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»Mehr Abstimmung wäre oft hilfreich«

Ein Interview mit Mittes Bezirksbürgermeister

Klagten die Bezirke in den 2000er Jahren vor allem über drastische Kürzungen ihrer Haushalte und Stellen, so stehen sie nun vor einem neuen Problem: zwar stehen nun wieder mehr Gelder z.B. für Investitionen zur Verfügung – doch nun fehlt es an Personal, um den Anforderungen der gewachsenen Stadt gerecht zu werden. Ob beim Ordnungsamt, Sachbearbeiter in den Bürgerämtern, Ingenieure und Gärtner im Straßen- und Grünflächenamt, Sozialarbeiter im Jugendamt – überall fehlen Mitarbeiter, um die wachsenden Arbeitsberge zu bewältigen. Das bekommen auch die Bürger zu spüren. Das Bezirksamt Mitte hat nun eigens einen kleinen Werbespot produzieren lassen, um mehr Bewerber für den öffentlichen Dienst zu gewinnen (siehe Kasten).
Wir sprachen mit Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister von Mitte und u.a. auch zuständig für Ordnung, Personal und Finanzen, über die angespannte Situation.

Herr von Dassel, der ca. dreiminütige Spot, der für das Bezirksamt Mitte als Arbeitgeber wirbt und auch auf Youtube zu sehen ist, wirkt ja erfrischend unkonventionell. Wie kam er denn im Amt selbst an?
Wir haben ihn auf einer Personalversammlung gezeigt und er kam sehr gut an.

Wie viele offene Stellen gibt es derzeit?
Auf unserer Plattform sind aktuell ca. 170 ausgeschrieben. Es gibt eigentlich keinen Bereich im Bezirksamt, wo man nicht sofort anfangen könnte.

In welchen Bereichen ist der Mangel besonders gravierend?
Beispielsweise gibt es viele offene Stellen im Bereich Gartenbau. Im Hoch- und Tiefbau fehlen Bauingenieure, das Jugendamt hat in allen Aufgabenbereichen offene Stellen, und auch die Bibliotheken brauchen Verstärkung. Wir versuchen, das Personal so gerecht wie möglich zu verteilen. Wenn eine Stadt wächst – wie Berlin –, wachsen ja die Bedarfe und Ansprüche an die Verwaltung in alle Richtungen. Wir müssen daher auch die innere Verwaltung des Bezirksamts verstärken, damit wir ein wachsendes Bezirksamt auch managen können. Eine große Herausforderung ist das Sozialamt: Dort steigt die Zahl der Anträge auf Grundsicherung jedes Jahr um 10 Prozent. Früher beschäftigten sich 18 Leute im Sozialamt damit, heute haben wir bereits drei Gruppenleitungen mit fast 50 Mitarbeitern.

Woran liegt die starke Zunahme?
Die Altersarmut nimmt deutlich zu. Immer mehr ältere Menschen, die früher oft nur prekäre Beschäftigungen hatten, kommen jetzt ins Rentenalter. Gleichzeitig müssen viele Familien in prekären Verhältnissen wegziehen. Immer weniger Großfamilien können sich das Leben in Mitte leisten, die ja auch für die älteren Familienmitglieder sorgten.

Die Ausschreibungsliste im Internet ist lang. Gibt es denn auch ausreichend Bewerber für die ausgeschriebenen Stellen?
Das ist sehr von der Stelle abhängig. So gibt es beispielsweise für die Parkraumüberwachung beim Ordnungsamt ca. 150 Bewerbungen auf 30 Stellen. Ganz schwierig ist es dagegen, Ärzte oder Bauingenieure für die Bezirksverwaltung zu finden. Das scheitert dann manchmal gar nicht am Gehalt, sondern weil im Bezirk Mitte vieles so komplex ist. Im Tiefbaubereich müssen wir selbst bei kleinsten Maßnahmen die Vorhaben mehrerer Leitungsbetriebe, geplante Großveranstaltungen, die Vorgaben der Verkehrslenkung und nicht zuletzt die Sicherheitsmaßnahmen für Regierungseinrichtungen berücksichtigen. Das kann einen schon verzweifeln lassen.

Es hakt aber teilweise auch bei der Beauftragung externer Träger oder Dienstleister. Beispiel Leopoldplatz und Kleiner Tiergarten: Die Ausschreibung für das Platzmanagement und die Mobile Sozialarbeit musste sogar noch einmal wiederholt werden. Schon seit Monaten arbeitet der bisherige Träger Fixpunkt e.V. dort nur provisorisch mit kurzfristigen Zuwendungsbescheiden – an Orten, wo gerade die Kontinuität der Vor-Ort-Sozialarbeit enorm wichtig ist.
Gerade am Leopoldplatz ist die Lage kompliziert. Beispielsweise geht es derzeit auch darum, wieder den Trinkraum »Knorke« einzurichten und dafür einen Raum von der Kirchengemeinde zu mieten. Das war nicht einfach zu regeln, aber jetzt ist alles unter Dach und Fach. Am Leopoldplatz stellt ja auch die Landeskommission gegen Gewalt Mittel zur Verfügung, aber die Ausschreibung für das Platzmanagement hatte sich leider verzögert, was auch daran liegt, dass wir noch nie so viele Ausschreibungen und Zuwendungsbescheide zu bearbeiten hatten wie jetzt. Doch spätestens nach der Sommerpause soll es nun wieder richtig losgehen mit Fixpunkt.

