ja heute nicht einmal mehr Comics.“ Wahrscheinlich weil es noch schädlichere Dinge gibt, als Schundromane.

Text von Burkhard Meise gedruckt in: stadt.plan.mitte, Nr. 61, Juli/August 2008

Nachtrag:
Im 39. Jahr schreibt die Berliner Woche über Leist’s Stand mit den Romanheften.

Fred Leist „Micky Maus in Moabit“ als „Ich bin ein Berliner“ Nr. 69.

Ein Kommentar auf "Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett"

  1. 1
    kessenich says:

    hallo ist ja fein das ist die beste anlaufstelle für gute romane gruß aus regenmantel über rückantwort würde ich mich freuen

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