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Getarnt als Kaffeekränzchen: Frauen im Widerstand

In der Dependance des Mitte Museums im zweiten Stock des Rathaus Tiergarten steht ein neues Ausstellungsstück: ein überdimensionaler schief stehender weißer Stuhl mit den Lebensdaten Rosa Lindemanns auf der Lehne und Daten zu Ottilie Pohl sowie Dokumente der gemeinsamen Widerstandsgruppe auf der Sitzfläche. Dieser Stuhl stand mit anderen zuerst in einer Ausstellung des Aktiven Museums von 2005/6: „Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder“. Die Stühle erzählten die Geschichte von 32 ausgewählten Personen. Zu der Ausstellung ist auch ein gleichnamiges Buch (Rezension) erschienen.

Aber wie kommt dieser eine Stuhl 20 Jahre später nach Moabit ins Rathaus Tiergarten? Das erzählte die Historikerin Trille Schünke-Bettinger bei einer Veranstaltung des Mitte Museums Anfang März 2025, bei der sie mit der Historikerin Heike Stange über Netzwerke widerständiger Frauen in Moabit gegen den Nationalsozialismus berichteten und aus Aufzeichnungen von Rosa Lindemann lasen.

Schünke-Bettinger hat den Stuhl im Bezirksamt Lichtenberg entdeckt, der dort seit Ende der damaligen Ausstellung aufgestellt und so erhalten wurde, obwohl Rosa Lindemann keine Verbindung zu Lichtenberg hatte. Keiner konnte sich erinnern, warum er dort erhalten wurde. Sie hat sich dafür eingesetzt, diesen Stuhl in der Dependance des Mitte Museums im Rathaus Tiergarten aufzustellen, denn in Moabit hat Rosa Lindemann zeitweise gelebt und war vor allen Dingen nach 1933 in einer Widerstandsgruppe aus hauptsächlich Frauen aktiv, zu der mit vielen anderen auch Ottilie Pohl gehörte.

Geboren als Rosa Liesegang am 21. Februar 1876 in Spandau, zog sie mit 8 Jahren nach Moabit, heiratete 1895 und trat zusammen mit ihrem Mann Karl 1909 in die SPD ein. Sie wechselte während des ersten Weltkriegs zur USPD und trat 1920 mit dem linken Flügel in die KPD ein, für die sie bis 1933 Abgeordnete der Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin war und zugleich auch Bezirksverordnete in Tiergarten. Zusätzlich war sie aktiv in der Roten Hilfe Deutschlands und der Internationalen Arbeiterhilfe. 1944 starb ihr Mann und ihr Sohn Erich fiel vermutlich beim Einmarsch der Roten Armee in Nauen. 1945 arbeitete sie als Sachbearbeiterin im »Amt für soziale Fürsorge« in Finkenkrug und war ab 1946 als Rentnerin in Berlin-Moabit in der Kommunalpolitik der KPD/SED aktiv. 1953 übersiedelte sie zu ihrer Tochter nach Falkensee. Rosa Lindemann starb am 13. Juni 1958 in einem Pflegeheim in Staaken.

Die Historikerin Heike Stange war Mitglied der wissenschaftlichen Projektgruppe „Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder“ des Aktiven Museums e.V. und hat für verschiedene Bezirke Ausstellungen und Publikationen oder Vorträge zu Kommunalpolitiker*innen erarbeitet, so z.B. 2016 zu Steglitz und Zehlendorf, 2021 zu Wedding, 2024 zu Schöneberg-Tempelhof sowie eine Ausstellung zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts in Deutschland.

Stange las  aus den 12 Seiten einer Dokumentation der Aktivitäten der Moabiter Widerstandsgruppe, die Rosa Lindemann nach 1945 bei mehreren Stellen einreichte. Eine Anerkennung als Verfolgte des Nationalsozialismus erhielt sie nicht. Sie wird im Gegenteil von der schwierigen Situation vieler Kommunist*innen in der Nachkriegszeit im Westen Deutschlands belastet gewesen sein, während des sog. Kalten Krieges.

Verschiedene an der Widerstandsgruppe beteiligte Frauen aus der Arbeiter*innenbewegung wurden mit ihren Wohnorten vorgestellt. Sie sammelten Geld und Lebensmittel für die Angehörigen von Inhaftierten, sie besuchten sie in den Gefängnissen, sie unterstützten die Familien auch ganz praktisch im Alltag etwa bei der Kinderbetreuung oder nähten Kleidung und besserten sie aus. Sie versteckten politisch und rassistisch Verfolgte und verteilten antifaschistische „Streuzettel“. Die Arbeit der Moabiter Widerstandsgruppe wurde als erfolgreichste Gruppe der Roten Hilfe bezeichnet, was die Spendensammlungen betraf. Die beiden Historikerinnen erklärten, wie wichtig der nachbarschaftliche Zusammenhalt und das Vertrauen untereinander war. Die Tarnung als private Kaffeekränzchen funktionierte gut. Außerdem entsprach das sich Kümmern um Verfolgte, die Unterstützung von Kindern und Familien den Erwartungen der Gesellschaft an die Frauenrolle. Erstaunlich ist der Mut, derjenigen Frauen, die verhaftet waren, die kürzere Zeit oder Jahre im Gefängnis verbrachten und danach trotzdem im Widerstand weiterarbeiteten.

Im vergangenen Jahr wurden die widerständigen Frauen aus Moabit bei mehreren Stadtführungen von Trille Schünke-Bettinger vorgestellt. Recherchen über Frauen im Widerstand werden auf der Webseite „Antifaschistinnen aus Anstand“ zusammengetragen und 2023 ein Projekt zu Stadtführungen in allen 12 Bezirken erarbeitet.

Hier noch eines der Gedichte von den Streuzetteln, das auf dem Stuhl dokumentiert ist: „An die Frauen!  1939  An die Männer!“

Beide Historikerinnen sind mit verschiedenen Moabiter Gruppen und Einzelpersonen im „Netzwerk Ottilie Pohl“ engagiert. Das Netzwerk gründete sich, um wieder an Ottilie Pohls letzten Wohnort, der Beusselstraße 43, an sie zu erinnern. Denn etwa 2017 ist die dort angebrachte Gedenktafel des Landes Berlin verschwunden. Unterschriften wurden gesammelt, Anfragen an die Bezirksverordnetenversammlung gestellt. Schließlich stellte sich heraus, dass der Hauseigentümer die dafür notwendige Genehmigung verweigert. In 2023 und 2024 hat das Netzwerk jeweils im November Aktionsmonate mit vielen Veranstaltungen organisiert.

Am 10. Mai 2025 wird ein Stolperstein für Ottilie Pohl vor dem Haus verlegt werden. Der genaue Zeitpunkt ist noch nicht bekannt.

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