Die Brücke – Lotsen durch den Behördendschungel
Das Lotsenprojekt beantwortet geflüchteten und zugewanderten Menschen in Mitte alltägliche Fragen und unterstützt sie auf der Suche nach den richtigen Ansprechpartnern in den Behörden. Das Besondere: Die Lotsen sprechen insgesamt mehr als zehn verschiedene Sprachen. Mit ihren Klienten kommunizieren sie auf Augenhöhe in der jeweiligen Muttersprache.
In dem kleinen Büro des Lotsenprojekts in der Beusselstraße 80 herrscht an diesem heißen Mittwochmorgen um 11 Uhr bereits Hochbetrieb. Die Mitarbeiter in den funktional eingerichteten Ladenräumen befinden sich alle in Gesprächen. Gleich drei Telefone klingeln, vor dem schwarzen Brett warten zwei Männer. Die Mitarbeiter des Lotsenprojekts »Die Brücke« sind erste Ansprechpartner für Geflüchtete und Zugewanderte. Sie beantworten Fragen des täglichen Lebens in der jeweiligen Muttersprache, initiieren aber auch Hilfe zur Selbsthilfe und weisen auf das Erlernen der deutschen Sprache hin.
Zusammen sprechen sie mehr als zehn Sprachen, u.a. Arabisch, Türkisch, Polnisch, Russisch, Serbisch, Kroatisch, Griechisch und Rumänisch. Bis auf Mitarbeiter, die als Maßnahmeteilnehmer übers Jobcenter vermittelt worden sind, haben sie alle selbst einen Migrationshintergrund und helfen ihren Klienten dadurch auf Augenhöhe durch den deutschen Behördendschungel. Was das genau bedeutet, variiert von Fall zu Fall. Jeder Tag, erzählen Teamleiterin Muzaffer Yigitler und fünf ihrer Mitarbeiterinnen, sei anders. »Manchmal kommen Menschen einfach nur, um zu erzählen«, sagt die studierte Juristin Amal Chaibi und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: »Wenn ich aus meinem Land raus wäre, würde ich mir auch jemanden suchen, der mich versteht.« Die arabischsprachige Chaibi arbeitet in dem Projekt als Lotsenengel, wie die Büroleiterin Muzaffer Yigitler ihre Integrationslotsinnen nennt. Die acht Frauen und zwei Männer im Büro von Muzaffer Yigitler haben ganz unterschiedliche Hintergründe und Geschichten. Sie verbindet vor allem, dass sie ihren Job aus Überzeugung und Leidenschaft machen. »Die Arbeit als Integrationslotsen erleben sie als wertschätzend, zumal es sozialpflichtige Arbeitsverträge für Lotsen noch nicht lange gibt«, sagt Yigitler. Amal Chaibi erzählt, dass sie gerade in der Wohnungsnothilfe oft Frustrierendes erlebt. Dennoch mache sie ihre Arbeit gerne. Frau Al Sabawi, die eine Ausbildung als Gemeindedolmetscherin gemacht hat, nickt. »Die Arbeit ist sinnstiftend. Und man lernt mit jedem Kunden dazu.«
Begonnen hat das Lotsenprojekt 2005 mit acht Mitarbeitern in einem kleinen Büro im Sprengelhaus. Mittlerweile hat das vom Quartiersmanagement initiierte Projekt bereits sechs Büros mit 64 Mitarbeitern, alle im Bezirk Mitte. Neben der Arbeit in den Büros, also die Klienten auf der Suche nach den richtigen Ansprechpartnern für Aufenthaltsrecht, Arbeitsvermittlung, Wohnungssuche usw. zu unterstützen und telefonisch Beratungstermine zu vereinbaren, begleiten die Integrationslotsen ihre Klienten immer öfter zu Terminen und machen mehrmals in der Woche Außeneinsätze in Flüchtlingswohnheimen oder der Wohnungsnothilfe. Von den Behörden und Einrichtungen werden sie täglich als Sprachmittler in einfachen Zusammenhängen angefordert, was oft die Kapazitäten überschreitet. In seltenen Fällen gehen sie auch auf außergewöhnlichere Bitten und Wünsche ein, wie Pflegeregelungen durchzugehen, einen Liebesbrief aus dem Arabischen ins Deutsche zu übersetzen oder einer Mutter bei der Suche nach ihrem Sohn zu helfen, der auf der Flucht übers Mittelmeer verloren ging.
»Der war erst zwei Jahre, genau so alt wie mein eigenes Kind«, sagt Amal Chaibi und schluckt. Nicht immer gelingt es ihr, sich emotional abzuschirmen, wenn sie mit solchen Schicksalen konfrontiert wird. Gerade die Integrationslotsen, die sich in Außeneinsätzen um Flüchtlinge kümmern, erzählt Yilgiter, arbeiten oft am Limit. Damit die Mitarbeiter Gefühle der Ohnmacht und Überforderung nicht mit nach Hause zu nehmen, gibt es regelmäßige Teamsitzungen, in denen sich alle über ihre Probleme austauschen; die Integrationslotsen bekommen zusätzlich Supervision.
Um die vielen Anfragen an die Integrationslotsen zu bewältigen, werden mittlerweile alle Termine zentral von der Projektleitung in der Hochstädter Straße im Wedding koordiniert. Täglich kommen zehn bis vierzehn Anfragen per Mail und werden von der Zentrale auf die Mitarbeiter der sechs Lotsen-Büros in Mitte verteilt. Träger des Lotsenprojekts »Die Brücke« ist die Bildungsmarkt Waldenser GmbH, finanzielle Unterstützung kommt von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und vom Jobcenter Berlin Mitte. Erst kürzlich hat der Bezirk Mitte die »Brücke« als sehr erfolgreiches Integrationsprojekt gelobt.
Vom Jobcenter Mitte bekommt das Projekt Maßnahmeteilnehmer u.a. über 1,50-Euro-Jobs. Diese sind oft mehr oder weniger motiviert mitzuarbeiten, haben persönliche Problemlagen, die dann mit der Beschäftigung in Übereinstimmung zu bringen sind, was nicht immer einfach ist, erzählt Yilgiter. Die Integrationslotsin Frau Akbas nickt: »Der Berliner Senat sollte mehr Integrationslotsenstellen über das Landesrahmenprogramm schaffen, damit die Tätigkeit Nachhaltigkeit hat. Wer das Gefühl hat, geschätzt zu sein, eine Basisqualifizierung und einen ›echten‹ Arbeitsvertrag erhält, arbeitet doch gleich viel besser und motivierter.«
Kontakt:
Lotsenbüro Moabit, Beusselstraße 80, 10553 Berlin, Tel. 030/34 09 64 26, lotsen-beussel@bildungsmarkt.de
Text: Eva-Lena Lörzer, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte
Zuerst erschienen in der »ecke turmstraße«, nr. 5, aug./sept. 2016
Nachtrag:
Adressen aller Lotsenbüros in Mitte sind hier zu finden und seit Ende September gibt es das Büro im Flüchtlingsbürgeramt. Auch in der Berliner Woche.