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„Beusselstraße – Gestern und Heute“

Fotografien aus Geschichte und Gegenwart dieser Berliner Straße – Ausstellung im Stadtteilbüro

Berlin ist eine Stadt im Wandel. Das kann man gut auch an einer einzelnen Straße beobachten. Christian Winterstein hat das mit der Beusselstraße versucht und den Wandel selbst fotografisch dokumentiert. Sein Unterfangen mündete in eine Ausstellung im Quartiersbüro des Quartiersmanagements Beusselstraße (QM), die durch den Aktionsfonds gefördert wurde. So entstand am Ende nicht nur ein beeindruckendes Zeitdokument, sondern es gab auch einen Austausch zur Entstehungsgeschichte und zum Wandel Moabits zwischen den Besucherinnen und Besuchern. Bei seiner Dokumentation von Lebensgeschichten sind für Winterstein neben der reinen Illustration der Lebensumwelt auch das Gespräch und die Vernetzung im Kiez von Bedeutung.

Von Frisör Bassam El-Youssef und Schuhmacher Jürgen Rahn

Bei der Vernissage am 28. Februar 2023 erläuterte der Sozialpädagoge und Kulturarbeiter seine Vorgehensweise vor seinem Lieblingsfoto. Im Hintergrund läuft das extra ausgewählte Lied „Irgendwas bleibt“ von Silbermond. Christian Winterstein stammt aus Bremen, lebt seit drei Jahren in Berlin und ist ein direkter Nachbar des Quartiersmanagements. Sein Lieblingsfoto – oder besser gesagt sind es zwei – ist das 2022 entstandene Bild vom Frisörsalon „Al Aqsa“, auf dem der Frisör Bassam El-Youssef so ähnlich vor dem Geschäft posiert wie Schuster Jürgen Rahn vor seiner Schuhmacherei im selben Ladenlokal sage und schreibe 33 Jahre zuvor. 1999 wurde dieses Foto von Barbara Esch Marowski aufgenommen. Das ist das Besondere an dieser Ausstellung: Christian Winterstein grub sich ins Landesarchiv Berlin ein, um historische Aufnahmen der Beusselstraße zu entdecken und 2022 vom gleichen Standort aus zu fotografieren. Er wurde im Archiv fündig. Die ältesten Bilder, die er auswählte, stammen vom Ende der 1940er Jahre, da sind noch Kriegsschäden zu sehen und aus der Zeit des Wiederaufbaus in den 50ern. „Mich hat interessiert, welche Geschichten in diesen Bildern stecken“, so Fotograf Winterstein. Wo in den 1970ern eine Bank ihr Geschäft in der Beusselstraße betrieb, befindet sich heute eine libanesische Konditorei. In dem Ladenlokal, in dem sich in den 1990er Jahren ein Nachbarschaftsladen befand, der später in die Rostocker Straße zog und sich zum Stadtschloss mauserte, werden heute Allianz-Versicherungen verkauft. Und wo sich einst die Apotheke und der Spielwarenladen befanden, ist heute ein reines Wohnhaus. Mit seinen 26 gerahmten Gegenüberstellungen in schwarz-weiß dokumentiert Winterstein, wie sich die Beusselstraße verändert und gewandelt hat, nicht nur was das Bauliche angeht, sondern auch die Bevölkerungsstruktur betreffend. Er hat Menschen auf der Straße, Geschäftsleute, Gebäude und Hinterhöfe fotografiert.

Vorbild August Sander und seine “Menschen des 20. Jahrhunderts”
Ein Vorbild für ihn ist August Sander, ein Fotograf der unter dem Motto „Menschen des 20. Jahrhunderts“ in den 1920er und 30er Jahren Menschen verschiedener Berufsgruppen, Klassen und Stände vor die Kamera holte, darunter auch „Arbeitslose und Bettler. Also eigentlich alle: vom Bauern bis zum Musikwissenschaftler“, so Christian Winterstein. Ein weiteres Lieblingsfoto von ihm ist das mit dem Sexshop Manolito am Beusselberg von 1999, in dem sich heute ein Spätkauf befindet. Das Bild von vor 33 Jahren stammt auch von Barbara Esch Marowski, die damals mit ihrer Kamera durch den Kiez gestreift ist, um Alltagssituationen zu fotografieren. Heute leitete sie die Galerie „Haus am Kleistpark“ und wollte auch zu Christian Wintersteins Vernissage kommen, doch war sie da leider gerade verreist. An einigen der Gegenüberstellungen von „Gestern und Heute“ ist die bauliche Verdichtung zu bemerken, so z. B. bei dem Bildern von der Beusselbrücke. Auf dem Foto von 1953 sieht man da ein noch weitestgehend leeres Areal, auf dem der Großmarkt gebaut wird. Auf dem Bild von 2022 ist alles bebaut. Christian Winterstein wunderte sich bei seinem

Von der Bratwurstbude zum Döner-Imbiss an der Ecke Huttenstraße – zum Vergleich: oben “Gestern”, unten “Heute”

fotografischen Streifzug an einigen Ecken darüber, wie grün die Beusselstraße doch ist, wo sie doch einen Ruf als Durchgangsstraße mit viel Verkehr hat. Das lässt sich bei den Fotos von der Samenhandlung und der Kreuzung von Beussel- mit der Huttenstraße gut erkennen. Und wo damals Straßenbahnschienen lagen, verkehren heute Busse. Kommt die Straßenbahn hier wieder, und wenn ja: wann.

