„Moazin“ – das neue Kiezmedium mit journalistischem Anspruch
Das Parklet vor dem Nachbarschaftsladen Stephans bietet uns dank Stadtteilkoordinator Peter Kapsch und seines Sonnenschirmes ein schattiges Plätzchen für das Interview an einem warmen Tag im Juni. Robert Hofmann ist schon da, und David Ruf kommt etwas später zusammen mit seiner kleinen Tochter Ida hinzu. David und Robert sind die beiden Macher des neuen Projektes „Gemeinsam informiert: Vernetzte Kiezmedien in Moabit“, kurz Kiezmedien, das das Quartiersmanagement Moabit-Ost 2024 zusammen mit dem Quartiersmanagement Beusselstraße ausgeschrieben hatte.
Eine einheitliche „Marke“ für Moabit
Die Filmproduktion Rocinante Film GmbH bekam als Trägerfirma den Zuschlag dafür. Regisseur und Produzent David, der aus Augsburg stammt, ist deren Mitgründer und seit 2014 Gesellschafter von Rocinante Film. Das Projekt fußt u.a. auf einer Kiezwerkstatt, auf der die Beteiligten den Wunsch nach einer zentralen Plattform für Moabit äußerten, um die unterschiedlichen Perspektiven und Stimmen der Nachbarschaft zu bündeln und unter einer einheitlichen „Marke“ zu präsentieren. Robert, Jahrgang 1987, stammt ursprünglich aus dem Rheinland und ist seit Mai 2025 bei dem Projekt mit an Bord. Während David verantwortlich für das Gesamtprojekt Kiezmedien ist, hat er als freier Journalist inhaltlich den Hut auf. Robert ist Leiter der Bürgerredaktion des neuen zentralen Kiezmediums für Moabit.
Aktuell drei Moabiter Internetportale
Natürlich existieren bereits verschiedene Kiezmedien im Internet, so wie das 2007 gegründete und sehr gut etablierte Portal www.moabitOnline.de, für das Jürgen Schwenzel redaktionell verantwortlich ist. Außerdem gibt es den MoaFinder des Reformations-Campus e.V. sowie moabit.net von Aro Kuhrt. Die drei Webseiten bereiten auf unterschiedliche Art und Weise viele Informationen über die Stadtentwicklung, Neuigkeiten und lokale Ereignisse sowie regelmäßige Angebote im Kiez auf. Da sie weitgehend unabhängig voneinander agieren, führt das, so die Beobachtung, zu einer Fragmentierung der Informationen. Zudem verfügen diese einzelnen Medien nur über begrenzte Ressourcen, da sie vor allem von Ehrenamtlichen betreut werden. Ihre Bekanntheit ist über ihre jeweilige Stammleserschaft hinaus begrenzt.
Gedruckte Zeitungen: „Ecke Turmstraße“, „moabit °21“ und „Moabiter Inselpost“
Gedruckte Kiezmedien wie „moabit °21“ und die „Moabiter Inselpost“ sind leider schon länger Geschichte. Die Inselpost als Bürgerzeitung im Auftrag des damaligen Quartiersmanagements Moabit-West erschien von 2011 bis 2014 alle zwei Monate mit einer Auflage von 5.000 Stück und wurde an die Haushalte im QM-Gebiet verteilt. Auf die Inselpost folgte ein paar Jahre lang ein abgespecktes „Quartiersblatt“ in kleinerer Auflage und in Eigenregie des QM-Teams. Die Kiezzeitung „moabit °21“ gab es sogar zehn Jahre lang von 2011 bis 2021. Zwischen 1.500 bis 2.000 Exemplare wurden gedruckt, je nach dem, wie stark der Seitenumfang ist. Sie landeten dann bei zahlreichen Verteilstationen in Cafés, Geschäften und der Bibliothek. Und dann wäre da noch die vom Bezirksamt finanzierte Zeitung „Ecke Turmstraße“, die seit 2011 sechsmal jährlich erscheint und die Bewohner über städtebauliche Entwicklungen sowie nachbarschaftliche Aktionen rund um die Turmstraße auf dem Laufenden hält. Diese Zeitung ist an öffentlichen Orten und in Geschäften zu finden sowie im Internet.
