Verdrängung in die Überbelegung
Immer mehr Menschen müssen auf immer kleinerem Raum leben
Verdrängung findet in Berlin nicht mehr nur stadträumlich statt: Denn inzwischen haben Haushalte mit geringen Einkommen selbst in Randbezirken wie Spandau oder Hellersdorf immer weniger Chancen, regulär Wohnungen zu finden. Auch dort steigen die Mieten deutlich über den Preis, den das Jobcenter als „angemessen“ erachtet. Zudem können Vermieter inzwischen auch am Stadtrand oft unter mehreren Bewerbern auswählen. Viele Betroffene sind daher gezwungen, in überbelegte Wohnungen zu ziehen.
Aber wie steht es um Haushalte in prekären Verhältnissen, wenn sie von Wohnungsnot bedroht sind? Dieser Frage ging eine Arbeitsgruppe auf der Bezirkskonferenz „Strategien gegen Verdrängung“ nach, die Anfang Juni im Moabiter Stadtschloss stattfand (siehe auch „Milieuschutz auch im Wedding und Moabit?“ und „Kommentar zur Zuwanderung“). Der Stadtforscher Sigmar Gude vom Büro topos stellte eingangs die Situation im QM-Gebiet Moabit-West vor. Die Ergebnisse überraschten nicht: Fast die Hälfte der Bewohner des Gebiets lebt in prekären Verhältnissen, mehr als die Hälfte zahlt über 40% ihres Monatseinkommens allein für die Miete. Und je höher die Miete ist, desto stärker sind die Wohnungen überbelegt. Bei einer Nettokaltmiete von 7 Euro/qm leben schon in 40% der Wohnungen mehr Personen als die Wohnung Zimmer hat. Und die derzeit in Moabit durchschnittlich verlangte Neu-Miete liegt bereits deutlich über 7 Euro/qm. „Dann lebt eine große Familie in einer Zweiraumwohnung“, sagt Gude, „auf solche Verhältnisse müssen wir uns einstellen.“
Auch Verbände, Kirchengemeinden und freie Träger berichteten aus ihrer Perspektive über den angespannten Wohnungsmarkt. So beobachtet die „Zentrale Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot“ mit Sitz in der Levetzowstraße seit Jahren eine steigende Zahl von Wohnungslosen. Dabei suchen immer mehr Menschen ohne Sucht- oder Krankheitsprobleme schlicht und einfach nur eine Wohnung. Dieses Bild kann auch Karsten Jung von „Casa Nostra“ bestätigen. Die Beratungsstelle betreut eigentlich Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten und bietet viele Formen des betreuten Wohnens an. Doch auch zu „Casa Nostra“ kommen immer mehr Leute, die lediglich auf Wohnungssuche sind. „Damit sind wir mit unseren Kapazitäten restlos überfordert!“
Auch beim „Warmen Otto“, einer Moabiter Sozialeinrichtung, steigt die Zahl der betreuten Wohnungslosen. Besonders Menschen aus Osteuropa hätten kaum noch Chancen, auf dem regulären Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden.
Um bei akuter Wohnungsnot einzugreifen, gibt es in Berlin zumindest theoretisch das sogenannte „Geschützte Marktsegment“, bei dem die kommunalen Wohnungsbauunternehmen den Bezirken Wohnungen zur Verfügung stellen. Die Zahl dieser Wohnungen reicht aber bei weitem nicht mehr aus.
Der Bezirksstadtrat für Soziales und Bürgerdienste, Stephan von Dassel, verwies auf die begrenzten Möglichkeiten der Bezirkspolitik. Er gab zu, dass in den letzten Jahren zu wenig in Richtung Prävention geschehen sei. Er bedauerte, dass viele Sozialwohnungen von Belegungsbindungen mittlerweile pauschal freigestellt wurden, und dass die Bedingungen für einen WBS inzwischen derart abgesenkt wurden, dass sich eigentlich fast jeder Durchschnittsverdiener für Sozialwohnungen bewerben kann. Menschen, für die dieses Instrument eigentlich gedacht war – Obdachlose, Arbeitslose oder Familien mit Kindern – haben hier deshalb so gut wie keine Chance mehr.
