So können Sie mitmachen!

Ausstellung „Angekommen – in der Zukunft“

Integration in Aktion – unsere Stimmen, unsere Zukunft!

Es war eine feierliche Ausstellungseröffnung am 10. Mai mit wunderbar vorgetragenen Liedern und Gitarrenmusik – leider ist die Ausstellung jetzt nur noch bis morgen zu sehen. Dankesreden hielten die BVV-Vorsteherin Jelisaweta Kamm (Grüne) und Christoph Keller (Linke), Bezirksstadtrat für Jugend, Familie und Gesundheit. Beeindruckend der Werdegang der Mädchen – dokumentiert durch Zeugnisse, Praktikumsbescheinigungen und ähnliches. Auch viel interessante Kunstproduktion ist zu sehen.

Hier möchten wir die beeindruckende Rede, die die Mädchen gemeinsam geschrieben haben – vorgetragen von Assia Shanibaqi, dokumentieren:

„Meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
herzlich willkommen, wir freuen uns über Ihr Kommen und hoffen, Ihr Weg war nicht weit und beschwerlich – unserer war weit, beschwerlich und gefährlich.
Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, weil uns das Sozialsystem versorgen soll, sondern weil Freiheit, Würde, Gleichberechtigung und Bildung unser Leben bestimmen möge.
Wir gaben unsere Heimat auf, weil der IS Tausende von uns töteten und hunderttausende Frauen vergewaltigten.
Unsere Eltern wollten nicht, dass ihre Söhne, unsere Brüder, in einer Diktatur Soldaten werden müssen und dann auf Verwandte, Freunde und andersdenkende Landsleute schießen müssen.
Wir mussten flüchten, weil wir Mädchen zur Schule gingen, die Eltern Briefe mit Morddrohungen erhielten, wenn wir nicht die Schule verlassen.
Wir kamen, weil die Zugehörigkeit zur Opposition, die Meinungsfreiheit und das Bekenntnis zur Demokratie lebensgefährlich wurde.
Wir kamen, weil Kurden Menschen zweiter Klasse sind, keine Arbeit, keine Bildungschancen haben, also keine Zukunft.

Wir kamen nach Deutschland, nach Berlin, nach Moabit in eine Notunterkunft in der Levetzowstraße und wurden freundlich, wie selbstverständlich aufgenommen.
Wir hatten Essen und Trinken und alles, was für das tägliche Leben notwendig war.
Viele Menschen spendeten nur schöne Dinge, um uns eine Freude zu bereiten.
Der erste Nikolaustag am 6. Dezember 2015 war toll, wir waren sehr glücklich.
Wir Mädchen bildeten dort schon eine Gruppe, dadurch fühlten wir uns besser.
Eines Tages kam Jemand, jeder weiß, wer Jemand ist, und sagte energisch: Als erstes müsst ihr die deutsche Sprache lernen, anders geht es nicht, sonst steht ihr im Regen und habt das Nachsehen.

Wir hatten keine Wahl!
Bald hatten wir, die noch im Grundschulalter waren, einen Schulplatz. Hier möchten wir uns aus ausdrücklich und nachträglich bei Frau Vogt aus dem damaligen Sprachförderzentrum in der Turmstraße bedanken.
Die von uns, die zu alt für die Grundschule waren und auf einen Schulplatz in einer weiterführenden Schule warteten, hatten jeden Tag Deutschunterricht bei Jemand.
Sie lernten nicht nur: Wo ist die U-Bahnstation, sondern wurden mit Präpositionen, Verben, Passiv und Aktiv und vielem anderen gequält.
An den Sonnabenden stießen die Kleineren dazu und sangen, unser erstes Lied war ‚ABC – die Katze lief im Schnee‘!

Eines Tages kam Jemand und sprach: So Ladys, ab heute wird gesungen, gesungen und nochmals gesungen. Mir ist aufgefallen, wie schnell ihr beim Singen die deutsche Sprache lernt und das Wichtigste; ihr versteht dadurch sehr schnell den Inhalt.
Und wir sangen und lernten deutsche Lieder.
Wir sangen zum ersten Mal zum Weltfrauentag am 8. März 2016, den wir ganz groß in der Notunterkunft feierten. Wir sangen ‚Die Gedanken sind frei‘ und die Levetzowgirlshymne: ‚Kein schöner Land‘. Das war die Geburtsstunde des Chores ‚die Levetzowgirls‘ – wir wurden fortan wahrgenommen.

