Wandel im Handel
Der Umbau der Schultheiss-Brauerei beginnt, Gewerbetreibende suchen neue Standorte
Jetzt fängt die Eigentümergesellschaft HGHI an, das Schultheiss- Areal umzubauen. Der Investor Harald G. Huth will das Gelände der ehemaligen Moabiter Brauerei neu gestalten: u.a. mit einer großen Shopping-Mall und einem Hotel. Bis Anfang April hatten die bisherigen Gewerbetreibenden auf dem Schultheiss-Gelände eine Frist, neue Geschäftsräume zu finden. Das war keine leichte Aufgabe. Wir haben einige ehemalige Mieter besucht.
Enver Yilmaz ist einer der letzten Gewerbetreibenden auf dem Schultheiss-Areal. Alle übrigen Mieter sind bereits ausgezogen. Im Büro seiner KFZ-Werkstatt herrscht reges Treiben, trotzdem nimmt er sich die Zeit für ein Gespräch. „Der Kapitän verlässt als letzter das Schiff, sagt man doch. Na, dann muss ich wohl der Kapitän sein. Aber nicht wie Schettino auf der Costa Concordia – sondern eher wie der mit der Notlandung auf dem Hudson River.“ Herr Yilmaz lacht. Er hat seinen neuen Mietvertrag gerade unterschrieben und räumt in den nächsten Wochen seine Werkstatt und das Taxiunternehmen. „Es war sehr schwer für uns, einen neuen Standort zu finden. KFZ-Werkstätten brauchen viele Genehmigungen. Wir ziehen jetzt an den Mehringdamm. Mit dem Taxiunternehmen können wir ca. 30 Prozent der Fixkosten decken. Doch viele Stammkunden gehen uns verloren. Das muss man erst mal verkraften.“ 15 Jahre lang war Enver Yilmaz auf dem Schultheiss-Gelände, zeitweise hatte er 60 Angestellte. Er ist sehr unzufrieden über das Verhalten des Vermieters. „Wir hatten alle Verträge mit einer einjährigen Kündigungsfrist. Dann bekamen wir ein Schreiben mit der fristgerechten Kündigung des alten Mietvertrages und einen neuen Mietvertrag mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist. Alle haben diesen Vertrag unterschrieben. Wir hatten keine Wahl, aber wir haben gehofft, dass es noch dauern würde mit dem Baubeginn. Dann bekamen wir eine noch kürzere Kündigungsfrist, am Ende waren es noch acht Wochen. Ich habe versucht, dagegen vorzugehen, und bei der Gerichtsverhandlung am 1. April einen Aufschub bis Ende des Monats bekommen. Danach ist endgültig Schluss.“
Das Bezirksamt Mitte unterstützt die Gewerbetreibenden des Areals bei Umzügen und die Fortsetzung ihrer Existenz in neuen Quartieren. „Alle Gewerbetreibenden auf dem Areal wurden über die bestehenden Möglichkeiten informiert, einige haben davon bereits Gebrauch gemacht“, sagt Sabine Slapa vom Geschäftsstraßenmanagement „die raumplaner“, das das Bezirksamt bei diesem Verfahren unterstützt. Bereits im Mai 2014 wurden an alle 65 Mieter Informationsschreiben versandt. „Bisher liegen sechs Anträge vor. Mit den Antragstellern finden Gespräche statt, es geht dabei auch um Nachforderungen von Unterlagen und Beratungen. Voraussetzung für einen sogenannten Härteausgleich ist z.B. die betriebswirtschaftliche Auswertung der letzten vier Jahre. Der vollständige Antrag mit einer Erstbeurteilung muss dann an die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung weitergeleitet werden. Hier findet über einen Ausschuss eine Beratung über jeden einzelnen Fall statt. Das Ergebnis wird dann an das Bezirksamt zurückgespielt. Ein langer Weg, den die Antragsteller leider gehen müssen.“
