So können Sie mitmachen!

Die Bremer Straße 68 und ihre musischen Studenten

Das denkmalgeschützte Haus Bremer Straße 68 fällt auf – mit seinen nur drei Geschossen über dem Souterrain und strenger, reich verzierter Fassade. Es gehört zwar nicht zu den drei ältesten noch erhaltenen Häusern in Moabit, stammt aber sichtbar aus der Zeit vor dem Bauboom der Mietskasernen, die so gerne als Gründerzeithäuser bezeichnet wer den. Erbaut wurde das Haus 1876/77 von Zimmermeister Albert Heinel, ebenso wie die Bremer Straße 63–64. Besonders ungewöhnlich ist das Werkstattgebäude im Hinterhof. Ursprünglich als Öl- und Petroleumlager errichtet, wurde es ab 1919 von Albert Bachmann & Söhne zu einer Bildhauerwerkstatt ausgebaut. Auf der unterkellerten Remise thront ein hoher Saal mit riesigen Fenstern.

Schon seit 1992 ist hier neues Leben eingezogen: die Akademisch-Musische Verbindung Berlin (AMVB). Sie hat das Haus gekauft. Noch finden sich Erinnerungen an die Stukkateur-Firma Bachmann: der Schriftzug im Glas über der Eingangstür oder Stuckelemente an den Wänden des Hauseingangs. Bis vor kurzem hat sogar noch eine frühere Angestellte der Firma im Haus gewohnt, bis sie die Treppen nicht mehr steigen konnte. Das Erdgeschoss der Remise unter dem großen Saal hat die Tanzschule »Hofparkett« gemietet.

Im September hat sich die AMVB mit einem bunten Musik-Programm, vom Herrenchor über Songwriter bis LERRM, am Moabiter Kiezfest beteiligt. Den ganzen Nachmittag servierten Studentinnen und Studenten gegen eine Spende Espresso und selbstgebackenen Kuchen im begrünten gemütlichen Innenhof.

Eine Studentenverbindung? Sind die nicht vollkommen aus der Zeit gefallen? Vertreten die nicht rechtes Gedankengut? Auch Frauen können Mitglieder werden? Und was ist überhaupt eine akademisch-musische Verbindung? Solche Fragen drängten sich auf, die ich versuchte in einem Gespräch mit Max Wittig, der seit drei Jahren dabei ist, zu klären.

»Die AMVB wurde 1856 gegründet, wir haben vor zwei Jahren in St. Johannis unser 160. Jubiläum gefeiert. Wir gehören zum Sondershäuser Verband, einem Dachverband von musischen, nichtschlagenden und nicht farbentragenden Studentenverbindungen. Bei fast allen können sowohl Frauen als auch Männer mitmachen. Es gibt seit 2007 in unserem Verband auch eine Verbindung nur von Frauen. Wir sind ein bunter Studentenhaufen mit kleinem traditionellem Hintergrund«, erklärt er in der geräumigen Gemeinschaftsküche vor dem großen Saal, während der »Präside« Kürbissuppe kocht für alle, die sich zum Essen gemeldet haben. Seit 1968 haben unter dem Einfluss der Studentenbewegung Verbindungen viel an Ansehen verloren; heute sind weniger als ein Prozent aller Studenten noch in ihnen organisiert. Mitglied bleibt man in der Regel ein Leben lang. Die »Aktiven« leben zusammen, machen Projekte, feiern gemeinsam. Nach der Studienzeit wird man »Philister«, unterstützt die Jungen materiell sowie mit Wissen und Kontakten in die Wirtschaft. So hat David, ein Geschäftsmann Mitte 30, kürzlich einen Workshop in Projektmanagement angeboten.

Die jungen Leute, die in der Bremer Straße zusammen wohnen und ihre Freizeit verbringen, organisieren gemeinsam künstlerische und musikalische Projekte. Die AMVB hat einen Chor, eine Theatergruppe und eine Band mit wöchentlichen Proben und regelmäßigen Aufführungen. Doch Mitglied in einer Studentenverbindung zu sein bedeutet mehr. Es gibt Pflichten. Traditionen sollen und wollen gelebt werden, auch wenn sie, wie Max versichert, kritisch hinterfragt werden, wie die Liedtexte. Er berichtet: »Wer Lust hat, kann bei uns mitzumachen, muss erst eine Probezeit hinter sich bringen. Nur etwas mehr als die Hälfte bleibt. Für viele ist der Aufwand zu groß.«

Von den 30 »Aktiven« wohnen 14 im Haus verteilt auf fünf kleinere Wohngemeinschaften und eine Ein-Zimmer-Wohnung. Sie können hier während ihres Studiums bleiben, in der Regel drei Jahre. Zwei von insgesamt acht Wohnungen im Haus werden noch von Mietern aus der Zeit vor dem Hauskauf durch die AMVB bewohnt. Verbindungsmitglieder sind darüber hinaus die etwa 120 »Philister«, die oft als Gäste an Veranstaltungen teilnehmen.

Max spielt in der Band, als Hobby. Er studiert Unternehmenskommunikation. Simon schreibt dadaistische Gedichte auf Alt- Griechisch. Jede und jeder beteiligt sich aktiv an musischen Projekten, auch in der Nachbarschaft. So haben sie 2014 am Kulturfestival Wedding/Moabit teilgenommen, von 2014–16 an der Lesebühne »Wörter in die Welt« im Kallasch& oder 2016 beim Ortstermin im Amstel Hostel ausgestellt. Erfreut sind sie, dass die 2014 gestartete Renovierung des Kellers endlich abgeschlossen werden konnte. Die Schalldämmung ist perfekt, so dass es keine Beschwerden von Nachbarn mehr gibt, die früher schon mal die Polizei holten. Ganz wichtig ist Max die Feststellung: »Die AMVB ist unpolitisch.« Er selbst hat nach seinem Einzug wie selbstverständlich eine Regenbogenflagge aus seinem Fenster gehängt, diese jedoch nach gemeinsamer Diskussion wieder abgenommen. Die Regenbogenflagge als politisches Statement für Veränderung, Frieden, Vielfalt der Lebensformen und sexueller Orientierung habe am Verbindungshaus nichts zu suchen.

Foto 1: Christoph Eckelt, bildmitte, Foto 2: Susanne Torka, Fotos 3+4: Martin Heiden

Kontakt: www.amvberlin.de und www.facebook.com/AMVBerlin

Zuerst erschienen in der „ecke turmstraße„, Nr. 8-2018 für Dez 2018 / Jan 2019

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