40 Jahre Bürgerinitiative Essener Park – wir leben noch!
MoabitOnline übernimmt einen Beitrag der B.I. SilberahornPlus:
In der Verwaltung von Berlin Mitte gibt es Überlegungen, den „Essener Park“ in Moabit als „Geschützte Grünanlage“ aufzugeben. Das interessierte die „Stadtteilvertretung Turmstraße“ und alarmierte AnwohnerInnen.
Über einen Ortstermin am 1. August 2016 haben wir auf der Silberahorn-Seite am 2. und 5. August berichtet. An diesem Ortstermin nahmen auch AktivistInnen der „Bürgerinitiative Essener Park“ teil. Sie schickten uns folgende Erinnerungen an bürgerschaftliches Engagement gegen Bebauungsabsichten in den 1970er Jahren:
Der Essener Park liegt in Moabit, das zu den dichtestbebauten Wohngebieten Europas gehört. Als es uns in den späten 70ern zu Ohren kam, dass der Essener Park, eine 6000 qm große baumbestandene Innenhoffläche im Block Essener/Krefelder/ Stromstraße/Alt-Moabit, bebaut werden sollte, war das über eine Anwohnerin, die als Mieterin vage über ein Bauprojekt „an der Essener Straße“ informiert worden war. Es gab noch keine Grünen, keine Linken, die damalige „Opposition“ im Rathaus Tiergarten bestand aus zwei (!) FDP-Bezirksverordneten gegenüber einer SPD/CDU-Einheitsregierung.
Diese FDP-Verordneten waren es denn auch, die 1977 für uns eine kleine Anfrage im Bezirksparlament stellten, was es mit dem Gerücht über Baupläne auf sich habe. Wir erfuhren, dass die Bebauung mit einem Haus des älteren Bürgers seit 1972 geplant war.
Wir gründeten die „Bürgerinitiative Essener Park“, verteilten ständig an die umliegenden Bewohner Infomaterial und veranstalteten unser erstes Essener-Park-Fest mit ca. 2000 Besuchern. Parallel engagierte sich die benachbarte Heilandsgemeinde mit mehreren Bürgerversammlungen, zu denen die geladenen Behördenvertreter regelmäßig nicht erschienen.
Der Rechtsweg gegen die Bebauung wird mit unserem Vertreter, Rechtsanwalt Reiner Geulen, eingeleitet. Am 9. Juni 1978 wird vom Verwaltungsgericht entschieden: im Essener Park darf nicht gebaut werden.
Gleichzeitig schrieben wir Rechtsgeschichte, denn erstmalig wurde auch Mietern ein Klagerecht auf Nachbarschutz eingeräumt. Wir plakatieren hoch oben auf einer Riesenleiter schwankend im Morgengrauen an einer Brandmauer unser Transparent: „Gerichtsentscheid in erster Instanz: der Essener Park bleibt ganz.“ Dieses halsbrecherische Unterfangen betrieben wir in der Folge öfter, nicht selten erwartete uns unten der Streifenbeamte.
Die Bau- und Baumfällgenehmigung wurde dann erteilt.
Am 14. Oktober 1978 veranstalten wir die seit den Arbeiterdemos der 20er Jahre wohl größte Demo in Moabit für den Erhalt des Essener Parks. In der Heilandskirche findet am 13. Dezember 1978 ein Solidaritätskonzert des Brandenburgischen Kammerorchesters statt.
Zusammen mit der Berliner Baumschutzgemeinschaft pflanzen wir eine „Wehrpappel“ im Park.
Eine Anwohnerin spendet mehrere tausend D-Mark für unsere Arbeit, darüber hinaus sammeln wir ständig bei den Moabitern für unsere Gerichtskosten.
Jedes Jahr feierten wir ein großes öffentliches Essener-Park-Fest mit illustren berühmten Orchestern, Musik- oder Kabarettprogrammen, die alle kostenlos auftreten (das letzte 2005). Wir sind stadtweit bekannt.
Im März 1979 geben wir eine 30-seitige Broschüre über unsere Arbeit heraus.
Es muss 1981 gewesen sein, als der damalige Bausenator Harry Ristock kurz vor seinem politischen Ende entschied: der Essener Park wird nicht bebaut.