Hakki Yozcat konnte mit seinem Möbelgeschäft in Moabit bleiben. An der Ecke Alt-Moabit/Thomasiusstraße hat er neue Räume bezogen. Er kauft Restposten von großen Versandhäusern auf und verkauft diese zu einem günstigen Preis weiter. Wichtig für sein Geschäftskonzept sind eine große Verkaufsfläche und gute Lagermöglichkeiten. Auf dem Schultheiss-Areal standen ihm 1200 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung, an seinem jetzigen Standort sind es nur 400. Ein Lager musste er in Pankow anmieten. Das ist ein logistisches Problem. Er sucht weiterhin dringend nach bezahlbaren Lagermöglichkeiten im Kiez. Doch mittlerweile liegen selbst für Lagerräume die Preise bei 6 Euro pro Quadratmeter, sagt Herr Yozcat. Er hat sich früh darum gekümmert, einen neuen Standort zu finden. Dabei hat er sich auch an das Geschäftsstraßenmanagement gewandt, wo er entsprechende Unterstützung erhält. „Die Geschäftsstraßenmanager waren sehr kooperativ, aber die bürokratischen Hürden für die Unterstützung durch den Bezirk sind hoch. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Unterstützung zu beantragen. Dafür mussten wir drei Vergleichsangebote einholen und die Rechnung der beauftragten Umzugsfirma einreichen. Bezahlen musste ich den Umzug natürlich erstmal selbst. Ob und wann ich eine Rückerstattung dieser Kosten erhalte, ist noch nicht klar.“ Doch bei allen Sorgen sieht Hakki Yozcat auch hoffnungsvoll in die Zukunft. Er überlegt, sein Geschäftskonzept umzustellen. An der Straße AltMoabit hat er zwar keine so große Ladenfläche, dafür aber zahlungskräftigeres Publikum.
Mahmood Aslan betreibt seit 1997 einen Groß und Einzelhandel für pakistanische, indische, arabische und afrikanische Lebensmittel. Er hat ebenfalls einen neuen Standort an der Straße Alt-Moabit gefunden. Einige Kisten sind noch unausgepackt, das Büro noch nicht eingerichtet. „Es musste dann sehr schnell gehen. Wir haben ja nie irgendeine verbindliche Aussage vom Vermieter gehört. Wir dachten eigentlich, dass wir bleiben könnten. Es hieß immer nur: Bald wird Baubeginn sein. Das hörte ich 16 Jahre lang und irgendwie glaube ich immer noch nicht, dass es jetzt tatsächlich losgeht.“ Das neue Ladengeschäft ist schön: geräumig, hell, übersichtlich. Doch Mahmood Aslan stöhnt: „Die Kosten haben sich enorm erhöht. Nicht nur die Miete bereitet uns Sorgen, es sind noch ganz andere Faktoren, die eine Rolle spielen: Viele Kunden kamen aus den angrenzenden Bezirken. Die gute Verkehrsanbindung war für unser Geschäft sehr wichtig. Ich habe meinen Großhandel jetzt in Reinickendorf, in Moabit nur noch den Einzelhandel.“ Vor einigen Tagen war der erste warme Tag und prompt streikte Mahmood Aslans Kühlanlage. Er muss nun eine Klimaanlage einbauen lassen, die mindestens 10.000 Euro kosten wird. Hinzu kommen die steigenden Energiekosten. Belastungen, mit denen er vorher nicht gerechnet hatte.
