Klara (1911-1995)
Was hat Klara Franke – von manchen Kiezmutter der Lehrter Straße genannt – dem Betroffenenrat Lehrter Straße, dem Verein für eine billige Prachtstraße – Lehrter Straße und den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Straße bedeutet? Das ist viel mehr, als ich in ein paar Zeilen ausdrücken kann.
Schon lange fehlen uns ihre Geschichten von früher, als es noch 37 Restaurants und Kneipen in der Lehrter Straße gab und die Straße Maulaffenallee genannt wurde oder ihre Erzählungen aus der Nachkriegszeit, als Kinder Munition zum Spielen klauten und manchmal auch erwischt wurden. Klara machte sich sofort auf den Weg zum Polizeipräsidium, ihre Tochter da rauszuholen. Oder ihre Berichte über Menschen, denen sie geholfen hat, weil sie sich völlig verzweifelt an sie wandten, egal ob aus Liebeskummer, Problemen mit Alkohol oder weil sie obdachlos waren. Sie hat keinen weggeschickt, dem sie helfen konnte. Oder ihre Erinnerungen an die Kämpfe für die Putzfrauen bei der Firma Gegenbauer, bei der sie Betriebsrätin war, ihre Wortgefechte mit „dem Alten“, wie sie ihren Chef nannte, und mit der „Ersten“, der Betriebsratsvorsitzenden.
Lange bevor der Betroffenenrat 1989 zum ersten Mal gewählt wurde, hat sich Klara Franke für den Erhalt der Häuser in der Lehrter Straße eingesetzt. „Man müßte eine Briefaktion machen“ oder „den Politikern auf die Füße treten“, waren ihre Worte. Mit Hartnäckigkeit und Witz hat sie so, oft das scheinbar Unmögliche erreicht. Ob Demonstrationen, Menschenketten oder Unterschriftensammlungen – für eine gute Sache war Klara Franke aktiv dabei. Für ihren Kampf zur Erhaltung des Krankenhauses Moabit hat sie das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Aber auch für die scheinbar kleinen Verbesserungen im Alltag der Menschen hat sie sich energisch eingesetzt, wie z.B. die Bushaltestelle an der Thusneldaallee oder einen Gemüse-Verkaufsstand am Seniorenheim. Doch am meisten hat sie für die Kinder der Lehrter Straße getan und schon lange bevor der Spielplatz gebaut wurde, einen alten BVG-Bus auf dem Gelände des jetzigen Klara-Franke-Spielplatzes aufgestellt.
Wenn sie uns auch sehr viel von der „Prachtstraße“ erzählt hat, die die Lehrter Straße früher war, hat sie der „ach so guten alten Zeit“ nicht nachgetrauert. Klara Franke hat die Straße auch in den 1970er und 80er Jahren geliebt, als in den vernachlässigten Häusern eine lebendige Nachbarschaft aus Künstler_innen, Alten, Student_innen und Immigrantenfamilien entstanden war. Unkonventionell wie sie war, liebte sie Rockmusik, wenn sie ihr auch manchmal etwas zu laut war. Sie kannte keine Berührungsängste und freute sich, wenn die „Dragons“ des Harley-Davidson-Clubs sie „Oma Franke“ nannten.
Den Aufbau der Kulturfabrik in der Lehrter Straße 35 hat sie in ihren letzten Jahren tatkräftig unterstützt und weil ihr auch die Graffitti-Spray-Kunst gefiel, hat sie sich ein großes Bild auf der Wand der Kulturfabrik gewünscht mit dem Spruch „Dieses Haus ist für diese Jugend“. Ob das wohl noch verwirklicht wird?
Klara Franke konnte manchmal auch nerven, sogar uns. Wenn sie z. B. immer wieder den Bau eines Hochhauses für ihre Studenten auf allen möglichen unbebauten Grundstücken propagierte. Dieser Wunsch könnte jetzt ja tatsächlich 19 Jahre nach ihrem Tod im Mittelbereich der Lehrter Straße Wirklichkeit werden (Update 2017: aber nicht in der Form von überteuerten Microappartements, s. Kommentar Nr. 1).
Wir haben ihre Kraft bewundert, sich immer wieder für Benachteiligte einzusetzen. Ihr fester Glaube an das Gute in jedem einzelnen Menschen muss sie beflügelt haben.
Nachtrag:
Zum Ortstermin 2017 hat Christian Kurt Ebert eine Portrait Serie ausgestellt und das Jugendbild von Klara Franke, das in der Kulturfabrik hängt, mit bunten Farben und ihrem Motto auf die Wand gemalt.
Jetzt ist sie selbst, abgemalt von einem Jugendfoto von ihr, das in der Kulturfabrik hängt und ihrer Parole „Wenn Du was erreichen willst, musst Du den Politikern auf die Füße treten!“ auf der Wand der Kulturfabrik abgelichtet. Und die Sache mit dem Hochhaus für Studenten hat sich ja nun auch so entwickelt, dass sie sich eher im Grab rumdrehen würde.