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Abriss von bezahlbarem Wohnraum – ein Skandal!

Das Beispiel Dortmunder Straße 14

Vor einigen Tagen wies eine Pressemitteilung der Linken-Fraktion in der BVV-Mitte darauf hin, dass in unserem Bezirk in großem Stil abgerissen wird, um Platz für Neubau oder andere Nutzungen zu schaffen.

Abriss am 14. Februar 2022

Bei der Dortmunder Straße 14 sind die Bagger bereits angerollt und gestern am 14. Februar hat der Abriss begonnen. Viele Anwohner­*innen blie­ben stehen, beobach­teten, filmten, foto­gra­fier­ten und bedauerten mehr­heit­lich die Ver­nich­tung von günstigen Wohnungen.

Es handelt sich um ein Haus aus den 1960er Jahren im West­fälischen Vier­tel, einem Teil von Moabit, das schon seit vielen Jahren gen­tri­fi­ziert wird – und zwar in einem Ausmaß, dass das Bezirks­amt nach dem Grobscreening 2015 nicht einmal eine soziale Erhaltungssatzung aufstellen konnte, weil nur noch für wenige Häuser Auf­wertungs­potential festgestellt wurde.

Dortmunder Straße 14 im Jahr 2014

Die Entmietung der Dortmunder Straße 14 ging fast sang- und klanglos über die Bühne, obwohl eine Mieterin bereits bei einem Infostand der Initiative „Wem gehört Moabit?“ am 29. März 2014 (!) berichtet hatte, dass das Haus ver­nach­läs­sigt werde, nur noch 6 Miet­par­teien mit regu­lären Miet­ver­trägen dort zu gün­stigen Mie­ten wohn­ten und alle anderen mit teuren Zwei­jahres­ver­trägen abge­speist werden. Die letzte Miet­partei ist wohl 2018 verdrängt worden.

Immer wieder haben Nachbar­*innen den Leer­stand gemeldet. Danach scheint hinter den Kulissen ein Tau­ziehen um die Regel­ungen des Zweck­ent­fremdungs­verbots­gesetz, nach dem Leer­stand und Abriss illegal sind, statt­gefunden zu haben. Kurze Zeit hing ein Plakat am Haus, das einen Neubau mit 17 Eigen­tums­wohnungen ankün­digte, es gab Licht­instal­lationen hinter den Fenstern, etwa ab Oktober 2020 wurden schließ­lich Bau­ar­beiter ein­quar­tiert. Die Mieter­initiative aus dem Bundesratufer 12, deren Wohn­ungen nach dem Verkauf an Accentro als Eigen­tums­wohn­ungen verkauft werden, die meisten sind bereits verkauft, hat den Leerstand in der Dortmunder auf twitter dokumentiert.

Plane Sommer 2019

Es ist davon auszugehen, dass das Haus mehrmals verkauft wurde. Nun soll hier ein Luxusneubau mit Eigentumswohnungen als „Ersatzwohnraum“ – nicht das Projekt, das vor Jahren hier angekündigt wurde – sondern „The Flaneur“ von Nöfer Architekten entstehen. Eine als Beispiel angegebene 2-Zimmer-Wohnung mit ca. 48 qm kostet 510.000 Euro. Das geht als Ersatzwohnraum durch? Wie ist das möglich?

Im Zweckentfremdungsverbotsgesetz ist festgelegt, dass Ersatz­wohn­raum zu maximal 7,92 Euro/qm ver­mie­tet werden darf. Das gilt auch noch in diesem Fall, doch ist zu erwarten, dass die Miet­ober­grenze keinen Bestand hat. Seit Jahren wartet man auf die Ver­hand­lung vor dem Ober­ver­wal­tungs­gericht zu einem Fall in Char­lot­ten­burg, den das dortige Bezirks­amt in erster Instanz verloren hatte. Für den Abriss muss pro Quadratmeter 2.400 Euro Ablösesumme bezahlt werden (Regelung im Amtsblatt von 2019). Aber wem helfen diese knapp 2 Mio Euro bei der Wohnungssuche?

Vor kurzem haben verschiedene Bezirks­ver­ordnete Anfragen zum Umgang der Ent­schei­dungs­träger mit diesem Haus einge­reicht, die auch beant­wortet wurden (Mündliche Anfrage der Grünen, schriftliche Anfragen von SPD und Linken, hier bitte auf Antwort klicken, denn das pdf kann nicht direkt verlinkt werden).

Interessant ist in der letzten Anfrage, insbesondere die Antwort auf die Frage 5: „Wann und unter welchen Auflagen wurde eine Abrissgenehmigung für das Wohngebäude Dortmunder Straße 14 erteilt? (Bitte Auflagen konkret darstellen)“ und hier wieder Punkt 5: „Der Ersatzwohnraum muss die gezogene obere Grenze einer Überschreitung des Standards des abgerissenen Wohnraums einhalten.“ Wir sind gespannt, wie das genau definiert ist. Auf jeden Fall hat das Bezirksamt den Ersatzwohnraum als angemessen akzeptiert und so konnte der bereits im April 2021 genehmigte Abriss durchgeführt werden. Die Baugenehmigung war schon im Januar 2019 erteilt worden.