Bitter ist die Lage des Pakistanischen Kulturvereins, der in seinen Räumlichkeiten an der Perleberger Straße seit 1998 Kulturangebote organisierte und eine Moschee betrieb. Er hat bislang keine passende Immobilie gefunden. „Wir sitzen faktisch auf der Straße“, sagt Mohammad Irshad vom Pakistanischen Kulturverein e.V. Das Treffen findet in seiner Änderungsschneiderei auf der Stromstraße statt, wo seine Frau Maßkleidung anfertigt. Im Moment ist der kleine Laden auch eine Art Hauptquartier des Vereins. Der Vorstandsvorsitzende Mian Imran ul Haq hebt die Bedeutung des Vereins für die muslimische Gemeinschaft hervor. „Zu unseren Veranstaltungen kamen nicht nur Pakistanis. Viele Nationen kamen zu uns zum Beten, zu Festen und anderen Aktivitäten. Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung. Wir haben hier viel aufgebaut und möchten Moabit nicht verlassen. Doch geeignete Räume zu finden ist sehr schwer. Vorläufig können wir in den Gemeinderäumen der Heilandskirche in der Ottostraße zum wöchentlichen Freitagsgebet aufrufen. Wir sind der Gemeinde für ihre Unterstützung sehr dankbar, doch das ist nur eine kurzfristige Notlösung. Alle anderen Aktivitäten mussten wir einstellen. Vorher waren die Rahmenbedingungen optimal. Uns standen 400 Quadratmeter zur Verfügung, wir waren etwas abseits, aber dennoch gut zu erreichen. Zu unseren Festen, zum Beispiel dem Fastenbrechen, kamen bis zu 300 Personen. Es ist schwer vorstellbar, dass wir ins Wohngebiet ziehen. Ziel ist es, unsere Arbeit fortzusetzen, ohne dabei die Nachbarschaft zu stören. Finanzielle Unterstützung brauchen wir nicht, wir suchen eher moralische Unterstützung bei der Bevölkerung und den Behörden, gemeinsam mit uns nach einer Lösung zu suchen.“
Die Gewerbetreibenden und Kulturschaffenden stehen vor zahlreichen Aufgaben. Es wird sich zeigen, wie viele der ehemaligen Mieter es schaffen, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Der Immobilienmarkt ist angespannt und zentrale Areale mit großen Flächen werden immer rarer und teurer. Das sehen auch die Gewerbetreibenden des Schultheiss-Geländes realistisch. Einige mussten den Bezirk deswegen bereits verlassen oder in viel kleinere Läden ziehen. Das ist eine große Belastung für jedes Geschäft, es kann aber auch eine Chance bedeuten. Vielleicht gelingt es, neue Kundschaft aufzubauen, die auch bereit ist, die gestiegenen Kosten mitzutragen.
Text: Nathalie Dimmer, Fotos: Christoph Eckelt (das erste) und Susanne Torka
Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 3 – Mai 2015
Die neuen Adressen:
Moabiter Möbel, Alt-Moabit 109, 10555 Berlin-Moabit
TS Food Traders, Alt-Moabit 74, 10555 Berlin-Moabit
Heninger Electronic, Sofitronic GmbH, Tip Top Elektrogeräte GmbH, Reinickendorfer Straße 14, 13347 Berlin-Wedding
Hoong, Perleberger Straße 65, 10559 Berlin-Moabit
El-Rachid, Einwegartikel – Gastronomie-Service, Lise-Meitner-Str. 39-41, 10589 Berlin, Tel. 394 40 78 / 394 40 77
Sport-Oase, Wittenauer Straße 82-86, 13435 Berlin-Wittenau, www.sportcenter-wittenau.de
Nachtrag:
Lesen Sie auch den Tagesspiegel-Artikel mit Kurzportraits von Radio Gluth Inhaber, Wilhelm Prandzioch, und Lackierermeister Mohammed El-Hazzuuri.
Nachträge und Kommentare zur Planung des Schultheiss-Geländes bei diesem MoabitOnline-Artikel von 2011.
Eine Studie von Februar 2016 zum Geschäftsstraßenmanagement Turmstraße.
http://www.berliner-woche.de/moabit/wirtschaft/monotonie-von-fast-food-und-spaetis-so-steht-es-um-den-wirtschaftsstandort-turmstrasse-d121559.html
Studie des Geschäftsstraßenmanagements