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Serbische Weihnachten im Holzwurm

Der Holzwurm ist eine typische Berliner Stammkneipe. Ein paar Spielautomaten, ein Billiardtisch und natürlich die obligatorische Jukebox mit alten Schnulzen. Es ist auch ein Ort für ungewöhnliche Begegnungen.

holzwurm-250Früher oder später landen alle Nachtschwärmer aus der Nachbarschaft mal im Holzwurm. Denn hier kriegt man auch noch um drei Uhr morgens ein sauber gezapftes Bier oder einen gepflegten irischen Malt zum schmalen Preis. Am langen Tresen begrüßt der türkische Metzger von nebenan freundschaftlich den deutschen Arbeitslosen, der mehr Zeit in der Kneipe als zu Hause auf dem Sofa verbringt. Man kennt sich seit Jahren. Auch Bogi ist da. Doch er steht nicht wie üblich hinter dem Tresen, sondern ist heute selbst Gast. Er feiert nämlich Weihnachten. Bogi heißt eigentlich Predraq Bogicevic und kommt aus Serbien. Seinen Namen kann hier niemand aussprechen, deswegen nennen ihn alle Bogi.

Die orthodoxen Christen in den Balkanländern feiern ihr Weihnachtsfest 13 Tage später als das römisch-katholische Weihnachten. Am Heiligen Abend werden Äste mit Eichenlaub, die das Feuerholz im Stall von Bethlehem symbolisieren, unter den Esstisch gelegt. „Man schmeißt Bonbons und Walnüsse zu den Ästen unterm Tisch. Das ist ein schönes Spiel für die Kinder: sie suchen nach den Süßigkeiten und alle amüsieren sich darüber“, erklärt Bogi. In der Weihnachtsnacht wird ?esnica, ein spezielles Weihnachtsbrot, gemacht. Darin sind symbolische Gegenstände eingebacken, die Glück fürs kommende Jahr verheißen. Jedes Familienmitglied bricht ein Stück aus dem Brot heraus und hofft darauf, einen der Gegenstände zu finden. Das Holzstück von einer Weinrebe steht für eine gute Ernte, die Goldmünze für Reichtum und ein Brocken Putz oder Mörtel für den Hausbau. „Bei uns können reiche und arme Leute Weihnachten feiern. In Deutschland und anderswo ist Weihnachten doch oft nur noch ein Kampf um das teuerste Geschenk. Und besonders an diesen Tagen sehe ich hier sehr viele einsame Seelen, die schmerzlich daran erinnert werden, dass ihr Leben nicht so ist wie in US-Filmen.“

Wandervögel und Pfadfinder
Eine Gruppe junger Pfadfinder und Wandervögel ist heute auf der Durchreise. Etwa 25 junge Studenten Anfang, Mitte Zwanzig, viele mit Dreadlocks, haben sich im Holzwurm eingefunden und beginnen zu musizieren. Einige Geigen und Bratschen, Gitarren und sogar ein Kontrabass ist dabei.

Ein junger Mann mit einem markanten Ziegenbart kommt an den Tresen. Er gehört zu den Wandervögeln, wie er betont – schon etwas anderes als Pfadfinder. Bogi begrüßt ihn lauthals mit „Lincoln“, wegen des Barts und weil er mal einen Zylinderhut aufhatte. Das war an dem Abend, als Bogi von Lincoln zu einem Fest auf einem Bauernhof eingeladen wurde. „Das war unglaublich“, erzählt Bogi begeistert. „Ein großes Grundstück und eine riesige Scheune mit Heu auf den Dachbalken. Da waren viele Familien mit Kindern und viele junge Leute. Alle saßen sie am Lagerfeuer, sangen und tranken. Es war wie in den alten Piratenfilmen, aber ohne die Schurken.“

Die Pfadfinder-Wandervogel-Truppe stimmt ein serbisches Volkslied an. Bogi ist nicht mehr zu halten, er hebt sein Glas und singt lauthals mit. Plötzlich ist der ganze Laden erfüllt vom Gesang. In dem Lied geht es um einen jungen Mann in den Bergen, der seine Pferde verkaufen will, um mit seiner schönen Braut tanzen zu können. Bogi gibt sich Mühe, den Außenstehenden den Sinn des Textes zu übersetzen, was ansatzweise auch gelingt.

„Die einfachen Dinge schätzen“
Auch er ist in den Bergen aufgewachsen. Als er anderthalb Jahre alt war, sind seine Eltern ausgewandert. Er und sein Bruder lebten bei den Großeltern in einem kleinen Dorf am Rande der serbischen Karpaten. „Meine Großeltern, das waren die fleißigsten Menschen der Welt! Auf ihrem Grundstück haben sie wirklich alles angebaut: Gemüse, Wein, sogar Kaffee.“ Die wichtigsten Dinge des Lebens hat er von ihnen gelernt, sagt er. Mit 12 Jahren ist er ins Tal gezogen, weil dort die Schule war. Er hat zeitweise in einem Rohbau gelebt, ganz allein, ohne Strom und fließendes Wasser. Das Leben sei sehr hart gewesen, aber auch voller Freiheiten. Bogi gefällt die Art der Pfadfinder, vielleicht auch, weil es ihn an früher erinnert: „Das sind gute Leute, die die einfachen Dinge zu schätzen wissen. Viele Stadtmenschen sind doch geblendet von ihrem Reichtum und ihrem bequemen Leben. Von denen würde doch keiner mehr überleben, wenn der Strom mal ausfällt.“

Text: Nathalie Dimmer, Foto: Christoph Eckelt (bildmitte)

Zuerst erschienen in “ecke turmstraße“, Nr. 1 – februar 2014

Gaststätte Holzwurm, Waldstraße 6, Tel. 3956765, www.holzwurm-im-kiez.de

3 Kommentare auf "Serbische Weihnachten im Holzwurm"

  1. 1
    Mignon Gräsle says:

    Hat der „Holzwurm“ samt Bogi auch eine Straße und eine Hausnummer?

  2. 2
    Moabiter Nachtschwärmer says:

    es gibt auch weniger positive Berichte, z.B. bei yelp:
    http://www.yelp.de/biz/gastst%C3%A4tte-holzwurm-berlin-2

  3. 3
    Susanne Torka says:

    @ Mignon,
    Wer suchet, der findet: „Holzwurm“ „Moabit“ und los geht’s …
    Adresse, Telefon und Webseite oben ergänzt!

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