So wird Wohnungsnot produziert in dem Segment des Wohnungsmarktes, in dem die meisten Wohnungen nachgefragt werden, nämlich bezahlbar. Was dann dazu führt, dass bei Neuvermietung Mietpreise weit über dem Mietspiegel aufgerufen werden. Der Abriss von bezahlbarem Wohnraum mit einfacher Ausstattung bleibt ein Skandal!

Nachtrag:
Das MieterMagazin hat im April 2022 berichtet auf Seite 7 (leider nicht im Inhaltsverzeichnis zu finden, um direkt zu verlinken).

MieterMagazin im Oktober 2023 mit Zitaten aus der Werbung und Architekt Tobias Nöfer: Vom Abriss zum „finest living„.

13 Kommentare auf "Abriss von bezahlbarem Wohnraum – ein Skandal!"

  1. 1

    Ein weiteres Beispiel findet sich in der Reuchlinstraße. http://kontroversenblogger.de/wohnraum-in-moabit-verschwindet/

  2. 2

    Und so etwas kommt dann dabei raus:
    „Fast 13 Prozent der Mieterhaushalte in deutschen Großstädten haben nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum zur Verfügung. Besonders für Menschen mit geringen Einkommen gibt es in Großstädten viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum.“
    „Mieterhaushalte der höchsten Einkommensklasse haben vor Abzug von Warmmiete und Nebenkosten im Mittel 4,4-mal so viel monatliches Nettoeinkommen wie die Haushalte der niedrigsten Einkommensklasse. Nach Zahlung der Bruttowarmmiete steigt dieser Faktor auf das 6,7-fache. Grund dafür: Ärmere Haushalte müssen einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden, obwohl sie in kleineren und schlechter ausgestatteten Wohnungen leben.“
    „Für die große Mehrzahl der Bevölkerung werden die Wohnverhältnisse nicht von den Neubauaktivitäten, sondern vom Umgang mit dem Wohnungsbestand und den Mietpreisregulierungen in diesen Wohnungen bestimmt.“

    https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-mehr-als-zwei-millionen-mieter-in-prekarer-lage-35350.htm

  3. 3
    H. E. says:

    Und …..
    …. über 50 % der Berliner Haushalte haben auf Grund ihres geringen Einkommens ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein, also das Recht auf eine mietpreis- und belegungsgebundene Wohnung, auf gut deutsch: eine Sozialwohnung.
    Und ….. trotzdem schreibt der Berliner Senat im „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“ von SenSBW bei großen Wohnungsbauvorhaben immer noch nur 30 % der Geschossfläche als sozialen Wohnungsbau vor !! In Wien ist man schon längst bei 50 % und in München (!!) mit dem Programm „Sozialgerechte Bodennutzung“ sogar bei 60 % !! Auch dieses ist ein echter Berliner Skandal.
    Und …. hört man was von der SPD oder den Grünen, dass man das in Berlin ändern möchte? Nö, still ruht der See, statt dessen will man gern mit den Investoren ein Abkommen schließen. Kommt jetzt vielleicht eine „nette Wohnungskooperative“ in Anlehnung an Frau Giffeys „nettes Kitagesetz“ ?

  4. 4
    Müller says:

    Ich verstehe das Problem nicht.
    Das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ZwVbG) sieht die Möglichkeit des Abrisses von Wohnraum ausdrücklich vor, sofern vergleichbarer Ersatzwohnraum geschaffen wird. So wie ich das Bauvorhaben verstanden habe, entstehen durch den Neubau mehr Wohnungen als das alte Haus hatte.

  5. 5
    H. E. says:

    Wenn hier ein normaler Mietwohnungsbau mit annähernd normalen Mieten gestanden hat, wenn nun das hier https://eigentum.the-flaneur-berlin.com/
    mit Eigentumswohnungen entstehen soll und wenn dann eine 48 qm große Wohnung 510 000 EUR kosten soll, muss man blind sein, wenn man diese Luxus-Luxus-Luxus-Wohnungen als „Ersatzwohnraum“ bezeichnen möchte.

    Bereits in einem anderen Kommentar stand:
    Auf eine Anzeige bei immobilienscout24.de für eine 1-Zimmer-Wohnung in Moabit mit einer dem Mietspiegel entsprechenden Miete haben sich innerhalb der letzten zwei Wochen 1868 (!!) Interessenten gemeldet. Das sagt doch wohl alles !

  6. 6
    Aro Kuhrt says:

    @ Müller
    Wohnraum und bezahlbarer Wohnraum ist jedoch nicht das Gleiche.

