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Die Stern-Bäckerei in der Turmstraße

Ein kleiner Backshop: unscheinbar, unaufgeregt, wie so viele andere auch. Fragt man jedoch Nachbarinnen und Nachbarn aus der näheren Umgebung, dann ist dieser kleine Laden eine enorm wichtige »Institution« im Kiez. Ein Besuch bei Sevim Ortak.

Verabredet bin ich im Backshop mit der diesjährigen Klara-Franke-Preisträgerin Sedanur Karaca, die sich beim Treffpunkt für Frauen in der Pritzwalker Straße und vielen anderen Kiezprojekten engagiert hat. Sie hat angeboten zu übersetzen: »Wenn wir Frauen aus der Nachbarschaft nicht alleine frühstücken wollen, dann können wir uns hier treffen«, erklärt sie.

Sevim Ortak hat zunächst zwei Jahre in der Bäckerei mitgearbeitet, bevor sie den Laden vor fünf Jahren in Eigenregie übernahm: »Meine Schwester konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiterarbeiten. Ich habe mich sehr gerne selbstständig gemacht. So kann ich etwas Eigenes aufbauen«, so die Ladenbetreiberin Sevim. Schon seit 40 Jahren gibt es in der Turmstraße 13 eine Bäckerei. Später wurde der Laden geteilt, nebenan gibt es polnische Spezialitäten bei »U Zosi«. Kaum ausgesprochen, schon kommt die Nachbarin herein zum Geldwechseln und berichtet empört, dass nachts bei ihr eingebrochen wurde. Eine Kundin ergänzt: »Auch auf dem Minigolfplatz wurde kürzlich eingebrochen.« Eine Neueste-Nachrichten-Tauschbörse im Kiez, ganz unabhängig vom gut gefüllten Zeitschriftenständer von der B.Z. bis zur Süddeutschen.

Sevim ist 48 Jahre alt, lebt in Kreuzberg und hat zwei Kinder im Teenageralter, die sie seit der Trennung vor zehn Jahren alleine großzieht. »Eigentlich bin ich Schneiderin von Beruf, aber wegen der Kinder habe ich früher nur nebenbei gearbeitet, da und dort geputzt. Als sie größer waren, konnte ich die Arbeit hier im Laden anfangen und das hat mir sehr gut gefallen. Wenn es den Kunden schmeckt, dann macht mich das froh.« Brot, Kuchen und süße Stückchen bezieht sie von einer Großbäckerei, die Brötchen und günstigen Schrippen werden aufgebacken, wie das heute so üblich ist. Aber typisches türkisches Gebäck wie Börek und Pohaca oder Apfeltaschen mit Mürbeteig backt sie selbst. Beliebt bei den Kunden ist auch Kisir, Bulgursalat. Viele kommen in der Mittagspause aus dem Gericht oder der Verwaltungsakademie. »Seit die vor vier Jahren gegenüber in das alte Schulgebäude eingezogen ist, ist der Umsatz steil in die Höhe gegangen«, freut sich Sevim.

Mittlerweile hat sich ein älterer Herr zu uns gesetzt, dem früher ein Import-Export-Geschäft in der Nähe gehörte. Er hört zu, wie Sedanur und Sevim sich über die vielen Hilfsangebote für die Nachbarschaft unterhalten. Der kleine Laden ist nicht nur Treffpunkt und Postannahmestelle der Nachbarschaft. Wenn jemand mal sein Geld vergessen hat, kann später bezahlt werden: »Da wurde ich noch nie enttäuscht, die Leute kommen wieder und bezahlen.« So geben einige Nachbarinnen und Nachbarn sogar ihre Umweltkarte ab, um sie mit jemandem zu teilen, oder sie vertrauen Sevim Geld zur Übergabe an Bekannte oder das Reisebüro an, wenn dort geschlossen ist. Das zeigt, welch großes Vertrauen sie genießt, »nicht nur bei uns Türken«, bekräftigt Sedanur. »Hier ist ein kleines Sozialamt«, so der ältere Nachbar am Tisch.

Was abends übrig bleibt, gibt Sevim an Bedürftige: »Bei mir gibt es nichts vom Vortag billiger, das verschenke ich lieber alles.« Die Backwaren liegen dann auf der Zeitungsbox oder Sedanur bringt sie direkt zu Obdachlosen im Park. Auch an der Verpflegung der wartenden Geflüchteten vor dem Lageso hat sie sich im »Sommer der Migration« nach Kräften beteiligt.

Seit mehr als einem Jahr steht auch ein Koffer unter Sevims Theke, ein besonderer Koffer. In dem verwahrt jene in Moabit bekannte Frau ihr Bettzeug, die oft am U-Bahnhof Turmstraße anzutreffen ist und die nicht nur Plakate an Litfaßsäulen, sondern alle möglichen Flächen mit Druckbuchstaben in polnischer Sprache beschreibt – mehr oder weniger wirr. Bei Kälte ist sie fast täglich in Sevims Backshop anzutreffen. »Meine Nachbarin vom polnischen Laden warnte mich, darauf solle ich mich nicht einlassen, aber wie kann ich diese Hilfe verweigern?«, fragt Sevim. Sie sprechen keine gemeinsame Sprache, aber Menschen können sich auch ohne viele Worte verständigen.

Theresa hat manchmal auch etwas zurückgegeben, Sevim erzählt: »Sie ist für mich einkaufen gegangen. Ich habe ihr einen Einkaufszettel in Türkisch und das Geld mitgegeben und sie hat mir die Sachen gebracht. Aber momentan muss sie arbeiten, hat sie mir gesagt.« So sieht konkrete Überlebenshilfe aus, die sich eine kleine Selbstständige leistet, während der Investor HGHI vom Schultheiß-Quartier Eigenwerbung macht mit einer Bildergeschichte.

Fotos: Christoph Eckelt, bildmitte (oben) und Susanne Torka

Erschienen in der Stadtteilzeitung „ecke turmstraße„, Nr. 7 nov./dez. 2018 (pdf herunterladen)

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