Barrierefreies Bauen
Wie ein Sockel das Denkmal, so erheben Stufen Personen und Kunstwerke, räumliche Bereiche oder ganze Gebäude. Gerade im Kirchenbau sind sie von besonderer Symbolik. Wie lässt sich das mit dem heutigen Bedürfnis nach Barrierefreiheit vereinbaren?
Barrierefreies Bauen war im 19. Jahrhundert noch kein maßgebliches architektonisches Gestaltungskriterium. Im Gegenteil symbolisierten Treppen im öffentlichen Raum auch ganz gewollt Unterschiede in der Augenhöhe, Bedeutung oder Wahrnehmung. Gleichzeitig waren sie aber auch Wege, Anstieg oder Gefälle im Raum zumindest körperlich zu überwinden. Eine sehr ambivalente Anlage – Problem und Lösung in einem.
Karl Friedrich Schinkel gilt als Hauptvertreter der großen, durch helle Farben und Symmetrien geprägten neoklassizistischen Architektur in Preußen. Freitreppen verstärken die Wirkung seiner oftmals wie antike Tempel anmutenden Bauten. Auch als der Baumeister die Johannis- und die Nazarethkirche als zwei der vier Vorstadtkirchen Berlins historistisch im Stil der Renaissance entwarf, legte er die Eingangsbereiche auf ein erhöhtes Plateau, das nur über Stufen zu erreichen ist. Während die Nazarethkirche in sieben Stufen betreten wird, erfolgt der Anstieg zu St. Johannis direkt über eine durchgängige Freitreppe von 13 Stufen. Der Zahl der Stufen kommt im Kirchenbau häufig symbolische Bedeutung zu, wobei Vollständigkeit und Vollendung eine große Rolle spielen: 3 steht für die Dreieinigkeit, 4 für alle Dimensionen, 7 als heilige Zahl für die Addition beider, 12 desgleichen für ihr Produkt. Die Anzahl der Stufen untermauert im Kirchenbau so symbolisch die sakrale Wirkung. Für St. Johannis geht diese Rechnung nicht auf.
Jede in Sakralgebäuden erklommene Stufe soll zudem herausfordernd den Gläubigen den Übergang vom profanen in den heiligen Raum bewusster machen. Was ist dabei aber – ganz weltlich betrachtet – mit den Mobilitätsbeeinträchtigten, mit den Rollatoren- und Rollstuhlnutzenden, mit den Kinderwagen und Kinderwagenschiebenden, für die Treppen in erster Linie Behinderungen darstellen? Während die vergleichsweise flachen Vortreppen der Heilandskirche und der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche bereits professionell mit langgezogenen Rampen nachgerüstet wurden, ist die Johanniskirche mit ihrer Freitreppe zu den Rundbogenportalen noch immer ein Problemfall, auch bedingt durch die notwendige Verankerung des Gebäudes auf der Sanddüne, dem höchsten natürlichen Punkt Moabits. Das dazugehörige Gemeindehaus tut es der Kirche nach. Seine Lage am Hang ermöglicht zurzeit einen barrierefreien Zugang zum Gemeindesaal nur über den nicht-öffentlichen Fluchtweg am Kirchturm oder – zu Öffnungszeiten – über den „Biergarten am Kleinen Tiergarten“.
Planungen für eine Rampe zur Küsterei, die eine maximale Steigung von sechs Prozent haben darf, das bedeutet etwa drei Meter Länge pro Stufe, laufen seit Jahren. Würde man diese „Norm Barrierefreies Bauen 18040“ auf die Freitreppe der Johanniskirche übertragen, wäre das durch Straßenverbreiterungen des letzten Jahrhunderts nur noch als Halbkreis erhaltene Vorplatz-Rondell nicht mehr befahrbar. Die ca. 40 Meter lange Konstruktion führte vor der Kirche, einer Schwebebrücke gleich, mit ihrem Ausläufer durch die Arkaden bis kurz vor den Friedhof St. Johannis I. Eine Rampe macht für die Freitreppe von St. Johannis also überhaupt keinen Sinn. Vielleicht ein Außen-Treppenlift im Portal? Der würde aber nur die Personen befördern – und wo blieben ihre Rollstühle und Kinderwagen? Und wie lange hält so ein Lift dort wohl dem Vandalismus stand? Fragen über Fragen. Unterstützung signalisieren die Obere und Untere Denkmalbehörde. Ihre Auflagen stehen der Barrierefreiheit nicht im Wege. Im Gegenteil: Auch sie fordern und fördern die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe von mobilitätseingeschränkten Menschen am öffentlichen Leben.