  7. 7
    Zeitungsleser says:

    Tagesspiegel Checkpoint – Zitate:
    … „und der Architekt Tobias Nöfer jubelt: „Unsere Baulücke fordert förmlich, mit einem ebenso großzügigen und schönen Bauwerk gefüllt zu werden.“ Tja, wenn die Baulücke das fordert, kann man wohl nichts dagegen tun – oder?“
    „Denn genehmigt wurde der Bau von Ersatzwohnungen in gleicher Fläche und Größe zu 7,92 Euro pro Quadratmeter – davon aber ist im Prospekt von „The Flaneur“ nicht die Rede. Eigentumswohnungen sind bei höherem Bauvolumen nur darüber hinaus erlaubt – ansonsten ist eine Zweckentfremdungsstrafe von 2400 Euro pro qm fällig. Als Freibrief für einen flächendeckenden, vorsätzlichen Verstoß gegen die Genehmigung gilt das allerdings nicht – da drohen zusätzliche Sanktionen.“
    „Der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo verteidigt dennoch das Vorgehen des Projektentwicklers – dem Checkpoint sagte er gestern, er halte das für „eine win-win“-Situation: Das Land Berlin könne die Zahlungen ja in den Bau neuer, günstiger Häuser stecken.“

    https://checkpoint.tagesspiegel.de/langmeldung/43LM25MJPDBHKwJsnmMyOE

    Nun die 2.400 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche wurden ja bereits vorab gezahlt – mal sehn, was da hinterher noch möglich sein kann ….

  8. 8
    H. E. says:

    Zitat aus Kommentar 7: „….. und schönen Bauwerk gefüllt zu werden.“
    Meines Erachtens sieht diese Fassade aus heutiger Sicht eher aus wie eine Kulisse in einer Seifenoper.

  9. 9
    TV-Gucker says:

    Bericht im rbb über eine Anfrage im Abgeordnetenhaus zu Abrissen und Ersatzwohnraum – mehr als 1.000 Abrisse wurden in den letzten 4 Jahren in Berlin genehmigt – die meisten Abrissanträge im Bezirk Mitte:
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/02/berlin-wohnungsmarkt-auf-guenstige-wohnungen-folgen-kaum-preiswerte.html

  10. 10
    Mieter-Aktivist says:

    MieterMagazin hat im April auch berichtet, auf S. 7:
    https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/mmo/mietermagazin-0422.pdf

  11. 11
    Fornfeist says:

    Eingangs gebe ich meine gute Kenntnis der Stadtraumentwicklung in Berlin – West:
    Nach dem Krieg wurde Wohraum gebraucht. Es wurde nicht saniert, sondern abgerissen. Die Sanierumg wäre mit Restziegeln möglich gewesen. Dem stand die Sichtweise entgegen, mit Entkernung von Wohnquartieren gesundes Grün in der Stadt zu schaffen – zu viel Abriss führte die Zielsetzung der autogerechten Stadt aus mehrspurigen Hauptstraßen mit Mittelstreifen-keine Promenaden mit Baumanpflanzungen. Die Neubauten wurden aus in Beton gebundenen Ziegelsplitt-Blocksteinen billig und ohne Architektur errichtet, obwohl Berlin-Fördermittel vorhanden waten. Werterhaltender Bauzierstuck wurde mit städtischen Fördermitteln abgeschlagen. Mit gestiegenem Einkommen wurde aus der Neubausubstanz ebenso ausgezogen, wie aus dem unsanierten Altbau: Trabantenviertel unproportiomaler Höhen sollten die Grundflächen klein halten. In die verlassenen Billig-Neubauten bzw. Unsaniert-Altbauten zogen Neu-Berliner.
    Ein hoher Prozenzsatz von Wohnungen in Billig-Neubauten ist in Eigentum umgewandelt kann nicht abgerissen werden. Mit höheren Einkommen steigen die Wohnansprüche, die in guten Stadtlagen schwer erfüllbar sind. Das ist der Grund, Billigbau-Neubauten abzureissen, durch Wohneigentum zu ersetzen. Erschwingliche Neubauten können auf innerstädttischen Brachen mit Fördermizteln für sozial verträglichen Mietraum anstelle von Büroflächengenehmigungen entstehen. Büros können mit Miet-Wohnflächen gut kombiniert aus der Stadtmitte gehalten, anspruchsvolles Wohnen in Berlin-Zentrum genehmigt werden.

  12. 12
    Mieter-Aktivist says:

    Im aktuellen MieterMagazin 10/2023 wieder ein Artikel zur Dortmunder Straße und dem Architekten Tobias Nöfer:
    https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm1023/dortmunder-strasse-14-vom-abriss-zum-finest-living-102313a.htm

  13. 13
    H. E. says:

    Die aktuellen Durchschnittsmieten in Berlin sind:
    Für Neubauwohnungen: 18,77 Euro kalt pro Quadratmeter
    Bestandswohnungen: werden im Schnitt für 12,60 Euro angeboten
    Quelle: Tagesspiegel vom 13.10.2023

    Aus eigener Erfahrung kann ich nur eins immer wieder empfehlen: In den Berliner Mieterverein (BMV) einzutreten und dann von diesem jede Mieterhöhung überprüfen zu lassen. Versuchte Verstöße (man könnte es auch Betrug nennen) gegen den Berliner Mietspiegel sind an der Tagesordnung, weil die meisten Mieter den Mietspiegel nicht kennen und/oder sich nicht trauen zu wehren.

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