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„Wir haben hier keine Probleme“

Paracelsus Apotheke im Beusselkiez

Die alten dunklen Holzregale von 1901 mit ihrem gediegenen schwungvollen Schmuck erzeugen eine besondere Atmosphäre beim Betreten der Parcelsus Apotheke in der Huttenstraße 68. Kompetent und freundlich kümmern sich seit 24 Jahren Apotheker Dieter Keller und Edith Görg um die Wünsche ihrer Kunden. Zur Zeit müssen sie ziemlich viel erklären, denn die Änderungen der Gesundheitsreform sind bei den Patienten nicht richtig bekannt. „Ich habe in den ganzen Jahren ja schon viele Reformen erlebt, aber jetzt ist es wirklich anstrengend. Manchmal dauert es 20 Minuten bis man die Prozentregelung und das alles einigermaßen verständlich gemacht hat,“ klagt Keller und ruft auch gleich seinen Praktikanten zu Hilfe, „kannst Du diesem Kunden mal bitte erklären, dass er das Medikament bezahlen muss.“ Talal Banawer legt auch gleich los – nur wir können ihn nicht verstehen – er spricht arabisch.

Und damit kommen wir gleich zum eigentlichen Thema unseres Gesprächs: Als Problemgebiet und Kriminalitätsschwerpunkt ist der Beusselkiez in den Medien verschrien. Aber wie schätzt ein Gewerbetreibender, der das Gebiet und seine Bewohner seit einem Vierteljahrhundert aus seinem eigenen besonderen Blickwinkel von innen beobachtet, die Lage ein.

Keller berichtet: „Wir haben hier keine Probleme. Unsere Kunden sind ausgesprochen nett und freundlich, ganz egal, ob sie Deutsche, Türken, Araber sind oder aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen. Wenn sie zu uns kommen, sind sie krank und wollen Hilfe. Aber ich wohne nicht hier im Kiez, also bekomme ich vieles auch nicht mit. Wenn zum Beispiel über nächtlichen Lärm geklagt wird. Im Nachbarhaus wohnt eine Familie mit sieben Kindern, unter denen möchte ich nicht gerade wohnen. Das ist ja klar, dass es da laut zugeht.“ Der Beusselkiez ist arm, das war er schon immer, seit er als Arbeiterviertel neben den Fabriken erichtet wurde. Aber  die Bevölkerungsstruktur hat sich verändert. „Viele unserer alten Kunden sind weggezogen. Es hängt von den Menschen ab, ob sie miteinander klarkommen oder nicht.“

Ausbildung und Deutschkenntnisse

Die Apotheke ist eine Institution im Kiez. Edith Görg und Dieter Keller kennen die Familien seit langem. Die Eltern, die jetzt wegen der Kinderkrankheiten ihrer Sprösslinge zu ihnen kommen, kennen sie oft schon, seit sie selbst Kinder waren. „Wir bilden aus und alle unsere Auszubildenden, auch Medihat Sönmez, kommen aus der Umgebung. Manchmal ist es schwierig. Berichtshefte müssen geschrieben werden und viele lateinische Namen gelernt. Das ist für uns als Ausbilder oft ein hartes Brot.“ Keller erzählt, dass einige seiner Lehrlinge wegen schlechter Deutschkenntnisse scheitern: „Sie sind oft ziemlich intelligent, können zum Beispiel super mit dem Computer umgehen, aber beim Deutsch sollte man nach zehn Jahren Schule mehr erwarten können.“ Die ausländischen Familien, in denen fehlerfreies Deutsch gesprochen wird, gibt es natürlich auch. „Unser Praktikant Talal hat früher auch nebenan gewohnt, sein Abitur gemacht und Pharmazie studiert.“ Der Apotheker relativiert die Hysterie, mit der viele im Bildungswesen die schlechten Deutschkenntnisse von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache betrachten. „Ich muss sagen, das ist eigentlich nichts neues. Als ich bei der Bundeswehr war – das ist 40 Jahre her – musste ich für mein ganzes Zimmer die Berichtshefte schreiben. Meine deutschen Kameraden konnten damals auch keinen vernünftigen Satz zu Papier bringen. Und in den andern Zimmern war es nicht besser. Das hatten die schon extra so eingeteilt, dass immer einer dabei war, der helfen konnte.“