Farbige Fotos von 2022
Als Ergänzung zu „Gestern und Heute“ präsentiert Christian Winterstein im QM-Büro farbige Bilder von Menschen und Gebäuden in der Beusselstraße, die im Sommer 2022 entstanden. Da finden sich ein rund hundert Jahre altes Treppenhaus und der neue große Gebäudekomplex mit dem Fröbel-Kindergarten gegenüber der Aral-Tankstelle. Auf einem alten Schild liest man den Hinweis „Vorsicht gebohnert und auf einem handgeschriebenen Zettel, dass eine Schneiderei bald schließen wird. Besonders heraus sticht das großformatige Bild von Kalle, einem Bewohner der Beusselstraße, der sich seine Rente aufbessert, in dem er Metallschrott sammelt und im Westhafen verkauft.

“Genau das, was ich immer wollte”
Christian Winterstein macht mit dieser Ausstellung genau das, was er immer wollte: „Ausstellungen im kommunalen Bereich“. Zuvor hatte er Postkarten des Weddinger Arbeiterpaares Otto und Elise Hampel, zweier Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, im Hans-Fallada-Museum Carwitz, im Ringelnatz-Geburtshaus Wurzen, in der Galerie des Kulturverein Feldberger Land sowie in verschiedenen Bibliotheken wie z.B. der von Neuenhagen gezeigt. Zu seiner neuen Ausstellung hier im Moabiter Westen, die durch den Aktionsfonds des QMs finanziell gefördert wurde. lud er viele der Porträtierten ein. Mal sehen, ob sie kommen werden. Der Neuberliner hofft auch, dass die insgesamt 53 Fotografien auf Wanderschaft gehen und auch an anderen Orten im Quartier ausgestellt werden, beispielsweise in der Reformationskirche oder dem Stadtschloss. Außerdem möchte er weitermachen mit seinen fotografischen Dokumentationen im Kiez und Geschäftsräume und Wohnungen mit ihren Einrichtungen festhalten. Besonders gern möchte er dazu mal in das Hotel „Sickinger Hof“. Die von ihm angefertigten Bilder plant er, später dem Landesarchiv Berlin zu überlassen. Vielleicht findet sie dort ja jemand in 30 Jahren und greift sein Motto „Gestern und Heute“ auf und kombiniert sie dann mit neuen Fotos der Beusselstraße im Jahr 2053?

Selbst bewerben mit einem Projekt?
Gefördert wurde die gesamte Aktion durch den Aktionsfonds, der durch das QM Beusselstraße verwaltet wird. Dadurch konnten die Entwicklung und der qualitativ hochwertige Druck, die Rahmung sowie die Vernissage finanziert werden. Mehrere Male im Jahr findet ein Aufruf statt, zu dem sich Interessierte aus der Bewohnerschaft melden können, um kleinere Aktionen bis 1.500 € gefördert zu bekommen. Eine Jury entscheidet über die Anträge. Hier findet man alle Informationen darüber, wie man mitmachen kannst. Der nächste Aufruf ist für Mitte April 2023 geplant.

Text & Fotos: Gerald Backhaus 2023

Die Ausstellung im Quartiersbüro in der Rostocker Straße 35 läuft noch mindestens bis zum 28. März 2023 und kann werktags zu den Öffnungszeiten des Quartiersmanagements besucht werden. Am Wochenende ist das Quartiersmanagement nicht besetzt.

Zuerst erschienen auf der Webseite des Quartiersmanagements Beusselkiez mit weiteren Fotos.

3 Kommentare auf "„Beusselstraße – Gestern und Heute“"

  1. 1
    H. E. says:

    Die Mierendorff-Insel, die ja nicht sehr weit weg ist von der Beusselstrasse, wäre auch ein interessanter Kiez für so eine fotogafische Gegenüberstellung.
    Hier würde sich in fünfzehn Jahren eine Gegenüberstellung von dann aktuellen mit heutigen Fotos lohnen, denn die Insel wird sich dramatisch ändern, da die Bewohnerzahl und die Zahl von Büroarbeitsplätzen durch grosse Bauvorhaben stark zunehmen werden. Ausserdem wird eventuell die Tram quer durch den Kiez gebaut und auf jeden Fall die Siemensbahn, die beide den Bahnhof Jungfernheide extrem verändern werden.
    Wenn Interesse besteht, könnte ich zu den Bauabsichten Informationen liefern.

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  3. 3
    Zeitungsleser says:

    Eigentlich ist das ja nicht Thema des Artikels, aber da es hier schon einmal um den Radweg auf der Beusselstraße (zwischen Alt-Moabit und Sickingenstraße) ging, hier auch der Tsp.
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/nach-planungsstopp-durch-senat-radweg-in-der-beusselstrasse-in-berlin-moabit-kann-gebaut-werden-10609963.html

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