Es gebe durchaus Instrumente, so von Dassel, mit denen man die Verhältnisse verbessern könnte. Etwa indem man ältere Menschen dabei begleite, aus inzwischen zu großen Wohnungen in kleinere, altersgerechte Wohnungen umzuziehen. So würde gleichzeitig mehr größerer Wohnraum für Familien frei.
Das Problem ist allerdings, dass die Miete für die neue, kleine Wohnung derzeit oft die für die alte, größere Wohnung weit übersteigt.
Konkrete Forderungen an die Bezirkspolitik waren angesichts dieser Rahmenbedingungen aber leider kaum zu hören. Eine Teilnehmerin regte an, die Sachbearbeiter im Jobcenter besser zu schulen. „Wenn einer Familie mit Kindern die Wohnkostenübernahme verweigert oder drastisch beschnitten wird, sollten die Mitarbeiter sofort zum Telefon greifen und das Jugendamt benachrichtigen. Das kann nämlich aktiv werden, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.“
Text: Nathalie Dimmer, Foto: Tanja Schnitzler
Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 5, juni / juli 2013.
Lesen Sie auch den Bericht vom Workshop 1 der Konferenz und den Kommentar zur Zuwanderung.
Nachtrag:
Die BVV hat am 13. Juni 2013 die Einrichtung eines Runden Tischs „Hilfe für Obdachlose und Wohnungslose“ beschlossen (Drs. 0860/IV).
Die Dokumentation der Konferenz „Mietenstopp in Moabit“ organisiert vom Runden Tisch Gentrifizierung ist hier erschienen. Hier sind auch die im Nachgang zur Konferenz weiter ausgearbeiteten Forderungen des Workshop 2, die sich allerdings in ihrer Mehrheit an den Senat richten, enthalten. Die Berichte aus den Häusern wurden ergänzt. Auch die Präsentation zu prekären Wohnverhältnissen von Sigmar Gude (Workshop 2) kann heruntergeladen werden.
Morgen, am 7. August findet um 17:30 Uhr im Rathaus Mitte, Karl-Marx-Allee 31, 10179 eine Sondersitzung mit Expertenanhörung des Ausschuss für Stadtentwicklung, Sanieren, Bauen und Bebauungspläne der Bezriksverordnetenversammlung Mitte statt. Es sollen konkrete Vereinbarungen mit dem Bezirksamt besprochen werden.
BVV-Antrag (Drs. 0988/IV) „Kindeswohl schützen – Zwangsumzüge für Familien mit Kindern verhindern!“
Eine mündliche Anfrage (Drs. 1532/IV) der CDU-Fraktion zum Bestand von Sozialwohnungen in Mitte mit Preisen (2. Antwort anklicken).
Ein Antrag in der BVV aus den Fraktionen der LINKEN und der Piraten, der aus der Diskussion auf der Mietenkonferenz entstanden ist, für eine Kooperationsvereinbarung des Jugendamtes und des JobCenter. Beide werden aufgefordert bei drohendem Wohnungsverlust oder Kostensenkungsaufforderung für Familien mit Kindern nach Lösungen zu suchen mit dem Ziel das Kindeswohl nicht zu gefährden:
http://www.berlin.de/ba-mitte/bvv-online/vo020.asp?VOLFDNR=5621
Ein interessantes Interview mit Harald Bodenschatz zum Thema Stadtentwicklung und sozialer Wohnungsbau „Die Armen rücken zusammen“:
http://www.taz.de/Staedtebau-in-Berlin/!135037/
Hier ein interessanter Artikel über die Auswirkungen, wenn große Familien auf zu engem Raum leben müssen:
http://www.taz.de/Jugend-wohnt/!135491/
Und direkt zur Umfrage unter Jugendlichen „wohnwut“ für den 15. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag im Juni in Berlin:
http://wohnwuts27.wordpress.com/
mit einer umfangreichen Dokumentation der Umfrage als Text:
http://wohnwuts27.wordpress.com/printdokumentation/
und zum hören:
http://wohnwuts27.wordpress.com/sounddokumentation/
Auch die Abendschau hatte berichtet:
http://www.rbb-online.de/abendschau/archiv/20140324_1930/jugendumfrage-zu-wohnen-in-berlin.html