Das war unser Glück! Wir sangen uns in die Gesellschaft aber auch in die Politik: W und bei wem wir sangen ist mit Fotos auf den Stelltafeln festgehalten. Von vielen Organisationen, Parteien und Einzelpersonen wurden wir finanziell unterstützt.
Der paritätische Wohlfahrtsverband ermöglichte uns den Kauf von Chorkleidung. Die Föderation türkischer Elternvereine übernahm die Patenschaft für uns und vieles war dadurch möglich. Beispiele: Schwimmunterricht wurde von der Föderation finanziert. Wir können alle schwimmen. Die Kosten für Gesangsunterricht für eine von uns wurden auch übernommen. Deshalb lieber Ismet: Vielen Dank für alles.
Die Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung Miitte, aufgezählt nach dem ABC: CDU – Grüne – Linke – SPD haben uns sehr geholfen, um uns den Einstieg in ein neues Leben leichter aber auch schöner zu machen.
Sie ermöglichten den Kauf von Schreibtischen für die von uns, die schon eine eigene Wohnung hatten. Wir konnten Musikinstrumente, wie Gitarren und Schlaginstrumente kaufen und fanden dadurch den Zugang zum teeny Musik treff.
Die ersten Schultaschen kamen auch aus einer großzügigen Spende und nicht zu vergessen sind die Gagen nach unseren Auftritten. Oft waren die Gagen Büchergutscheine.
Wir besuchten durch die finanziellen Hilfen Konzerte, Opern, den Friedrichstadt-Palast, den botanischen Garten während der Adventszeit mit den wunderschönen Illuminationen und hatten einen tollen Blick vom Fernsehturm über ganz Berlin.

Sport wurde auch nicht vernachlässigt. Wir waren zur ISTAF und zu einem wichtigen Basketballspiel in der Mercedes-Arena. 
Hier was Lustiges: Alle feuerten die Mannschaft an, auch Zahra, bis einer zu ihr sagte: Mensch Zahra, du brüllst für die falsche Mannschaft. Ist Zahras Demokratieverständnis!

Was durften wir lernen, was haben wir durch all das erfahren dürfen?
Dass Bildung ein wünschenswertes Ziel ist.
Sie ist die Öffnung in eine Ausbildung, in ein Studium, in einen Beruf, in ein selbstbestimmtes Leben.
Dass soziale Kontakte der Weg in eine funktionierende Gesellschaft sind.
Dass das Erreichen von sozialen Kompetenzen ebenso wichtig ist wie Bildung.
Und Gruppenfähigkeit haben wir durch die schönen Reisen mit Karin vom teeny Musik treff gelernt und erfahren dürfen.

Dann kam Corona, soziale Kontakte brachen ab, einige von uns gingen uns verloren.
Doch nun sind wir wieder da: Wir sind Ihnen was schuldig!

Der Anfang unseres Hierseins war geprägt durch den Begriff: Willkommenskultur. Wir haben sie erfahren. Wir fühlten uns gut und sicher.
Jetzt spricht eine Partei von Remigration. Wir fühlen uns nicht mehr gut. Nicht mehr sicher. Es ist feindselig und macht uns Angst.
Hunderttausende von Deutschen gingen und gehen für die Demokratie auf die Straße. Diese Menschen setzen sich somit auch für uns ein. Danke!
Unsere kleine Ausstellung über unseren Werdegang hier in Berlin, in Deutschland, soll beweisen, was wir beitragen werden, wenn man uns lässt.
Was wir in den acht Jahren unseres Hierseins geleistet haben und weiter leisten werden. Wie dumm aber auch verantwortungslos es gegenüber der Gesellschaft ist, Menschen remigrieren zu wollen. Beispiele mit schlimmen Auswirkungen wären Pflege, Gastronomie, Verkehr, um nur einige Bereiche zu nennen.
Wir wollen mit unserer kleine Ausstellung – ein praktischer Protest – dazu beitragen, dass all die, die uns ausweisen wollen, begreifen, welche Lücken sie schaffen würden.

