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Zusammen ein Haus bauen – Baugruppe Moabit

Im November 2009 hatte MoabitOnline einen Aufruf der Baugruppe Moabit veröffentlicht, die weitere Bauherren und -frauen suchte. Mittlerweile geht der Rohbau in der Bandelstraße 26/27 so langsam der Vollendung entgegen und alle Beteiligten blicken auf mehr als drei Jahre intensive Diskussionen über wichtige Entscheidungen zurück.

Susanne Torka sprach Ende 2012 mit Christoph Kaiser und Tobias Blasel von der Baugruppe über ihr Abenteuer „gemeinsam ein Haus zu bauen“. T-Blasel_C-Kaiser-250

Wie lange seid Ihr schon bei der Baugruppe dabei?

Kaiser (im Bild rechts): Ich habe schon von Anfang mitgemacht, seit dem ersten Vortrag über Baugruppen im Rahmen der Moabiter Kulturtage „Inselglück“ 2009. Seit 28 Jahren wohne ich in Moabit und bin einer der Geschäftsführer unserer Bauherrengemeinschaft.

Blasel (im Bild links): Ich bin 2010 mit einigen Freunden, die sich schon länger mit dem Bauen in der Gruppe beschäftigt hatten, zu dem Projekt dazu gestoßen und nun unter anderem zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.

Warum baut ihr ein Haus nach Euren eigenen Vorstellungen und kauft nicht einfach eine Eigentumswohnung?

Kaiser: Da haben wir alle ganz unterschiedliche Gründe. Ich habe lange nach einer familiengerechten Wohnung gesucht, Freunden ging es ähnlich, für uns ist es eine Art Selbsthilfe. Die Single-Haushalte wollen in einer Hausgemeinschaft wohnen oder nicht alleine alt werden. Wir haben einen 22jährigen Rollstuhlfahrer dabei, dem seine Eltern mit dieser Wohnung ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen wollen.

Blasel: Außerdem haben wir Qualitätsansprüche. Wir bauen zwar kein Nullenergiehaus, aber energieeffizient und soweit wie möglich mit natürlichen Baustoffen. Da muss man natürlich immer abwägen, wie weit man gehen will. Wieviel Aufpreis sind uns Holzfenster wert? Lohnt sich das? Oder ist es nur Nostalgie?

Seit einigen Jahren gibt es in Berlin einen regelrechten Baugruppenboom. Warum? Bauschild__Fassade-250

Blasel: Wir haben festgestellt, dass auf vielen Baugruppenprojekten dieses Etikett eigentlich zu unrecht draufklebt. Da wollen sich Architekten verwirklichen. Eigentlich sind es eher Bauträgermodelle. Oft wollen die Interessenten für solche Angebote aber auch gar nicht so viel über alles nachdenken, um mitentscheiden zu können, sondern nur die Kosten des Bauträgers einsparen, um günstiger an eine Eigentumswohnung zu kommen. Das ist bei uns ganz anders.

War es denn schwierig Leute zu finden, die ausgerechnet in einem Stadtteil wie Moabit bauen wollen?

Kaiser: Es lief zunächst sehr schleppend an und hat lange gedauert die Leute zusammen zu bekommen, weil sich die Interessenten nicht festlegen wollten. Am Anfang haben wir schon gemerkt, dass der schlechte Ruf von Moabit viele abgeschreckt hat. Aber seit zwei Jahren hat sich das völlig verändert, es ist gar kein Thema mehr. Im Gegenteil: dann kamen „Flüchtlinge“ aus Prenzlauer Berg, denen es dort zu teuer und „piefig“ geworden war. Nach dem Kauf des Grundstücks füllte sich die Gruppe zusehends. Jetzt könnten wir eigentlich zwei oder drei Häuser bauen, wenn es Platz gäbe und wir die Nerven dazu hätten.

Warum hat es Nerven gekostet? Vielleicht könnt Ihr ein bisschen davon erzählen, wie alles funktioniert hat.

