Die EuropaCity entdecken mit Yves Mettler und Alexis Hyman Wolff
Alexis Hyman Wolff und Yves Mettler
Beim Spaziergang durch die EuropaCity…
…und beim Workshop
Am Rand von EuropaCity – Yves Mettler und Alexis Hyman Wolff über ihr hybrides Kunstprojekt für eine vielfältige Nachbarschaft
Ein neuer Stadtteil entsteht an zentraler Stelle in Berlin und keiner bekommt das mit? Stimmt nicht so ganz, denn eine engagierte Künstlertruppe tut alles dafür, dass sich die Bewohner an der „Rändern“, und dazu gehört Moabit, mit der EuropaCity vertraut machen. Yves Mettler und Alexis Hyman Wolff arbeiten hierfür mit Achim Lengerer, der sehr erfolgreich den Projektraum „Scriptings“ im afrikanischem Viertel in Wedding betreibt, und dem Soundkünstler Gilles Aubry zusammen. Sie stellen sich die Frage, was für ein Teil von Berlin die EuropaCity werden soll? Hoffentlich keiner wie das gleichnamige Europaviertel in Frankfurt am Main, das ziemlich tot wirkt.
Zum Interview treffen wir uns unweit von Yves‘ Atelier draußen auf der Fennbrücke, der Verlängerung der Perleberger Straße in Richtung Wedding. Alexis und Yves zeigen rüber in Richtung EuropaCity, denn um dieses riesige Neubaugebiet geht es. Nördlich des Hauptbahnhofes entsteht auf 40 Hektar zwischen Nordhafen, Heidestraße und Humboldthafen ein „Quartier der Zukunft“. Geplant sei eine nachhaltige Entwicklung, heißt es dazu bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Damit sich die angestrebte Nachhaltigkeit nicht allein auf die Form der Stromgewinnung beschränkt, sondern auch Raum für nachbarschaftliches Engagement entsteht, unternehmen die Künstler kuratierte Rundgänge zusammen mit interessierten Menschen aus den angrenzenden Wohngebieten. Daher kommt der Projektname „Am Rand von…“. Rund 30 Leute waren bei dem letzten Spaziergang im September 2018 dabei. Das Motto lautete „Spazieren und Intervenieren“, gefragt war dabei „kollektives Zuhören“. Im Sinne von “Zuhören als politischer Akt“ versteht sich das Projekt als Sprachrohr und Verstärker für die Stimmen der Bürger in den angrenzenden Altbauquartieren. Die Künstler nahmen den Ton bei ihren geführten Rundgängen auf – „akustische Erkundungen“ – und werteten das Gesagte anschließend in einem Workshop im Café der Kufa im Dezember 2018 zusammen mit den beteiligten Spaziergängern aus. Damit möchten sie alte und neue Nachbarschaften verbinden sowie Stimmen zu Stadtentwicklung und globalen Zusammenhängen sammeln und denen ein Forum geben. Sie sollen gehört werden. Ihre „künstlerische Veranstaltungsreihe“, so die offizielle Bezeichnung des senatsgeförderten hybriden Kunstprojekts, mündet in einem performativen Spaziergang am 26. Mai, dem Tag der Europaparlamentswahlen.
Ursprünglich sollte der „hochwertige Raum unter Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte Flächen zum Wohnen, für Büros, Einzelhandel und Gewerbe zur Verfügung stellen und gleichzeitig ein attraktives Freizeitangebot bereitstellen.“ Rund 16.500 Arbeitsplätze und 3.000 Wohnungen werden in der EuropaCity entstehen. 2021 soll alles voll belegt sein. Geplant war anfänglich eine Mischung aus Immobilieneigentümern. Auch Baugruppen waren zunächst im Gespräch, doch dann wurde alles unter einer kleinen Gruppe von Großinvestoren aufgeteilt. Yves und Alexis bedauern das sehr, wurde damit doch eine große Chance auf Vielfalt von Anfang an vertan. Sie selbst haben auch den Kontakt zu den Investoren gesucht. Ein schwieriges Unterfangen, denn es ist gar nicht leicht zu ermitteln, wem die neuen Gebäudekomplexe wirklich gehören. Zumindest eine Spur führt nach Luxemburg. Doch ist Jammern nicht ihr Ding: „Wir stimmen kein Klagelied an und vertreten keine einstimmige Protesthaltung,“ so Alexis, „sondern wollen mit Hilfe unserer künstlerischen Mittel offene Räume für alle in der Stadt anregen.“ Bei der Auswertung ihrer Tonmitschnitte der Spaziergänge kamen keine fertigen Lösungsvorschläge heraus. Damit hatten sie auch nicht gerechnet, ist doch die Kunst dazu nicht angetreten. Die Ergebnisse waren teilweise sehr nuancierte und fast poetische Aussagen, „manche sind fast Gedichte“, schwärmt Alexis. „Unser Traum für die EuropaCity – und der Traum von vielen Bewohnern – wären mehrfach nutzbare Räume für die Nachbarschaft. Darin könnten Werkstätten unterkommen sowie Orte, an denen Chöre proben und in denen Jugendliche T-Shirts bedrucken können.“ Yves verwehrt sich gegen die Annahme, dass hier endlich eine große innerstädtische Brache belebt werde, denn man könnte spielend eine Brücke zur bewegten Vergangenheit schlagen. Das Gebiet war vorher ja nicht leer, sondern ein faszinierender Ort zum Experimentieren auf den Gebieten der Kunst und Kultur. Hier steppte früher mal der Bär. Der eine oder andere kann sich sicher an die Partys im legendären Tape-Club erinnern. Auf dem Areal, was jetzt neu bebaut wird, entstanden in den 90ern die Ateliers von international erfolgreichen Künstlern wie Olafur Eliasson und Thomas Demand, die den Ruf von Berlin als kreative Metropole mitbegründeten.
