So können Sie mitmachen!

»Wie geben wir dem öffentlichen Raum eine neue Qualität?«

Ein Gespräch mit dem neuen Bezirksstadtrat Christopher Schriner

Christopher Schriner ist der neue Bezirksstadtrat für Ordnung, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen im Bezirksamt Mitte und trat damit im April die Nachfolge von Dr. Almut Neumann an.
Der gebürtige Bonner (Jg. 1980) absolvierte ein Architekturstudium an der FH Köln. Seit 2013 lebt er in Berlin und war als Architekt, später auch als Gesellschafter in einem Büro für Wettbewerbswesen, Stadtentwicklung und Projektentwicklung tätig. Mit seiner Ernennung zum Stadtrat legte er diese Tätigkeit nieder. Christopher Schriner lebt seit 2017 mit seiner Familie in Moabit.

Herr Schriner, bevor Sie Stadtrat wurden, waren Sie für das Büro C4C tätig, das auch in Berlin viele wichtige Projektentwicklungen und Beteiligungsverfahren begleitete, u.a. bei den Karstadt-Warenhäusern am Leopoldplatz und am Hermannplatz, beim geplanten »Central Tower« an der Jannowitzbrücke oder auch dem ULAP -Areal am Hauptbahnhof. Was ist der Brückenschlag zu Ihrer jetzigen Tätigkeit als Stadtrat »für den öffentlichen Raum«, wie Ihre Vorgängerin das Ressort gern nannte? Immerhin haben Sie auch einen Seitenwechsel vollzogen: von einem freien Büro hin zu Politik und Verwaltung …

Raumgestaltung und Raumentwicklung waren schon meine Themen, als ich an der Universität Aachen tätig war. Das Spannendste ist für mich der öffentliche Raum. Wir sind in Berlin allerdings in der Realität noch längst nicht so weit, wie wir es gedanklich oft sind. Das Wissen ist da, die praktische Umsetzung dauert dagegen sehr lange.
Ein schönes Beispiel ist das Masterplanverfahren für die Berliner Mitte rund um die Friedrichstraße: In den neuen Gestaltungsrichtlinien wird nun die Klimaanpassung stärker in den Blick genommen. Es gibt einen Wandel im Verwaltungsdenken – aber vieles geht in der Praxis natürlich langsamer, als man sich das oft wünschen würde.

Den Wandel spürt man auch in Mitte beispielsweise beim Straßen- und Grünflächenamt, das jetzt viel offener ist für Bürgeraktivitäten wie die Bepflanzung von Baumscheiben. Es zeigt sich auch in der Priorisierung von Maßnahmen durch Ihre Vorgängerin, die relativ zügig, einfach und mit wenig Kostenaufwand umsetzbar waren – etwa Fahrradständer an Kreuzungsbereichen, statt diese aufwändig baulich umzugestalten.

Dieser Strategiewechsel war sehr klug. Wichtig ist, bei solchen Prozessen Bürgerinitiativen als Partner zu begreifen, nicht als Gegner. Das sieht man auch bei den Kiezblocks, die ja eigentlich immer durch Bürgerinitiativen vor Ort angeregt werden – und im Regelfall nicht durch die Verwaltung. Den nächsten Schritt gehen wir, indem wir uns zum Beispiel in den Kiezblocks mit der Gestaltung der Räume beschäftigen. Durch das Heraushalten des Durchgangsverkehrs laden die ja teils sehr großen Straßenräume plötzlich wieder zu anderen Nutzungen ein, beispielsweise in der Bellermannstraße.
Wie gestalten wir diese Räume? Wie verleihen wir ihnen eine neue Qualität, damit auch für Kritiker der Kiezblocks und der Verkehrsberuhigung der Mehrwert erkennbar und spürbar wird? Wir müssen uns klarmachen: In den letzten 20 Jahren sind ca. 80.000 Menschen in den Bezirk Mitte gezogen, die Bevölkerung ist um ca. 20 % gewachsen. Gleichzeitig schwindet durch die Bautätigkeit der öffentliche Raum immer mehr und Nutzungskonflikte nehmen zu.

Viele Vorhaben scheiterten in der Vergangenheit auch an den mangelnden Planungs- und Umsetzungskapazitäten der Verwaltung …

Zum Strategiewechsel gehört auch eine andere Weise des Herangehens: Statt erstmal lange einen möglichst perfekten Plan auszutüfteln, um ihn dann irgendwann vielleicht umsetzen zu können, geht es jetzt viel stärker darum, das Machbare zu beginnen und die eventuell auftauchenden Probleme im Prozess zu lösen.

Problematisch wird es in Verkehrsfragen, sobald die zweistufige Verwaltung ins Spiel kommt: So ist der Senat für Hauptstraßen zuständig, und der vollzieht in Sachen Verkehrsberuhigung oder Fahrradwege ja momentan eher eine Rückwärtsrolle.