Umsetzbar wäre ein Fahrstuhl oder eine Hebebühne in einem dafür zu erschließenden Nebenraum der Kirche. Aber darüber, wo er bestenfalls ansetzen soll, besteht noch keine Einigkeit. Wo kann er zudem auch einen barrierefreien Zugang zu Sanitärräumen ermöglichen? Möglicherweise liegt die Lösung nahe, denn die Nazarethkirche auf dem Leopoldplatz mit ihrem schon seit Jahrzehnten in Unter- und Obergeschoss geteilten Kirchraum ist uns einen Schritt voraus. Dort wurde im vorderen westlichen Bereich ein Seiteneingang geschaffen und der ehemalige Treppenraum zu einem Fahrstuhlschacht. Über die hier einzurichtende Auf- und Abfahrtsmöglichkeit gelangen Mobilitätseingeschränkte ebenso wie Kinderwagen mit ihren Zugehörigen zukünftig zum Gottesdienst in die höhere Etage und von dort zurück auf den Leopoldplatz.
In Anbetracht des nahenden Jubiläums von Schinkels vier Vorstadtkirchen im Jahr 2035 wird die Renovierung von St. Johannis und auch der barrierefreie Zugang in den Kirchraum verstärkt im Bauausschuss der Evangelischen Kirchengemeinde Tiergarten ins Blickfeld genommen. „Obwohl noch zehn Jahre Zeit sind, gehen wir schon jetzt in die Prüfungsphase“, merkt Andreas Rademacher als Vorsitzender dazu an. „Gerade Sicherheitsstandards und Nachrüstungen sind dabei ein großes Thema.“
Zehn Jahre noch. Zehn Jahre können auf Berliner Baustellen schnell vergehen. Ebenso wie die Millionen Euros, die für eine Totalsanierung von St. Johannis, ihr zu präsentierendes Feiergewand, erst einmal aufgebracht
werden müssen. Mehr Barrierefreiheit ist das schnürende und dabei stützende Korsett. Die Annäherung an das Göttliche über Treppenstufen ist ein für viele sehr herausforderndes und damit exklusives Modell – heute arbeiten wir dementgegen an einer weitreichenden Teilhabe und größtmöglichen Inklusion.
Text und Foto: Martina Knoll
In Leichter Sprache:
Barriere-frei bedeutet: Alle Menschen können überall hin.
Zum Beispiel: Auch Menschen mit Behinderung.
Wichtige Orte sollen Barriere-frei sein.
Zum Beispiel: Eine Kirche.
Karl Friedrich Schinkel war ein wichtiger Architekt.
Er baute in Preußen.
Er baute auch Kirchen.
Zum Beispiel: Die Johannis-Kirche.
Die Eingänge sind auf einem höheren Platz.
Man kommt nur über Stufen dort hin.
Für manche Menschen ist das schwierig.
Zum Beispiel:
• Menschen mit Rollatoren
• Menschen mit Roll-Stühlen
• Eltern mit Kinder-Wagen
Das Gemeinde-Haus hat das Problem auch.
Das Gemeinde-Haus braucht eine Rampe.
Eine Rampe für die Johannis-Kirche ist zu lang.
Es gibt Pläne für einen Aufzug.
In 10 Jahren feiern wir ein Jubiläum.
Es geht um Schinkels Vorstadt-Kirchen.
Die Johannis-Kirche ist eine davon.
Die Johannis-Kirche soll einen Barriere-freien Zugang bekommen.
Der Bau-Ausschuss der Kirchen-Gemeinde spricht darüber.
Andreas Rademacher ist der Chef.
Er sagt: „Wir planen frühzeitig.
Nicht nur das Alte erhalten ist wichtig.
Auch neue Dinge sind wichtig.“
Der Umbau kostet viel Geld.
Mehr Barriere-Freiheit ist wichtig.
Viele Menschen haben Probleme mit Treppen.
Wir wollen, dass alle Menschen mitmachen können.
Zuerst erschienen in „Evangelisch in Tiergarten“, Ausgabe Juni/Juli 2025, Seiten 10-11
In diesem Heft gibt es auch auf Seite 9 einen historischen Artikel von Nico Zimmermann zur St. Johanniskirche, die in diesem Jahr 190 Jahre alt wird.