Neben dem Raum für vielfältig gelebte Nachbarschaft umtreibt die Künstlergruppe auch die Frage der Namensgebung. Ist die EuropaCity ein Sinnbild des Kontinents? Was für ein Bild von Europa gibt sie ab: Wird das Neubaugebiet zu einem Quartier, das sich wie eine Burg abschottet, oder zu einem vielfältigen Stadtteil, der sich nach den Rändern hin in die Altbaugebiete hinein öffnet? „Wir wollen Vorschläge formulieren, die zu einer ‚gesunden‘ Beziehung zwischen den alten und neuen Nachbarschaften beitragen“, sagt Yves. Er stammt aus der Nähe von Lausanne in der französischsprachigen Schweiz und setzt sich bereits seit 2003 künstlerisch mit Europaplätzen auseinander. 2006 stolperte er dabei über den damals leeren Europaplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof. „Damals hätte man sich für diesen Platz ganz vieles vorstellen können,“ sinniert er. Seine Projektpartnerin, die Künstler-Kuratorin Alexis, ist gebürtige US-Amerikanerin. Sie arbeitet vor allem an der Integration von künstlerischen, sozialen und wissenschaftlichen Praktiken in Museen. In Kleinmachnow zum Beispiel half sie dabei, den Grundstein für ein experimentelles Heimatmuseum zu legen. Was die Zukunft in und um die EuropaCity angeht, formulieren sie und Yves ihr Ziel so: „Wir sind gegen jegliche Abgeschlossenheit. Dreht sich bei den Nutzungen alles nur um Profitgier oder entstehen auch Plätze für die Gemeinschaft? Uns geht es darum, die Spiel- und Freiräume für die Menschen in der EuropaCity und den angrenzenden Wohngebieten auszuloten und zu zeigen, wie man sie bespielen könnte.“ Yves überlegt kurz, schmunzelt und sagt: „Nichts ist in Stein gemeißelt, auch ein Entwurf kann sich noch ändern.“
Kommen Sie zu dem performativen Spaziergang am Sonntag, 26. Mai 2019, um 14 Uhr in den Sellerpark. Der Rundgang geht etwa vier Stunden und mündet um 18 Uhr in ein Fest im Klara-Franke-Park in der Lehrter Straße.
Kontakt: kontakt@amrandvoneuropa.city,
mehr zum Projekt: http://amrandvoneuropa.city, auf Kultur-mitte.de und auf Instagram, mehr zur Künstlergruppe: Yves Mettler, Alexis Hyman Wolff, Gilles Aubry und Scriptings/Wedding
Gastautor: Gerald Backhaus,
Fotonachweis: Die Fotos 2, 4 und 5 (von oben) stammen von der Künstlergruppe, alle übrigen Fotos von Gerald Backhaus; zuerst erschienen auf moabit-ost.de
Danke Gerald,
für diesen schönen Bericht …. und macht mit Leute am 26. Mai, wer will kann auch schon mal bei der „Ein Europa für Alle“ Demo am 19. Mai proben. Meldet Euch für den Treffpunkt bei der im Artikel angegebenen Mailadresse!
Der Aufruf in 8 Sprachen:
https://www.ein-europa-fuer-alle.de/
Die Berliner Demo:
https://www.ein-europa-fuer-alle.de/berlin
Ein Bericht in der Berliner Zeitung:
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/im-namen-der-einheit-zu-besuch-in-der-europacity-32596492
Klingt spannend und animiert zum Mitmachen: morgen Sonntag um 14 Uhr im Sellerpark (an der Sellerstraße südöstlich Nordhafenbrücke.
Wieder ein „Kunst-“ und Beteiligungsprojekt: der offene Kanal Europa, 3 Tage die Woche im Mai und Juni im ehemaligen Vogelhäuschen-Imbiss – klingt ganz interessant:
https://offener-kanal.eu/
Aus dem Raben Ralf, Rezension von Peter Nowak zum Buch über die Europacity der Künstler*innen „Am Rand von Europacity“:
https://peter-nowak-journalist.de/2022/12/10/landnahme-in-der-mitte-berlins/#more-24173
Alle, die in der Berliner Politik und Verwaltung für dieses Quartier verantwortlich sind, müsste man verpflichten, dort wenigstens zehn Jahre lang zu wohnen. Und zwar in einer freifinanzierten Wohnung an der Heidestraße, im Erdgeschoss am Gehweg, mit Loggia nach Norden oder Osten, gegenüber von einem Bürohochhaus, ohne Auto in der Tiefgarage und weit weg von der S-Bahn und Tram am Hauptbahnhof.