Wir wollen und werden vieles umsetzen, was wir uns vorgenommen haben. Das, was uns gegeben worden ist, trägt Früchte und wir sind uns sicher: Wir sind gelungene Integration.
November 2016 haben wir hier zur konstituierenden Sitzung der BVV gesungen ‚Die Gedanken sind frei‘ und ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘. Das alles nehmen wir auch für uns in Anspruch – wohl wissend, dass zu Rechten auch Pflichten gehören.
Wir sangen im Dezember 2018 zur Weihnachtsfeier im Innenministerium. Minister war Horst Seehofer. Er begrüßte uns mit den Worten: Schön, dass ihr da seid. Ja, es ist schön – wir wollen bleiben – wir werden bleiben – dafür sorgen wir gemeinsam.
Es ist unsere Bitte!“

In Kürze wird auf der Seite der FÖTED-Föderation türkischer Elternvereine in Deutschland e.V., die mit dem Projekt „Gemeinsam. Schaffen. Teilhabe durch Patenschaften“ die Mädchen schon lange und immer wieder durch Patenschaften unterstützt haben, der neue Film von dieser Veranstaltung eingestellt werden: https://tuerkische-elternfoederation.de/projekte/gemeinsam-schaffen/

ursprünglicher Artikel vom 2. Mai 2024:

Zu Beginn 2016 fanden sich zahlreiche junge Mädchen aus der Notunterkunft Levetzowstraße, die die Freude am Singen verband. Mit der Gründung eines Chores stellten sie schnell fest, dass man beim Singen die deutsche Sprache viel schneller lernen kann.

Die Gruppe wurde begleitet und motiviert durch Jutta Schauer-Oldenburg vom Verein Integrationsbund Mitte. Auf dessen Webseite wurde schon mehrfach über den Werdegang der Levetzowgirls“ berichtet (siehe unten). Die syrischen, kurdischen und afghanischen Mädchen verband ein gemeinsamer Hintergrund: Sie alle sind geflüchtet vor Krieg und Not.

Vor der Bezirksverordnetenversammlung Berlin Mitte

Bald sangen sie sich in die Herzen unserer Gesellschaft – und in die Politik. Es gab u.a. Auftritte bei der BVV Mitte (Link) und sogar im Bundesinnenministerium (Link).

Aus den einstigen Schulmädchen ohne jegliche Deutschkenntnisse wurden inzwischen selbstbewusste junge Frauen, die zum Teil noch das Gymnasium besuchen und sehr gute Noten vorweisen können. Andere besitzen schon die Allgemeine Hochschulreife, studieren Bauingenieurwesen oder Lehramt. Eine der Frauen absolviert eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin, eine arbeitet bereits als Sozialassistentin und eine weitere hat eine Festanstellung bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Zwischen den beiden Bildern liegen sieben erfolgreiche Jahre:

Mit Staatsministerin Alabali-Radovan im Bundeskanzleramt

Aktuell bereiten die Frauen eine Ausstellung mit dem Thema „Angekommen – in der Zukunft“ vor, die in der Zeit vom 10. bis 17. Mai 2024 im Rathaus Mitte, Karl-Marx-Allee 31,  10178 Berlin zu sehen sein wird.
Sie wollen deutlich machen, welchen gesellschaftlichen Verlust es bedeuten würde, wenn gut ausgebildete Geflüchtete, oftmals mit erworbener Deutscher Staatsbürgerschaft, „remigriert“ werden würden.
Sie werten ihre Ausstellung als einen Protest gegen ein rechtsnationales und völkisches Gedankengut und als Dank an die Hunderttausende Menschen, die auch für sie auf die Straße gehen und sich für den Erhalt unseres Grundgesetzes einsetzen.

Kommt zur Ausstellungs-Eröffnung mit Buffet und Musik am 10. Mai 2024 um 17 Uhr!

Wer die Erfolgsgeschichte der Levetzowgirls aus der ehemaligen Unterkunft für Geflüchtete in der Levetzowstraße nachlesen will:

19.12.2018 – Die Levetzowgirls sangen im Bundesministerium für Inneres   

12.05.2017 – Die Levetzowgirls besuchen Hamburg

15.11.2016 – Auftritt des Mädchenchors der NUK Levetzowstraße bei der konstituierenden Sitzung BVV Mitte

18.08.2016 – Ein Schritt in die Integration

und so hat es (bei MoabitOnline) angefangen:

04.04.2016 – Integration kann man auch durch Feiern erreichen

18.01.2016 – Musikinstrumente für Flüchtlingskinder gesucht

Text: Integrationsbund Mitte e.V., Fotos: Jutta Schauer-Oldenburg, Plakat zur Ausstellung: Shirin

Zuerst erschienen auf der Webseite des Integrationsbund Mitte e.V.

Nachtrag:
Lesen Sie auch die Pressemitteilung des Bezirksamts zur Ausstellung.

Ein Kommentar auf "Ausstellung „Angekommen – in der Zukunft“"

  1. 1
    Susanne Torka says:

    Eine Aktualisierung des Artikels dokumentiert die beeindruckende Rede der Mäddchen

Schreibe einen Kommentar

Beachte bitte die Netiquette!