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Keine Großstadt ohne Zuwanderung

Es waren Hugenotten und jüdische Zuwanderer, die unter Friedrich dem Großen für einen enormen kulturellen und intellektuellen Schub in Berlin sorgten. Es waren einfache Handwerker und Arbeiter aus dem thüringischen Vogtland, die die einstige Sandwüste vor dem „Rosenthaler Tor“ im heute so begehrten Bezirk Mitte besiedelten. Es waren osteuropäische Juden, die Anfang des letzten Jahrhunderts in das „Scheunenviertel“ unweit des Hackeschen Marktes kamen.

Es kamen Sachsen oder Brandenburger, die während der Berliner Industrialisierung im 19. Jahrhundert in den großen Fabriken wie AEG oder Siemens Arbeit fanden. In den 1950er und 60er Jahren wurden türkische oder italienische Bürger nach Westberlin geholt, als „Gastarbeiter“, die an Westberliner Fließbändern das Wirtschaftswunderland stärken sollten. Die meisten blieben – und bereicherten die Berliner Landschaft mit ihrer Kultur. In Ostdeutschland waren es Vietnamesen, Angolaner, Mocambiquaner, die als „Vertragsarbeiter“ die DDR-Industrie unterstützen sollten. Und in den 1990er Jahren konnte man auf den zahllosen Baustellen des wiedervereinigten Berlins ein babylonisches Stimmengewirr hören: polnisch, irisch, englisch …

Ohne Zuwanderung wäre Berlin nicht die Metropole, die sie heute ist. Und diese Zuwanderung hält weiter an. Heute kommen Griechen, Spanier, Italiener, Osteuropäer. Meist junge Leute, die hier eine neue Zukunft suchen – und eine bezahlbare Unterkunft. Und ja, es kommen auch Schwaben und Bayern. Manche von ihnen bringen ein reiches Erbe ihrer Wirtschaftswunder-Eltern mit und kaufen sich damit Eigentumswohnungen oder innerstädtische Townhouses mit entsprechender Luxusausstattung. Die Statistik gibt ja längst Auskunft darüber, dass die Erbschaften in Westdeutschland um ein Vielfaches höher als in Ostdeutschland sind – das ist das Kapital, mit dem man in Berlin „Betongold“ erwirbt. Und Berlin ist – auch international – gerade IN. Auch Niederländer oder Amerikaner haben hier im großen Stil Immobilien eingekauft, als weltweit die große Immobilienblase platzte.

In jedem Fall sorgen Zuwanderung wie auch mangelnder sozialer Wohnungsbau dafür, dass die Wohnungssituation in Berlin immer angespannter ist. Die normale Leerstandsquote von ca. 3%, die jede Stadt braucht, um regulär Umzüge zu regeln, ist längst unterschritten, wie in anderen deutschen Großstädten auch.

Gutverdiener und deren Erben ziehen nicht mehr so gern an den Stadtrand oder ins Umland, wenn sie eine Familie gründen – sie möchten vielmehr die Annehmlichkeiten des urbanen Großstadtlebens mit ihrem bislang gewohnten Wohnstandard verbinden. Dafür zahlen sie hohe Preise. Und daraus resultiert der große Run auf Townhouses und Luxus-Eigentumswohnungen in der Innenstadt – was die Politik gar nicht ungern sieht, schließlich geht es hier auch um Steuerzahler.

Andererseits kommen auch immer mehr Menschen, die sich hohe Mieten gar nicht leisten können. Die meisten von ihnen arbeiten hart, gründen Kleinunternehmen und bereichern die Wirtschaft. So erklärt sich auch das merkwürdige Phänomen, dass in Berlin der Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung größer ist als das Wirtschaftswachstum: Es wird mehr gearbeitet – und weniger dabei verdient. Auch davon profitiert die Berliner Wirtschaft.

Zuwanderung ist nicht schuld daran, wenn in Berlin die Mieten steigen und Verdrängung ein großes Reizthema ist – das ist vielmehr jenen Eigentümern und Investoren zu verdanken, die aus der steigenden Wohnraumnachfrage immensen Profit schlagen. Zuwanderung kann man aber auch als Chance sehen. Wie damals, unter Friedrich dem Großen.

Kommentar: us/cs

Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 5, juni / juli 2013.

Lesen Sie auch die Beitraäge „Milieuschutz auch in Wedding und Moabit?“ und „Verdrängung in die Überbelegung“.

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