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Polen und Deutsche

Im Vorfeld des Fußballspiels Deutschland – Polen zu Beginn der EM 2008 setzten Redakteure der jeweiligen nationalen Boulevardzeitungen drastische Bilder ein, um nationalistische Ressentiments zu schüren. Ein Medienkrieg wurde heraufbeschworen, der zu denken geben sollte. Die entsprechenden Blätter gehören ein und demselben Medienkonzern, der mit der gegenseitigen Hetzkampagne Geld verdient. Hoffentlich fallen die Fans nicht drauf rein, sondern nehmen das Spiel im österreichischenn Klagenfurt sportlich. Hier gehts um Tore nicht um Pickelhauben und mittelalterliche Schlachten oder Großmachtpolitik des vorvorigen Jahrhunderts. Und auch nicht um den nationalsozialistischen Überfall auf Polen, mit dem der 2. Weltkrieg begann, oder die Vertreibungen an dessen Ende. Fast 20 Jahre nach der viel zu späten Anerkennung der Grenzen ist die Verständigung weit vorangekommen, doch wird sie immer wieder in Frage gestellt.

Ich möchte hier an das positive Verhältnis von Polen und Deutschen im sogenannten Völkerfrühling rund um das Jahr 1848 und die Vorgeschichte erinnern, das im kollektiven Gedächtnis fast verloren gegangen ist. Denn ein wichtiges Ereignis spielte sogar in Moabit. 254 polnische Freiheitskämpfer wurden am 20. März 1848 aus dem Zellengefängnis Moabit befreit. Nach den Barrikadenkämpfen musste das Militär Berlin verlassen. König Friedrich Wilhelm IV. gab mit der Amnestie für die politischen Gefangenen dem Druck der Demonstranten vor dem Schloss nach und kam damit einer möglichen gewalttätigen Befreiung durch das Volk zuvor.

Die Polen hatten im preußisch besetzten Posen 1847 einen Aufstand organisiert, der verraten worden war und durch die Verhaftungen vereitelt werden konnte. Sie wurden im Zellengefängnis Moabit inhaftiert, das sich damals noch im Bau befand. Die Anklage lautete auf Hochverrat, der Prozess wurde am 3. August 1847 eröffnet in der zum Gerichtssaal umgebauten Gefängniskirche. Ein Großteil der Berliner Bevölkerung sympathisierte mit den Polen, denn deren Ideen von Freiheit und nationaler Einheit hatten im Deutschland des Vormärz breite Zustimmung gefunden.

Polen hatte als erstes europäisches Land (und als zweites nach Amerika) am 3. Mai 1791 eine schriftliche demokratische Verfassung verabschiedet, wenn diese auch durch die verschiedenen polnischen Teilungen (1772, 1793, 1795) nur kurze Zeit in Kraft war. Die Großmächte Russland, Preußen und Österreich-Ungarn hatten das Land vollständig unter sich aufgeteilt. Obwohl mit der dritten Teilung der polnische Staat nach etwa 900 Jahren Bestehen aufhörte zu existieren, gab das polnische Volk den Wunsch nach Wiederherstellung der Unabhängigkeit nicht auf. Ausdruck davon war u.a. das Entstehen von politischen Geheimgesellschaften, das Exil vieler Intellektueller und der Novemberaufstand in Warschau 1830, ausgelöst durch die Ankündigung des russischen Zaren Nikolaus I. die polnische Armee zur Aufstandsbekämpfung in Westeuropa einzusetzen.

Die Kämpfe zwischen russischen und polnischen Truppen zogen sich von Februar bis September 1831 mit wechselndem Erfolg hin, endeten jedoch in der Niederlage der Polen. Einige Truppenteile flüchteten ins österreichische Teilungsgebiet und etwa 20.000 Soldaten überschritten am 5. Oktober 1831 die Grenze in den preußischen Teil Polens und wurden interniert. Die polnischen Flüchtlinge erfuhren in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern solidarische Unterstützung durch die Bevölkerung. Unterkunft und Verpflegung auf der Durchreise nach Westeuropa wurden von spontan gegründeten Polenvereinen zur Verfügung gestellt. In den liberalen Zentren Deutschlands wurden die Polen als Freiheitskämpfer gefeiert, als Vorkämpfer für bürgerliche Freiheit und nationale Einheit bewundert. Sie selbst verstanden sich mit ihrer Parole „für unsere und eure Freiheit“ ebenso.

Die Welle der Polenbegeisterung läßt sich auch an den tausenden von Polenliedern deutscher und europäischer Dichter ablesen. Polnische Redner traten am 27. Mai 1832 auf dem Hambacher Fest auf, bei dem mehr als 30.000 Menschen aus Deutschland, Frankreich und Polen die erst und für lange Zeit größte Massenkundgebung für demokratische Freiheiten veranstalteten. Auf der hier abgebildeten Briefmarke zum 175 Jahrestag ist die polnische neben der deutschen Fahne zu erkennen.