Blasel: Demokratie und Selbstverantwortung ist halt anstrengend. Wir haben von Anfang an sehr viel Wert auf basisdemokratische Entscheidungen und Gemeinschaft gelegt. Doch das macht natürlich auch viel Arbeit, fast alle Einzelheiten gemeinsam und im Konsens zu entscheiden. Zur Zeit sind schon 70 Protokolle von Gruppentreffen geschrieben und da sind noch nicht einmal alle Unterarbeitsgruppen mitgezählt. Wir hatten bzw. haben zum Beispiel die AGs Fassade, Innenausbau, Garten, Mitgliederbetreuung, Gemeinschaftsflächen, Öffentlichkeitsarbeit und Finanzen, sogar kurzzeitig eine AG Bauschild. Bandel_Baugr1-korr-250

Kaiser: Richtig konkret wurde es erst, als der Grundstückskauf anstand. Von Mitte 2009 bis Ende 2010 hatte sich nur ein loser und stark wechselnder Haufen getroffen. Es gab zwar sehr viele Interessierte, aber keine Beitritte zur Baugruppe. Wir mussten bei jedem Treffen wieder von vorne anfangen. Je konkreter es dann wurde, umso größer waren die Ängste. So sind von der ursprünglichen Gruppe nur ein paar übrig geblieben und dazu kamen Leute, die schon länger gemeinsam nach einem Grundstück gesucht hatten. Der harte Kern bestand zuerst aus sechs bis sieben Parteien, dann wurden wir schnell acht bis neun. Der Liegenschaftsfonds hatte den früheren Parkplatz in der Bandelstraße speziell für Baugruppen ausgeschrieben. Das Grundstück hat einen entscheidenden Nachteil, denn eine Fernwärmeleitung von Vattenfall für das ehemalige Krankenhaus Moabit führt darüber. Wir mussten die Leitungsrechte ins Grundbuch eintragen und die Leitung auf eigene Kosten verlegen lassen. Die Gründungsgruppe, bestehend aus neun Parteien, hat das Grundstück gekauft. Am 14. März 2011 wurde der Kaufvertrag beim Notar unterschrieben. Wir haben ein passendes Architektenbüro gesucht und mit Ruiken & Vetter eins gefunden, das bereits Erfahrung mit Selbsthilfegruppen in Kreuzberg hatte. Sie haben für uns auf Grundlage unserer Vorstellungen und Ideen  ein Architekturkonzept erstellt, das immer wieder angepasst wurde und das nun fast alle Wünsche der Mitglieder ermöglicht. Im Sommer 2011 haben wir uns dann drei Monate auf die Mitgliederwerbung konzentriert und hierfür unter anderem ein Picknick zum Kennenlernen im Fritz-Schloß-Park organisiert. Ende 2011 war die Gruppe dann voll. Um uns im Kiez bekannt zu machen, haben wir 2012 auch die zukünftige Nachbarschaft aus der Bandelstraße zum Kaffee auf dem Grundstück eingeladen.

Worüber habt Ihr besonders lange verhandelt?

Blasel: Das lässt sich gar nicht so einfach sagen. Es gab mehrere Workshops, alleine unter uns, dann mit den Architekten. Schließlich wurden die einzelnen Arbeitsgruppen gebildet. Die Planung für das Haus, was jetzt gebaut wird, haben wir im August 2011 begonnen und ein Jahr später wurde der Grundstein gelegt. Ursprünglich wollten wir z. B. nicht nur den Hof und die Dachterrasse als Gemeinschaftsraum herstellen, sondern auch ein großzügiges Treppenhaus mit Aufenthaltsbereichen. Wir wollten einen großen Fahrradkeller. Doch unsere ersten Pläne ließen sich nicht verwirklichen. Durch die Fernwärmeleitung ist der Kellerraum sehr eingeschränkt, also muss die Hälfte unserer Fahrräder nun auf dem Hof untergebracht werden, der dadurch natürlich weniger Aufenthaltsfläche bietet. Die Einigung zur Verteilung der Kellerräume dauerte schon mal ein paar Wochen. Intensiv waren auch die Diskussionen um die Fassade: Wollen wir Erker anbauen oder lieber Balkone? Aber Balkone zur Bandelstraße liegen nach Osten, lohnt sich das dann? Schließlich hatte dann noch das Bauamt ein Wörtchen mitzureden, deshalb sieht das Haus jetzt ein wenig strenger und symmetrischer aus, als wir es uns ursprünglich vorgestellt hatten. Die Treppenhäuser sind schlanker geworden, damit wir mehr Wohnfläche gewinnen. Auch gibt es jetzt noch Wohnungen in einem Staffelgeschoss. Aber die gemeinsame Dachterrasse und der Hof für alle, beides rollstuhlgerecht erreichbar, ist geblieben. Wie der Innenausbau der einzelnen Wohnungen selbst gestaltet wird, kann jede Partei individuell für sich entscheiden.

