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Griechischer Frühling

An dem kleinen Stand gibt es Auberginencreme und andere leckere Pasten,  Sardellen, Oliven, gefüllte Weinblätter. An einfachen Holztischen sitzen Gäste und genießen bei einem Wein einen griechischen Imbiss.

anemonen_CE-280Tassos Kampisios (36) und seine Lebensgefährtin Lena Boskou (39) wagten vor anderthalb Jahren einen Neuanfang in Berlin. Im Januar 2013 eröffneten sie in der Zunfthalle ihren kleinen Gastronomiestand „Anemone“. Mit regionalen Produkten und täglich wechselnden Mittagsgerichten bereichern sie die Markthalle nun mit mediterraner Lebensart.

„Anemone“ erzählt dabei auch viel über derzeitige europäische Verhältnisse. Weder Tassos noch Lena sind von Haus aus Gastronomen. Er ist Architekt, sie ist Juristin. Und der Koch ist Philologe und Literaturwissenschaftler.

Doch wie so viele ihrer Generation sahen sie in ihrer Heimat Griechenland keine Zukunft mehr.  „Es ist heute noch viel schlimmer als am Anfang der Krise. Es mag sein, dass du einen Job findest – aber bezahlt wirst du nicht“, sagt Tassos Kampisios. Ohne die Unterstützung der Familie hätten die jungen Unternehmer den Schritt in die Selbstständigkeit wohl kaum gewagt – noch dazu in einem fremden Land, dessen Sprache sie gerade erst lernen.

„Meine Schwester hat uns sehr geholfen. Sie lebt und arbeitet bereits seit zehn Jahren in Berlin. Mit ihrer Hilfe konnten wir dieses Geschäft in der Markthalle eröffnen und vor kurzem haben wir hier auch eine Wohnung gefunden. Wir sind also jetzt Moabiter“, sagt Tassos und lächelt dabei. Die Müdigkeit sieht man ihm trotzdem an. Er hat den Stand selbst gebaut, vieles muss noch gemacht werden. Trotzdem ist „Anemone“ montags bis samstags von morgens 9 Uhr bis spät abends geöffnet.

„Wir schließen erst, wenn keine Gäste mehr da sind, manchmal um 21 Uhr, manchmal auch erst weit nach Mitternacht“, sagt Lena. Moabit gefällt den beiden gut. „Die Atmosphäre hier ist ausgesprochen nachbarschaftlich. Alle waren von Anfang an sehr freundlich zu uns, sprachen uns Mut zu und gaben uns damit das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass wir es schaffen können. Es ist nicht leicht, eine akademische Karriere aufzugeben und seine Heimat zu verlassen. Doch wir versuchen, unser Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Dafür arbeiten wir sehr hart.“

Bei Tassos Kampisios und Lena Boskou kann man viele lokale Produkte kaufen, die einen Einblick in die kulinarische Vielfalt Griechenlands geben: Olivenöl aus Kalamata, traditionelle Teigwaren aus Nordgriechenland, Teemischungen aus biologisch angebautem Safran und vieles mehr.

Der Koch Vassilis Petropoulos, Literaturwissenschaftler mit Spezialisierung auf französische  Literatur, bereitet gerade das heutige Mittagsangebot vor: Lammtopf mit grünem Gemüse in Eier-Zitronensauce.

„Man kann unsere Küche als ‚Nouvelle Greek Cuisine’ bezeichnen. Damit wollen wir deutlich machen, dass die griechische Küche viel mehr zu bieten hat als Souvlaki und Mousaka“, sagt Lena Boskou. „Unsere Küche ist viel leichter und gesünder und natürlich kochen wir vor allem mit den Produkten, die wir auch verkaufen.“

Am Nebentisch sitzt ein junges Pärchen. Xeni Kozompoli ist Mitte Zwanzig, Theaterwissenschaftlerin, sie lebt seit einem Monat in Berlin und konzentriert sich gerade angestrengt auf ihre Deutsch-Hausaufgaben. Ihr Freund Angelos Marinis lebt bereits seit einigen Jahren hier und spricht akzentfreies Deutsch, das er vor allem auf der Schauspielschule gelernt hat. Xenis Vater ist Olivenölproduzent in dritter Generation. Sie und ihr Freund wollen das Öl, das man auch bei „Anemone“ kaufen kann, besser vermarkten: „Früher haben die griechischen Olivenbauern die komplette Ernte direkt an italienische Großbetriebe verkauft. Es war die Mentalität des schnellen Geldes, die die Generation meines Vaters und Großvaters veranlasste, das kostbare Öl anderen zu überlassen.“ Das möchten die beiden nun ändern und setzen sich mit viel Engagement für einen Mentalitätswechsel ein.

„Griechenlands Produkte sind von exzellenter Qualität“, sagt Lena Boskou. „Das Land birgt Schätze, denen in der Vergangenheit kaum Beachtung geschenkt wurde. Aber wir können diese Krise nur überstehen, wenn Griechenland sich gerade in den Bereichen Agrarwirtschaft und Tourismus endlich professionalisiert. Auch wir können mit unserem Stand einen kleinen Teil dazu beitragen, dass griechische Produkte endlich besser repräsentiert werden.“

„Anemone“ nannten Lena Boskou und Tassos Kampisios ihren Laden, weil die Anemone eine Frühlingsblume ist. Und bezeichnend ist auch der Name ihrer GmbH: „Philear“, was so viel bedeutet wie „den Frühling lieben“. Der Frühling symbolisiert den Anfang und die Hoffnung. Menschen wie Lena, Tassos, Xeni und Angelos sind der griechische Frühling: eine gut ausgebildete und international vernetzte Generation, die aus der Not eine Tugend macht und ihren Beitrag leisten will, damit Griechenland aus einem langem Winterschlaf erwacht.

Text: Nathalie Dimmer, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte

Zuerst erschienen in der “ecke turmstraße“, Nr. 5, juni / juli 2013.

Nachtrag:
Leider ist die Anemone nicht mehr da. Seit April 2014 kein Eintrag mehr auf ihrer Facebook-Seite, so dass auch nicht zu erkennen ist, ob sie nur umgezogen sind.

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