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Künstlerinnen bei der Kundgebung Calvinstraße 21 am 27. August

Kim-S1-singt-250Nach etwa einer halben Stunde gab es einige Minuten der Ruhe,  Besinnung und der Nachdenklichkeit: Die Mezzosopranistin Kim Seligsohn trug eine Arie von J.S Bach und Summertime von G. Gershwin vor, kraftvoll und ausdrucksstark. Und doch war es eine irreale Szene, fast gespenstig. Rechts und links des Teilnehmerkreises zeigte die Staatsmacht Flagge, die Besatzungen zweier Bereitschaftswagen der Polizei wachten über Sicherheit und Ordnung – vor dem Haus Calvinstraße 21. Sie hatten einen ruhigen Abend, alles verlief friedlich.

Im Gegensatz dazu waren die Ereignisse der vergangenen Jahre in diesem Haus alles andere als friedlich, von Sicherheit und Ordnung keine Spur – für die Mieter ein Leben ohne Menschenwürde.  Sie hatten keine Schutzmacht.

Gruppe_HCz-250An der Veranstaltung vor dem Haus  nahmen ca. 70 – 80 Personen teil. Ein Vertreter  der Mieterinitiative, schilderte noch einmal eindruckvoll die Probleme, wie sie auch in der Einladung zu der Kundgebung kurz skizziert worden waren, besonders würdigte er die Solidarität und den verzweifelten Mut der verbliebenen Mieter zum Widerstand, viele von ihnen hochbetagt.

Steff-B-250Steff Berger, eine Mieterin aus der Bergstraße in Mitte, berichtete ausführlich über ähnliche Erlebnisse wie in der Calvinstraße: Modernisierung vorgetäuscht und mit Luxussanierung die Mieter vertrieben. Auch zwei Vertreter der Initiative gegen Zwangsräumung waren mit Bildern und Transparenten vertreten.

Im Mittelpunkt standen vor allem die widersprüchlichen und fragwürdigen Entscheidungen der Justiz. Noch im vergangenen Jahr wies das Amtsgericht Mitte die Räumungsklage der Besitzerin, verbunden mit der Forderung nach Mietnachzahlungen, nach einer Ortsbegehung ab.  In dem Urteil hieß es unter anderem: „Angesichts des Umfanges und der Dauer der Baumaßnahmen kann es keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass diese mit erheblichen Belästigungen für die Mieter verbunden waren … und die von den Beklagten vorgenommene Mietminderung auch dem Gericht als sehr moderat erscheint.“

Grupe_Metenstopp-transp_EZ-250Anfang Mai diesen Jahres hob die 63. Kammer des Landgerichts Berlin unter dem Vorsitz von Regine Paschke diese Urteile auf. Am 18. Oktober wird diese Richterin nun neu aber endgültig, d. h. unwiderruflich, entscheiden. Auch sie wird dann Recht sprechen im Namen des Deutschen Volkes, womit klar ist, die vorherigen Urteile der Berliner Amtsgerichte waren keine Urteile im Namen des Volkes.

Ein Höhepunkt des Abends war sicherlich die Lesung der Schriftstellerin Katja Lange-Müller, die, wie geheimnisvoll angekündigt, die Texte einer bisher unbekannten Berliner Literatin zu Gehör brachte. Das Geheimnis war schnell gelüftet, denn es handelte sich um eine Juristin, die regelmäßig „unjuristische“, also „rein literarische Texte“ in der Zeitschrift „Das Grundeigentum – Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft“ veröffentlicht: Regine Paschke.

Katja-Lange-Müller2-250Im Mittelpunkt ihrer Art Literatur steht stets der Mieter. Der hat im Allgemeinen maximal einen „Hauptschulabschluss, der Fußboden im Wohnzimmer ist von Veloursteppichboden zum Preis von 12 €/qm ausgelegt und die Wände sind mit Rauhfaser-Tapete der Sorte ‚Erfurt Classico‘ bedeckt.“ Also unterstes DDR-Niveau.

Und wie steht es nach Meinung der Literatin nun um den geistigen Horizont der Mieter:

„Es sind die durchschnittlich gebildeten, juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter …, die zwar verständig, aber im übrigen lediglich mit einem handelsüblichen Taschenrechner ausgerüstet sind, und die die jährlich erteilte Betriebskostenabrechnung ihres Vermieters nicht nur zu lesen, sondern auch zu verstehen versuchen.“ (aus: Der durchschnittlich gebildete Mieter, 10.03.2006 (GE 05/06, Seite 265)

Es sind lustige Texte – zum Schenkelklopfen – aber leider nur für die Zielgruppe von Regine Paschke: die Vermieter. Die juristischen Urteile dieser humoristischen Freizeitliteratin werden für die „durchschnittlich gebildeten Mieter“ weniger lustig sein – es geht schließlich um ihre Existenz.

Text: Günter Möstl, Fotos: Hanna Czapara, Ewald Zimmermann, Susanne Torka

Anmerkungen der Redaktion:
Katja Lange-Müller hat einen anderen Text von Regine Pasche vorgelesen: „Event Wohnen“, den ich leider nicht im Netz finde.

Über diese Veranstaltung hat das MieterMagazin im Oktober 2013 berichtet.

Es gibt eine neue Webseite der Mieterinitiative: www.calvinstrasse.de (Update: nicht mehr online!).

weitere Artikel zur Calvinstraße 21 bei MoabitOnline:
Fahrstuhl weg, Keller zu!“ (hier ist die Entwicklung mit vielen Links und Filmen seit Mai 2012 dokumentiert)
Calvinstraße 21 – die letzten Mohikaner?“ (mit den Einzelschicksalen und Nachträgen bis Mitte 2012)
‚Wohnen am Bellevue‘ – schöne Aussichten nicht für alle“ (über die Kundgebung im September 2011)
und bei „Wem gehört Moabit?“: Mieter unter Psychodruck, ein Film von Herbst 2010.

Ein Kommentar auf "Künstlerinnen bei der Kundgebung Calvinstraße 21 am 27. August"

  1. 1

    Danke Günter Möstl,
    für die Anmerkungen zur Kundgebung!
    Der Runde Tisch gegen Gentrifizierung in Moabit hat beim Turmstraßenfest ein Flugblatt verteilt:
    http://wem-gehoert-moabit.de/wp-content/uploads/2013/09/Flugblatt-Turmstrassenfest_2013_korCN.pdf

    und Informationen von Mieterinnen gesammelt über betroffene Häuser. Die Auswertung kann bei diesem Artikel herunergeladen werden:
    http://wem-gehoert-moabit.de/2013/09-gentrifizierung-infostand-beim-turmstrassenfest/
    direkt zum pdf (7 Seiten):
    http://wem-gehoert-moabit.de/wp-content/uploads/2013/09/Auswertung_Turmstrassenfest-2013.pdf

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