Gab es Probleme mit der Finanzierung?

Kaiser: Das ist bei einem so großen Projekt nie ganz einfach. Alle müssen zu derselben Bank. Wir werden von der GLS-Bank finanziert, die sich auf Baugruppenfinanzierung spezialisiert hat. Die Gründungsgruppe ist mit dem Grundstückskauf in Vorleistung gegangen. Wir regeln das solidarisch. Jeder Quadratmeter wird etwa 2.100 Euro kosten. Dafür bekommen wir aber eine gute Qualität und rechnen mit geringen Betriebskosten. Auch wenn die Wohnungen nach Fertigstellung Einzeleigentum werden, haben wir gemeinschaftliche Regeln zum Schutz der Gruppe eingebaut. So hat jeder Eigentümer nur eine Stimme und die Gruppe hat ein Vorkaufsrecht, wenn eine Wohnung verkauft werden soll.

Wer wird denn nun in das Haus einziehen und wieviele Wohnungen werden gebaut?

Blasel: 70 bis 80% unserer Gruppenmitglieder wohnen schon in Moabit und wollen hier wohnen bleiben, deshalb sind wir auch so hartnäckig am Ball geblieben. Wir sind Familien mit Kindern und Jugendlichen, junge Erwachsene, Paare und Singles, ganz gemischt im Alter von 0 bis 65 Jahren. Während der langen Planungsphase sind zwei Kinder geboren worden. Wir arbeiten bei der Justiz, bei der Eisenbahn, im Gesundheits- und Sozialwesen, im Bauwesen, als Lehrer, Informatiker oder im Medienbereich, 42 Menschen werden in 19 Wohnungen mit Größen von 35 bis 150 qm auf ca. 2.200 qm einziehen. Das Haus hat fünf Etagen und ein Staffelgeschoss, auch die 35 m lange Brandwand zum Nachbarhaus wird teilweise bebaut, nach hinten terrassenförmig abgestuft. Wir hoffen, dass der Rohbau Ende April 2013 fertig ist. Im Herbst wollen wir dann einziehen. Und wir möchten nicht abgeschottet von der Nachbarschaft leben. Im Erdgeschoss wird es einen Gemeinschaftsraum geben, in dem Angebote für die Nachbarschaft möglich sind. Der kann zum Selbstkostenpreis auch gemietet werden. Bauschild__Grundsteinlegung_600 Bilder: Gruppenfoto, Potrait und Fassadenbild (Baugruppe Moabit), unbebautes Grundstück (Susanne Torka)

Bilder von den verschiedenen Stationen von Planung und Bau finden sich hier auf der Webseite der Baugruppe Moabit.

Nachtrag:
Das Haus ist fertig, die 19 Parteien sind eingezogen, das Architekturforum hat es beobachtet. Im tazZeo2 „Wie wollen wir wohnen“ haben sie die Stationen der langen Reise aufgelistet.

Es gab auch Proteste der Nachbarschaft wegen des lange gesperrten Gehwegs (Leserbrief).

3 Kommentare auf "Zusammen ein Haus bauen – Baugruppe Moabit"

  1. 1
    Rané says:

    Bravo, hoffe auf weitere ähnliche Projekte !!!

  2. 2
  3. 3
    Susanne says:

    Der Veranstaltungsraum im EG kann gemietet werden. Hier genaueres, Konditionen im pdf:
    http://www.projektraum-moabit.de/
    http://projektraum-moabit.de/data/documents/ProjektraumMoabit_Flyer_20150630.pdf

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