Auch freie Projekte hängen manchmal in der Luft, derzeit beispielsweise »himmelbeet« im Wedding, das derzeit nicht weiß, wo und wie es für sie weitergeht.
Hintergrund sind die noch laufenden Vertragsverhandlungen zwischen dem Bezirk und Amandla e.V., der ja an dieser Stelle ein kombiniertes Angebot von Sport und Bildung errichten will, das für den Bezirk eine wichtige Ergänzung der vorhandenen Angebote wäre. Der Vertrag ist in Arbeit. Doch es wird an dieser Stelle wohl auch 2019 noch nicht gebaut. Man darf aber auch nicht vergessen, dass himmelbeet ursprünglich als temporäres Projekt begonnen hat. Da muss man auch mal einen langen Prozess aushalten. Wenn wir Neues auf dem hinteren Leopoldplatz etablieren wollen, dann müssen wir alle Interessen berücksichtigen und dieser Prozess lässt sich nicht in wenigen Wochen abschließen.

Ist der Präventionsrat mit gerade einmal zwei Stellen nicht stark unterbesetzt angesichts der vielen Brennpunkte in Mitte und der Fülle von Aufgaben, um in diesem Bereich auch noch Ausschreibungen und Zuwendungsbescheide zu erstellen?
Der Präventionsrat bekommt Verstärkung, er braucht auch einen administrativen Background und soll von Verfahrens- und Verwaltungsaufgaben entlastet werden. In der Tat nehmen der Handlungsbedarf und damit auch die Arbeit zu. So wünscht sich die BVV Mitte auch für den Bereich Kurfürstenstraße eine Art Platzmanagement. Das Instrument ist ja wichtig: So konnte der Leopoldplatz aus der Statistik der besonders kriminalitätsbelasteten Orte vor allem deshalb entlassen werden, weil dort ein gutes Netzwerk mit vielen Beteiligten aufgebaut worden ist.
Wenn die BVV zustimmt, möchten wir gern einen zweiten Präventionsbeauftragten einstellen. Klar ist, dass der Leo und der Kleine Tiergarten Priorität haben. Am Alex dagegen brauchen wir ein anderes Instrument, dort gibt es inzwischen so viele Interessengruppen und Beteiligte, dass es einer zentralen Anlauf- und Entscheidungsstelle bedarf, die die Aktionen bündelt und strukturiert. Diese sollte beim Bezirksamt Mitte angesiedelt sein.

Verwirrung stiftet auch die Vielzahl der Anlaufpunkte für Bürgerbeteiligung beim Bezirksamt. Da gibt es ein Büro für Bürgerbeteiligung, außerdem die Stadtteilkoordinatoren, dazu eigene Bürgerbeteiligungsverfahren in den Sanierungs- und QM-Gebieten, und das Straßen- und Grünflächenamt richtet offenbar seine Beteiligungsverfahren und die Öffentlichkeitsarbeit selbst aus. In diesem Wirrwarr kommen manche Botschaften beim Empfänger gar nicht mehr an.
Die Bürgerbeteiligung muss klar an das Büro für Bürgerbeteiligung angebunden sein, um die Kräfte zu bündeln. Aber bei Informationsveranstaltungen sind natürlich die Fachämter in der Verantwortung, die dafür zum Teil gerade personell verstärkt werden. Für den Radverkehr würde ich mir beispielsweise eine zentrale Veranstaltung wünschen, um darüber zu informieren, was wann wo passiert.

Viele Bürger wundern sich auch über unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Bezirken, beispielsweise beim beliebten Thema Baumscheibenbepflanzungen.
Ja, es wäre oft hilfreich, wenn es mehr Abstimmung gäbe. Es kann nicht sein, dass sich die Regeln zur Bepflanzung von Baumscheiben so gravierend in den Bezirken unterscheiden.

Ohnehin ist das Gestückel bei den Radwegen und -strecken eine Zumutung, wenn plötzlich eine Fahrradstraße im Nichts verendet. Bei solchen Problemen taucht automatisch immer mal wieder die Frage auf, wie sinnvoll die zweistufige Verwaltung ist.
Das ist ein völlig falscher Zeitpunkt für diese Diskussion. Es muss jetzt etwas passieren. Wir haben nicht die Zeit, erst mal jahrelang über Strukturen zu debattieren.

Interview: Christof Schaffelder, Ulrike Steglich, Foto: Christoph Eckelt (bildmitte)

Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 4 – juli/august 2018

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