Nach 1978 waren die ersten „Alternativen“ in die Bezirksverordnetenversammlungen und ins Abgeordnetenhaus eingezogen, der SPD kamen massiv die Wähler abhanden.
Nun erfahren wir im August 2016, dass schon wieder über die Zukunft des Essener Parks diskutiert wird. Das Grünflächenamt will die geschützte Grünfläche angeblich loswerden. Um sie nicht an den neuen Besitzer der Essener-Straßen-Bebauung, Akelius, zu verkaufen, der wohl Interesse an einer Bebauung hätte, erwägt man, die Fläche an das Jugendamt abzugeben, das dann Kitas etc. dort spielen lassen möchte.
Dennoch muss angesichts der neuesten Pläne des Bezirksamts, Hand an den Essener Park zu legen, an die unheilvolle Tradition in diesem Bezirk erinnert werden: wann immer Sozialflächen benötigt werden, werden diese von öffentlichem Grün genommen.
- Der Fritz-Schloss-Park ist mittlerweile durch die Neubauten einer Schule und eines Kinderzentrums, Sportplätze etc. um mehr als ein Viertel seiner Fläche reduziert worden.
- Der Carl-von-Ossietzky-Park wurde durch den Neubau eines Seniorenwohnhauses und einer Kindertagesstätte immer wieder verkleinert.
- Beim Bau der Zille-Siedlung wurden viele hundertjährige Platanen unwiederbringlich zerstört, ebenso zugunsten der Straßenbahn in der Invalidenstr.
- Beim „Umbau“ des Ottoparks und des Kleinen Tiergartens wurde zugunsten sozialer Einrichtungen massiv in den Baumbestand der öffentlichen Flächen eingegriffen.
- Der Große Tiergarten verlor durch Kanzleramt, Carillon etc. viel Fläche.
Zum Schluss noch ein Satz, den der Moabiter Künstler Klaus Franken 1979 unter der Überschrift „Moabiter Zukunft“ auf einem Linoldruck verfasste:
„Der Essener Park bleibt ganz,
das Rathaus wird abgerissen
und der Ottopark bis an die Markthalle herangeführt.
So wird langsam jeder Quadratmeter Boden
wieder sinnvoll genutzt.“
Dem haben wir nichts hinzuzufügen.
Bürgerinitiative Essener Park im August 2016
Die Bürgerinitiative SilberahornPLUS bedankt sich herzlich für diesen Bericht und die Fotos aus den 1970er Jahren! B. Nake-Mann, 11. Aug. 2016
Zuerst erschienen auf dem Blog der B.I. SilberahornPlus (mit noch zwei weiteren Fotos).
Nachtrag:
Erinnerungen von Michael Rannenberg, dem früheren Pfarrer der Heilandsgemeinde, zum Kampf um den Essener Park mit der Dokumentation eines offenen Briefes des damaligen Bügerforums an das Bezirksamt und die BVV vom 4. März 1978.
Erstaunlicherweise wurden die beiden öffentlichen Zugänge zum Essener Park, die beide über Privatgrundstücke führen, nicht grundbuchlich gesichert, wie hier zu lesen ist: https://www.turmstrasse.de/projekte/essener-park
Ich wohne seit Ende 2008 IM Essener Park, also einem Haus, das rundherum in den Park schaut. Als ich dort einzog war mein Vermieter noch nicht die AKELIUS, und mir wurde damals versichert, das wäre ein hauseigener Park, der allein zu den Häusern der Essener Straße gehöre und nicht der Allgemeinheit zugänglich wäre. Damals war das Tor zur Stomstraße auch regelmäßig abgeschlossen. heute ist dort das Schloss ausgebaut und im Park findet ein regelrechter DEALER-Treff statt. Erst gestern, als ich am Sonntag gegen 13:00 den Park zur Garage des Consul-Hotels passieren wollte, war ein schätzungsweise 13Jähriger gerade dabei, sich die Nadel zu setzen und bat mich, doch zu warten, oder einen anderen Weg einzuschlagen. Der Dealer saß nebenbei auf der Bank. Er ist nicht nur den Anwohnern, sondern auch der Polizei bekannt, denn er kommt täglich. Passieren tut nichts! Dort spielen Kinder und ein Kindergarten entlässt die Kinder täglich auf die Sandflächen zum Spielen. Mitten in die Spritzenreste!