Es gibt einen vom Senat beschlossenen Radverkehrsplan für Berlin, der die Basis für unsere Planungen darstellt. Mit der Senatsverkehrsverwaltung gibt es derzeit eine Diskussion über einiges, was im vorhin erwähnten Masterplangebiet Berliner Mitte liegt. Das betrifft vor allem auch das dort vom Bezirk geplante Fahrradstraßennetz, etwa die Charlottenstraße. Verkehrsfragen sind natürlich in einer Großstadt in Berlin immer hochkomplex. Man muss sie auch gesamtstädtisch betrachten: In Berlin-Mitte gibt es schon durch die zentrale Lage des Bezirks einen viel stärkeren Durchgangsverkehr als in den Randbezirken.
Wenn es aber Möglichkeiten gibt, mit dem Fahrrad von Spandau aus sicher nach Mitte zu kommen, dann könnte das unter Umständen ja auch die ewig verstopfte Heerstraße in Spandau etwas entlasten … Zudem gelten auf EU-Ebene auch weiterhin Sektorenziele bei der Verringerung des CO2-Ausstoßes, auch wenn diese jetzt auf Bundesebene gelockert wurden. Halten wir uns nicht daran, könnte das auch Strafzahlungen nach sich ziehen.

Der Bezirk richtet derzeit sehr viele Fahrradstraßen im Nebenstraßenbereich ein, was bei vielen gut ankommt. Aber viele einzelne Straßen ergeben ja noch kein Netz: Oft bleiben Löcher, wo es gefährlich wird und wo man seine Kinder mit dem Rad nicht fahren lassen möchte.

Es gibt da immer wieder schwierige Punkte. Ein Beispiel ist die Einmündung der Oranienburger Straße in die Friedrichstraße, dort, wo der Prototyp der Fahrradstraßen von Mitte, die Linienstraße, endet. Hier wird es plötzlich sehr eng: zwei Hauptstraßen, die Straßenbahn, ein U-Bahnhof und überall Touristen. Um solche Stellen zu sichern, braucht man ein völlig neues Denken in der Verkehrspolitik.

Es gibt auch andere konkrete Konfliktstellen. So fehlt in der Nördlichen Luisenstadt an der Kreuzung Köpenicker und Adalbertstraße eine Ampel: Für die wäre die Senatsverwaltung zuständig, denn die Köpenicker ist ja eine Hauptstraße. In der Adalbertstraße wird im August aber eine neue Grundschule eröffnet. Dann geht es auch um die Sicherheit von Schulkindern …

Ich bin sehr froh darüber, dass wir auf Bezirksebene die AG Schulwegsicherheit wieder gestartet haben, die sich mit konkreten Lösungsmöglichkeiten beschäftigt und für die sich auch mein für Schule und Sport zuständiger Kollege, Bezirksstadtrat Benjamin Fritz, sehr engagiert. Daran sind nicht nur die Verwaltungen beteiligt, sondern auch die Schulen, Elternvertretungen und Initiativen. Dabei werden wir auch mit dem Thema der sogenannten „Eltern-taxis“ umgehen müssen, denn in der Realität ist es nun einmal so, dass Eltern schon aus praktischen Erwägungen auf dem Weg zur Arbeit und vielleicht auch zur Kita des Geschwisterkindes das Schulkind eben im Auto zur Schule bringen.

Kommt Ihnen Ihre frühere Tätigkeit bei C4C bei Ihrer jetzigen Aufgabe zugute?

Ich könnte diese Arbeit gar nicht machen ohne die zehn Jahre bei C4C zuvor. Dort habe ich viel über Grundlagen des planerischen und Verwaltungshandelns erfahren, etwa über Bebauungspläne und ähnliches. Zugleich habe ich dort gelernt, wie man Bedarfe ermittelt, Verfahren – z.B. Wettbewerbsverfahren – betreut und Prozesse strukturiert, in denen Menschen zusammen diskutieren, um zu gemeinsamen Zielvorstellungen und Ergebnissen zu kommen. Beim Dialogverfahren zum Stadteingang West (Ersatzneubau Autobahndreieck Funkturm) etwa waren am Ende über 70 Beteiligte zu integrieren, die alle etwas beizusteuern hatten.

In der Vergangenheit gab es bei manchen Maßnahmen auch Unmut bei Anwohnern oder Gewerbetreibenden, die beklagten, dass sie zuvor nicht oder nicht ausreichend über das Geplante informiert worden waren. Wie wollen Sie es künftig mit der Beteiligung halten?

Öffentlichkeitsarbeit ist sehr wichtig, um Maßnahmen vorzubereiten und zu begleiten. Aber es gibt keine pauschalen Regeln dafür, wie sie aussehen und ablaufen sollte. Die Beteiligung kann sich von Fall zu Fall anders gestalten, je nachdem, worum es konkret geht und wer davon betroffen ist. Es gibt überall Veränderungen, und jede Maßnahme muss anders begleitet werden.
Wir spüren alle, dass wir in schwierigen Zeiten leben und eine problematische Grundspannung wächst: Viele klagen, dass Aggressionen zunehmen, auch im Verkehr. Wir müssen aber auch klarmachen, dass nicht alles sofort geht und dass es nicht die eine, große Lösung für alles gibt. Aber man muss sich auch vor Augen halten: Es geht um den öffentlichen Raum, der uns alle betrifft und der uns einen Ort gibt, in dem Gemeinschaft unterschiedlicher Menschen in der Gesellschaft jeden Tag gelebt wird.

Interview: Christof Schaffelder, Ulrike Steglich, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte

Zuerst erschienen in der ecke turmstraße, nr. 3 – juni/juli 2024

Schreibe einen Kommentar

Beachte bitte die Netiquette!