Kein MoabitOnline 2.0, sondern „Moazin“
Zurück zu MoabitOnline, dem Portal, das im B-Laden in der Lehrter Straße beheimatet ist und seit vielen Jahren vor allem von Susanne Torka und Jürgen Schwenzel sowie früher von Markus Klopsch und Stephan La Barré betreut wird. Die ehrenamtliche Redaktion liefert größtenteils eigene Beiträge und bietet so einen umfassenden Einblick in das Leben im Viertel. Der Veranstaltungskalender von MoabitOnline bietet den wohl umfangreichsten Überblick über Veranstaltungen aller Art in Moabit. Aktuell ist er leider offline und kehrt mit dem Re-Launch der Webseite im September 2025 zurück. Einen Auszug daraus zu lesen bekommt, wer sich dafür angemeldet hat, im wöchentlichen Rundbrief von Susanne per E-Mail. Traditionell stehen bei MoabitOnline Themen rund um die Stadtentwicklung im Vordergrund. Das begründet MoabitOnline selbst damit, dass Moabit seit Jahren im Zentrum stadtpolitischer Veränderungen liegt. Die Redaktion und ihre Gastautoren stellen geplante Projekte vor, beleuchten Entwicklungen aus Expertensicht und veröffentlichen Dokumente wie Baupläne. Parallel dazu entwickelte sich das Portal auch zu einem Diskussionsforum. Es gab schon Artikel, die mehr als 500 Kommentare erhielten.
Was haben die neuen Kiezmedien-Macher David und Robert mit MoabitOnline vor?
Erst einmal sind die zwei nicht allein, sondern arbeiten eng mit Susanne Torka und Jürgen Schwenzel bei der Neuausrichtung der Webseite als zentrales Kiezmedium für Moabit zusammen. „Es wird nicht MoabitOnline 2.0 werden, und auch kein Online-Blog“, sagt Robert. Doch natürlich werden er und sein Team bei „Moazin“ auf dem Bestehenden aufbauen. Susanne Torka z.B. wird dann nicht mehr so viel allein schultern müssen wie bisher bei MoabitOnline, sondern wird als Expertin u.a. für Wohnungs- und Mietfragen ein Mitglied der neuen ehrenamtlichen Redaktion. Diese soll unter Beteiligung aller Menschen in Moabit, die Lust daran haben mitzuwirken, sukzessive aufgebaut werden. Bei der Entwicklung der Redaktion steht der Werkstatt-Charakter im Mittelpunkt. Von der Recherche, über das Führen von Interviews und journalistisches Schreiben in verschiedenen Formaten bis zum Fotografieren und Presserecht – die Interessierten sollen von Profi Robert peu á peu dazu befähigt werden, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen.
Von “Zeit” bis “Zur Quelle” – ein journalistischer Profi als Leiter der neuen Bürgerredaktion
Die inhaltlichen Fäden dabei hält Robert mit seinen Fachkenntnissen in der Hand. Sein Rüstzeug erhielt er durch die Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Seit einigen Jahren schreibt er Artikel für Medien wie die Wochenmagazine „Zeit“ und „Spiegel“ sowie für den “Tagesspiegel” und das Magazin der Süddeutschen Zeitung (SZ). Der gebürtige Bonner studierte Geschichte, Soziologie und Journalismus in Potsdam, Granada und München. 2009 zog er von Bonn nach Berlin und landete zuerst in einer WG in der Emdener Straße in Moabit, was er in dieser Zeit als „wohlig warm“ beschreibt: „Ein richtiger Kiez eben.“ In den fünfeinhalb Jahren lernte er sein Viertel sehr schätzen. So sehr, dass er das Magazin „Zur Quelle“ gründete und – unterstützt von der Universität Potsdam – von 2013 bis 2020 herausgab. Namensgeberin war die Kneipe „Zur Quelle“ in der Stromstraße, in der auch die Redaktionssitzungen stattfanden. Als jemand aus Roberts Bekanntenkreis von der QM-Ausschreibung Kiezmedien erfuhr, meinte er spontan: „Robert, Moabit – das bist doch Du!“ Er bewarb sich und wurde genommen. Auch wenn der journalistische Profi mittlerweile in Friedrichshain wohnt, schlägt sein Herz für Moabit. An seiner Arbeit mag er besonders das „Magazinige“ und möchte gestalterisch tätig sein. Robert hat vor, mit dem neuen Kiezmedium den „Spirit (Geist) des Kiezes“ Moabit einzufangen. Ob es um die Kellnerin in der „Quelle“ oder den Späti-Verkäufer geht – ein Ziel sei es, mehr gute Geschichten über die – grob geschätzt – 80.000 Bewohner von Moabit zu erzählen. „Wir wollen vernetzen und eine Lanze für das Lokale brechen“, so David, also für das, was direkt vor der Tür passiert. Apropos, vor der Tür, bis zu seinem Umzug in den Wedding vor kurzem wohnte er mit seiner kleinen Familie ganz nahe am Stephans, dem Ort unseres Interviews, und zwar in der Stephanstraße: „2024 hab ich das Stephanplatzfest mit organisiert.“