Dieser Park, das schreiben Sie in Ihrem Bericht nicht, ist ein Überbleibsel des Parks der Villa Borsig. Borsigs Freund war Linne, der den Garten samt Beflanzungen angelegt hat. Auch Humboldt gehörte zu Borsigs Freunden und brachte regelmäßig ausgefallene Pflanzen mit, die auch hier im Park noch zu finden sind.
Der Borsig-Park reichte bis zur Spree, erst 1903 ? wurde die Villa aufgegeben und die Essener Straße erstmalig im Stadtregister erwähnt.
Das alles spricht auch heute noch FÜR den Erhalt des Parks in seiner bisherigen Form, der eine wirkliche Ruheoase ist. Nur sollte er abgeschlossen werden können, um Dealerei und Überfälle zu verhindern. Ebenso sollten die inzwischen von Randalierern zerstörten Bänke sowie Plattenwege repariert werden. Und schließlich überhaupt die Schönheit des Parks der Anlass, dort damals einzuziehen……
Die Villa Borsig wurde 1842-45 auf dem Eckgrundstück Alt-Moabit 86/Stromstraße erbaut und 1848 durch Heinrich Strack spätklassizistisch umgebaut, 1868-70 wurde die Loggia angebaut. Die Villa lag in einem von Peter Joseph Lenné gestalteten, drei Hektar großen Park. Das westlich danebenliegende Eisenwerk wurde 1847-49 erbaut und 1852 erweitert. In diesem Werk wurden größtenteils Halbzeuge hergestellt, in der Zwischenphase zwischen der Schließung des Ursprungswerkes an der Oranienburger Straße und der Inbetriebnahme des Tegeler Werkes aber auch Lokomotiven, die über ein heute nicht mehr vorhandenes Anschlußgleis zum Güterbahnhof Moabit gezogen worden sind (die Lage ist noch an einer schnurgeraden Grundstücksgrenze in der nördlichen Bebauung erkennbar). 1899 war der Umzug nach Tegel abgeschlossen, das Gelände wurde durch eine von der Familie Borsig gegründete Terraingesellschaft, die „Neu-Bellevue-Aktiengesellschaft für Grundstücksverwertung“ entwickelt, wie man heutzutage sagen würde, und es entstanden demzufolge die heute dort stehenden Wohnhäuser. Die Villa wurde 1911 abgerissen.
Literatur (Auswahl):
Wirth, Irmgard; Rave, Paul Ortwin: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Bezirk Tiergarten, Berlin, 1955, S. 254 ff. Hier ist im Tafelteil eine schöne Auswahl von Aufnahmen der Villa enthalten, ab Abb. 331. enthält weitere Quellenangaben, so zu BusB.
Engel, Helmut; Jersch-Wenzel, Stefi; Treue, Wilhelm: Tiergarten. Teil 2. Moabit (in der Reihe Geschichtslandschaft Berlin, HiKo (Hrsg.)), Berlin, 1987, S157 ff. Hier ist der Ereignisgeschichte auf einem aktuelleren Forschungsstand nachlesbar.
Bezirksamt Tiergarten (Hrsg.): Schmied und Gießer. Zwei Torwächter von Borsigs Fabrik. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung 1992-1993 des Heimatmuseums Tiergarten, Berlin, o. J. (1992). enthält u.a. eine zeitgenössische „Luftaufnahme“ (vom Schornstein aus), die die Villa und den Bereich bis zur Heilandskirche zeigt.
Hier ist ein Bild (das unterste) zu finden, wenn auch nicht das oben erwähnte Foto:
https://moabitonline.de/11693
und hier ist das Anschlussgleis zu erkennen:
https://moabitonline.de/wp-content/uploads/2014/10/Ausschnitt__Straube_Monumental-Plan_der_Reichshauptstadt_Berlin_1896__1200px.gif
Es sollte doch unbedingt ein öffentlicher Park bleiben, auch wenn nicht alle den Eingang finden – Stromstraße 67 ist der Durchgang!