Kriminalität und Sicherheitsgefühl

Von viel Kriminalität wissen Görg und Keller – jedenfalls aus eigener Erfahrung – nichts zu berichten. Es kommt schon mal vor, dass jemand versucht eine Kleinigkeit mitzunehmen, aber in den ganzen Jahren gab es nur einmal einen Einbruch. „Hier gibt es keine richtigen Jugendbanden. Die verstehn sich untereinander ganz gut, obwohl eine klare Hierarchie herrscht: Türken, Araber und dann die Jugos. Auseinandersetzungen, die manchmal auf der Straße eskalieren, sind meistens Familienstreitigkeiten. Was von manchen als Messerstecherei unter Drogendealern interpretiert wird, war dann vielleicht ein Streit, weil jemand die Schwiegermutter beleidigt hatte. Diese Erklärung haben wir wirklich bekommen,“ so Keller. Zum Thema fällt ihm eine ganz andere Geschichte ein: “ Wir hatten tatsächlich einmal vergessen die Apotheke abzuschließen und dann hat sich ein Nachbar, übrigens einer, der schon mal im Gefängnis war, vor die Tür gesetzt und sie bewacht, bis ich benachrichtigt werden konnte. Das ist allerdings schon eine Weile her.“

Lebendige Straßen

Auch Görg hat keine Angst vor Überfällen: „Zum Glück ist die Huttenstraße jetzt wieder belebt. Anfang und Mitte der 90er Jahre war es manchmal ein wenig unheimlich, wenn wir abend um halb sieben zugeschlossen haben. Da standen viele der Läden leer.“ Doch jetzt gibt es persische, türkische und viele arabische Geschäfte, nebenan den koreanischen Imbiß. Die älteren Kunden aus dem Kiez vermissen ihre alten Geschäfte schon. Seit der Tabakladen gegenüber wegen der Sanierung des Hauses geschlossen wurde, gibt es für sie keinen Platz mehr für einen Kaffee oder ein kleines Pläuschchen. „Wir haben damals sogar Unterschriften gesammelt, aber es war nichts zu machen,“ bedauert Keller. Die Bank auf der Huttenstraße hätten sie gerne behalten, auch wenn da mal Leute draufsaßen, die etwas lauter waren und einen über den Durst getrunken haben. Was die Apotheker am meisten stört ist die Zoneneinteilung der Berliner Stadtreinigung. „Hier sind wir ja nur C-Zone.“ In der A-Zone wird jeden Tag gefegt, am Kudamm oder solch wichtigen Orten und hier nur einmal die Woche. „Am Sylvestermüll lässt sich immer besonders gut ablesen, wie lange es dauert bis die BSR mal wieder hier war“ klagt Görg.

Seit beinahe fünf Jahren arbeitet das Quartiersmanagement. Wir wollen wissen, ob sich seitdem was verbesser hat. Keller zuckt die Achseln: „Das kriege ich vielleicht nicht so mit, weil ich hier nicht wohne. Ich bin anderswo engagiert. Es kommen immer viele, die uns befragen. Aber im Kiez ist es ein ständiges Auf und Ab.“ Görg freut sich über die Kunstaktionen in leerstehenden Läden, die jetzt auch wieder in der Waldstraße, wo sie seit 25 Jahren wohnt, laufen: „Das ist prima. Ich werde hier nicht mehr wegziehen.“

Zuerst (leicht gekürzt) erschienen in: „stadt.plan.moabit“ Nr. 17, März 2004

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