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Der Stephankiez aus der Sicht eines Außenstehenden

Erst mal muss ich ein Geständnis machen: Bis vor meiner Tätigkeit bei BürSte war der Stephankiez für mich eine unbekannte Größe. Auch Moabit war für mich nix weiter als eine Durchreisestation auf dem Weg vom Wedding nach Schöneberg oder Richtung Zoologischer Garten und dem Kurfürstendamm.

Ich wusste zwar, dass ich grad durch Moabit fahre, habe mir jedoch nie die Mühe gemacht, mal anzuhalten, durch die Straßen zu schlendern oder eines der zahlreichen kleinen Restaurants zu besuchen. Es erschien mir nie wichtig meinen Nachbar-Bezirk zu besuchen und ihn kennenzulernen. Besonders als junger Mensch hat man ja andere Sachen im Kopf. Doch dann kam der Tag, an dem ich meine Arbeit bei BürSte aufgenommen habe. Bei meinem Vorstellungsgespräch bei Celine Onken bekam ich  schon einige Hinweise darauf, was mich hier im Stephankiez erwarten würde.

Ich hatte mannigfaltige Aufgaben, die mich durch den ganzen Stephankiez und durch ganz Moabit, ja sogar raus in andere Bezirke Berlins führen sollten. Dabei bekam ich natürlich einen immer besseren Eindruck von diesem sehr unterschätzten Stadtteil. Am Anfang hatte ich Orientierungsschwierigkeiten, da ich die Namen der Straßen nicht kannte und mich infolge dessen nur mit dem Stadtplan von Moabit aus der FindSte orientieren konnte. Mit Hilfe dieses Stadtteilführers lernte ich fast alle „Sehenswürdigkeiten“ kennen, wie z. B. das Poststadion oder das gemütliche Cafe am U-Bahnhof Birkenstraße. Aber selbst wenn ich mal keinen Plan zur Hand hatte, konnte ich jederzeit jemanden auf der Straße oder in einem Geschäft fragen. Die Antworten waren durchweg positiv und die Hilfsbereitschaft war zu spüren. Generell muss man sagen, dass die Moabiter nette Zeitgenossen sind, immer bemüht zu helfen und immer wieder für eine alte Geschichte bzw. Anekdote gut.

So kam ich schon oft ins Gespräch mit netten, älteren Damen auf dem Stephanspielplatz, die sehr gerne redeten – wenn auch mal etwas länger, was mich sogar manchmal von meiner Arbeit abhielt – aber auch immer ein offenes Ohr für anstehende Aktionen im Stephankiez hatten. Zudem gibt es in Moabit einige Anlaufstellen bzw. Vereine für Menschen, die mit mancher Situation nicht zurechtkommen oder auch einfach nur überfordert sind. Auch gibt es viele engagierte Bürger, die einen guten Beitrag zur Verschönerung des Stephankiezes und auch in ganz Moabit leisten.

Eine weitere Sache, die mir als Weddinger aufgefallen ist – und die ich auch besonders bewundere – ist die Spielplatzbetreuung auf dem Stephanspielplatz. Sowas kenne ich ehrlich gesagt von keinem Spielplatz im Wedding. Ein alter Container dient als Lager für das Spielzeug-Repertoire, welches sich größtenteils aus Spenden zusammensetzt. So ist es den Kindern möglich, von Anfang Frühling bis fast schon hinein in den Herbst (solange natürlich das Wetter mitspielt) sich gegen ein Pfand Spielzeug auszuleihen.

Wie erwähnt, kenne ich persönlich sowas im Wedding nicht, wünschte mir aber, dass es in meiner Kindheit sowas gegeben hätte. Schlussendlich kann man sagen, dass ich Moabit und vor allem auch den Stephankiez ins Herz geschlossen habe. Ich hätte nicht erwartet, dass so ein unscheinbarer Ort mir so gut gefallen könnte.

Es war vielleicht nicht Liebe auf den ersten Blick, aber der zweite Blick war umso umwerfender.

Text: Tolga Güler, Foto: Steven Schutte, zuerst erschienen in LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Novemver 2009

Ein Kommentar auf "Der Stephankiez aus der Sicht eines Außenstehenden"

  1. 1
    Johannes Immink says:

    „Das Gefühl der Unwirklichkeit..“

    Ich finde zu diesem Beitrag passt folgende Momentaufnahme des Stephanplatzes ebenfalls eines Außenstehenden vor 30 Jahren:

    Stephan-Platz, Samstag 27. Juli, 17 Uhr

    Ein „Straßenfest“, d. h. es spielt eine Rockband. An ein paar Tischen gibt es Brote. Kuchen, Kaffee; fast nur „junge Leute“, der Anteil der gepflegten Jungakademikergesichter ist relativ gering. Einige Rentner auf einer Bank dicht bei der Band; türkische Frauen in Kopftüchern in geziemendem Abstand auf den Bänken des Spielplatzes. Ein „unheimlich starker“ Schlagzeuger, höchstens 16 Jahre alt; alles sehr „locker“, heiter; ein warmer Sommernachmittag. Irgendwie aber doch das Gefühl der Unwirklichkeit: Wer sind denn nun tatsächlich die Bewohner dieses „Kiezes“? Gibt es denn hier niemand, der älter als dreißig und zugleich jünger als sechzig ist?

    (Quelle: Berlin: Von der Residenzstadt zur Industriemetropole, Ein Beitrag der TU Berlin zum Preußen-Jahr 1981, Band II Kompaß- Leitfaden zu historischen Stätten des Berliner Nordens)

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