Um nach Moabit zurückzukommen und zum Prozess gegen die 254 polnischen Freiheitskämpfer: Ende November 1847 wurden acht Angeklagte zum Tode verurteilt, 24 erhielten lebenslängliche und weitere 50 langjährige Zuchthausstrafen. Doch wurden die Todesstrafen nicht vollstreckt. Selbst Bettina von Arnim setzte sich für die Gefangenen ein. Am 20. März dieses Jahres wollte das Geschichtsfestival Historiale die Befreiung nachspielen, darüber hat LiesSte berichtet.

Die beiden Anführer Ludwik Mieroslawski, der eine schwarz-rot-goldene Fahne in der Hand gehalten haben soll, und Karol Libelt wurden mit polnischen Frauen und Kindern in einer mit rot-weißen polnischen Fahnen geschmückten Kutsche von einer jubelnden Menschenmenge vom Zellengefängnis Moabit, durchs Neue Tor über Luisenstraße, Karlsstraße, Friedrichstraße und Unter den Linden geleitet. Ein Triumphzug! Die Pferde wurden ausgespannt, Menschen zogen den Wagen, überall Jubel, Blumen, Tücher aus den Fenstern. Zzunächst ging es zur Humboldtuniversität, wo vor Studenten mit viel Pathos Freiheitsreden gehalten wurden. Schließlich erreichte der Zug das Schloss, wo der König versuchte die Amnestie als seinen alleinigen Gnadenakt darzustellen, was Widerspruch hervorrief. Schließlich endete man für weitere Reden und Jubelfeiern in der Humboldtuniversität.

Hier möchte ich noch den Auszug aus einer Rede Mieroslawskis anfügen (dokumentiert in einer Flugschrift „ Die Öffnung des Polen-Kerkers in den blutigen Tagen in Berlin“ aus dem Stadtarchiv München): „Nicht du, edles deutsches Volk, hast meinem unglücklichen Vaterlande Fesseln geschmiedet; deine Fürsten haben es getan: sie haben mit der Teilung Polens ewige Schmach auf sich geladen. Und wie es jüngst noch für Euch und uns als Verbrechen galt, nach des Vaterlandes Freiheit zu ringen, und wie sie uns darob, draußen im Kerker in eiserne Bande schlugen, so warst du es, hochherziges Vok, dessen Blut in diesen Tagen der Befreiung auch für unsere Freiheit floss. Wir danken Euch! Eure Freiheit ist unsere Freiheit, und unsere Freiheit ist die Eure! Herr sein oder Sklave sein, eins wie das andere läuft gegen die heiligen Gesetze der Natur. Nur freie Menschen, nur freie Völker können sich achten…“. Daran sollten wir anknüpfen und uns von den Mächtigen, selbst wenn sie heute eher in der Wirtschaft sitzen, nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Wer sich näher mit der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen beschäftigen will findet ein interessantes Portal beim RBB. Und um zum Fußball zurückzukommen: wer sich für die Migrationsgeschichte der drei deutschen Nationalspieler mit polnischen Wurzeln interessiert, wird hier fündig.

4 Kommentare auf "Polen und Deutsche"

  1. 1
    Susanne Torka says:

    Heute eröffnet die Ausstellung im Deuschen Historischen Museum zum 70. Jahrestags des Überfalls auf Polen mit einem interessanten Programm, Filme im Juli:
    http://www.dhm.de/ausstellungen/deutsche-polen/ausstellung.html

  2. 2

    […] vor Abschluss der Bauarbeiten wurden die ersten Gefangenen, polnische Freiheitskämpfer, einquartiert. Sie wurden 1848 von Berliner Märzrevolutionären befreit. Prominente Gefangene […]

  3. 3
    Susanne says:

    Befreiung aus dem Zellengefängnis Moabit – Ludwig Mieroslawski – polnisch-deutsche Geschichte – europäische Geschichte …
    interessanter Text von Uwe Rada in der TAZ zum 18. März:
    https://taz.de/Freiheitskaempfe-im-Maerz-1848/!5754689/

  4. 4
    K. S. says:

    Die deutsch-polnischen Beziehungen haben sich seit diesem Artikel von 2008 eher wieder verschlechtert, was auch an den polnischen Wahlergebnissen der letzten Jahre liegt. Dennoch lohnt es sich, sich mit polnischer Geschichte zu beschäftigen. Oder gar die wenigen Kilometer von Berlin aus ins Nachbarland zu fahren, wenn es wieder möglich ist.

    https://www.rbb-online.de/kowalskiundschmidt/videos/20210313_1725/deutsch-polnisches-geschichtsbuch.html

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