Filmemacher Robert als Projektmanager
Um größere Verbreitung als die bestehenden Webseiten zu finden, sind auf der neuen „Moazin“ nicht nur Ankündigungen von Veranstaltungen geplant, sondern auch Berichte darüber im Nachgang. Rückendeckung erhält Robert bei seiner journalistischen Arbeit bei allem Organisatorischen durch David, der nach einem Sozialen Jahr in Indien an der Filmakademie Baden-Württemberg Dokumentarfilm-Regie studierte. Von 2019 bis 2022 studierte David für seinen Master an der Hochschule Potsdam und Filmuniversität Babelsberg im MBA-Studiengang Digitales Medienrecht und Management. Bei seinem Projekt „Grenzwandler“ geht es um eine standortbasierte App, mit deren Hilfe man sieben Touren entlang der früheren innerdeutschen Grenze unternehmen kann. Dabei „trifft“ man unterwegs Zeitzeugen und erfährt Wissenswertes über Orte, die durch die Grenzziehung der DDR 1961 geschliffen wurden oder ganz verschwanden. 2016 gründete David die Weltenwander Theater GbR für soziokulturelle Projekte und 2021 XR Anyhwere für crossmediale Formate. Zu einem seiner bislang erfolgreichsten Filmprojekte zählt die SWR-Dokumentation über E.J. Gumbel von 2019. Gumbel war ein jüdischer Statistik-Professor, Publizist und Pazifist, der zu Zeiten der Weimarer Republik ein prominenter Gegner des Faschismus und des aufkommenden Nazi-Regimes war.
Wunsch und Vision
Das Kiezmedium „Moazin“ soll zum ersten Ansprechpartner für Initiativen in und um Moabit werden. Ein Kernteam von etwa sechs bis zehn Leuten, die sich regelmäßig treffen und verantwortungsvolle Positionen innerhalb der Redaktion einnehmen, wünschen sich Robert und David. Darüber hinaus streben sie einen erweiterten Autorenkreis an, aus dem heraus über Dinge in Moabit berichtet wird, die die Menschen bewegen. Sie möchten dabei verschiedene journalistische Formate ausprobieren und regelmäßig Artikel veröffentlichen. Wie oft? Die beiden überlegen laut und meinen dann: „Ein Artikel pro Wochentag und dazu eine Wochenend-Reportage!“ Einmal im Monat ist Redaktionssitzung und einmal pro Monat wird ein Workshop organisiert, bei dem man spannendes Handwerkszeug lernen kann.
Mitmachen?
Wer Interesse daran hat, an der neuen ehrenamtlichen Bürgerredaktion in Moabit mitzuwirken, kommt einfach zu einem der ersten Treffen. Diese finden am 26. Juni 2025 und 10. Juli 2025 jeweils um 18.30 Uhr im Stephans in der Stendaler Straße statt. Man kann sich auch vorab melden an Robert Hofmann unter redaktion@moazin.de oder per Telefon an David Ruf unter 030 – 549 09 351
Mehr zu den Projektzielen auf https://www.quartiersmanagement-berlin.de/nachrichten/artikel/projektwettbewerb-gemeinsam-informiert-vernetzte-kiezmedien-in-moabit.html
…und zum Träger Rocinante Film GmbH auf https://rocinantefilm.com/
Text & Interviewfotos: © Gerald Backhaus 2025, die anderen Fotos stammen von David Ruf und Robert Hofmann
Zuerst erschienen auf der Webseite des QM Moabit-Ost: https://www.moabit-ost.de/aktuelles/interviews-von-gerald-backhaus/kiezmedium-moazin-und-buergerredaktion-juni-2025
Die nächsten Termine für die Bürger*innen-Redaktion MOAZIN:
immer um 18:30 Uhr
Do, 10.7. im Stephans, Stendaler Straße 9
Fr, 18.7. im JVB, Turmstraße 10
Do, 14.8. im JVB
Do, 28.8. im Stephans
Di, 9.9. im B-Laden, Lehrter Straße 30
Di, 30.9. im B-Laden
Hier der Flyer fürs MOAZIN, auch mit den journalistischen Workshops:
https://moabitonline.de/wp-content/uploads/2025/07/Moazin_Flyer.pdf