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„Wir sind die mobilen Gelben Seiten“

Shiva Saber-Fattahy ist ständig in Bewegung. Sie kümmert sich um die Kiezmütter von Moabit – und bringt sie dabei zum Leuchten.

shiva_6_CE-250Ein karger, funktionaler Raum im Jugendhaus B8 (in der Berlichingenstraße 8): ein großer Konferenztisch und etwa zwanzig Stühle, jeder ist besetzt. Der Tisch ist reich gedeckt, die „Kiezmütter für Mitte“ treffen sich zum wöchentlichen Frühstück. Sie haben eingelegte Oliven, Rucolasalat und Paprika aufgetischt, Toasts werden gemacht und Tee serviert. Es herrscht ausgelassenes Treiben: Gesprächsfetzen in vielen Sprachen, Geschirrklappern und orientalischer Pop im Hintergrund mischen sich. In großen, bunten Buchstaben steht RESPEKT an der Wand.

„Wir fühlen uns hier wie in einer großen Familie. Und das ist besonders schön, denn die eigene Familie ist ja weit weg“, sagt Drita Dobrunaj. Sie ist ausgebildete Medizinerin und kommt aus dem Kosovo. Ihren Beruf mit drei Kindern auszuüben wurde unmöglich, ihre beruflichen Perspektiven schienen begrenzt, obwohl sie so gut ausgebildet ist. Sie engagiert sich seit drei Jahren in dem Projekt, ehrenamtlich, weil sie anderen Frauen helfen und ihre Erfahrung weiter geben möchte. „Am Anfang war es schwer, aber Shiva hat uns allen hier sehr geholfen. Sie ist eine sehr starke Frau.“

Seit 2006 organisiert Shiva Saber-Fattahy in Moabit ein Netzwerk von Müttern, bis vor kurzem nannte sich die Initiative klangvoll MüfüMü (Mütter für Mütter). Durch gezielte Informationsangebote, beispielsweise zu Behördenformalitäten, Gesundheitsangeboten, Kinderbetreuung oder Schulsystem, werden Mütter ermutigt, andere Mütter, die kein Deutsch können, zu unterstützen. „Wir sind die mobilen Gelben Seiten“, lacht Frau Saber-Fattahy.

Eine andere Frau, seit zehn Jahren vom Arbeitsamt als arbeitsunfähig eingestuft, schleppt sich trotz massiver Cortisonbehandlung jeden Tag aus Reinickendorf nach Moabit, um bei dem Projekt mitzumachen, das mittlerweile in Kooperation mit dem Jobcenter stattfindet. Sie glaubt an die Idee und an die Projektleiterin Shiva Saber-Fattahy, die genau weiß, wie es sich anfühlt, nicht teilzuhaben an der Gesellschaft.

1988 kam sie aus dem Iran nach Deutschland. Sie folgte ihrem Mann, der in Berlin studierte, ihre Familie blieb zurück. Das Leben in der Heimat war für die damals 22-jährige Shiva Saber-Fattahy unerträglich geworden. In der Bundesrepublik erlebte sie den Duldungsstatus, die Ausländerbehörde, die Unfähigkeit, sich sprachlich auszudrücken, das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Viele würden verzweifeln, Shiva Saber-Fattahy jedoch kämpfte. Sie lernte zunächst die Sprache, bildete sich aus: als Kosmetikerin und Goldschmiedin, arbeitete als Selbständige in der Schokoladenfabrik in Kreuzberg, bekam ihr erstes Kind, eine Tochter, später ihren Sohn.

Aber: „Irgendwann habe ich gemerkt, dass es nicht das ist, was ich ein Leben lang machen will.“ Frau Saber-Fattahy begann neben ihrer Selbstständigkeit ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen, arbeitete mit schwer erziehbaren Mädchen, besuchte viele Kurse und begann bald selbst, als Dozentin andere zu unterweisen und zu übersetzen. Die Sprache als wichtigstes Instrument, das war ihr schon damals ganz klar. Ihre Muttersprache ist aserbaidschanisch, ihre Vatersprache persisch. Aufgewachsen ist sie in einer französischen katholischen Schule. In ihrer Heimatstadt werden noch viele andere Sprachen gesprochen, dort gehört das zum Leben dazu. Sie spricht türkisch, arabisch, kurdisch, englisch und natürlich deutsch. Die Sprachen fließen aus Shiva Saber-Fattahy wie ihre Großzügigkeit und Wärme.

Alle Multiplikatorinnen, die zu MüfüMü kommen, haben das schrittweise, manchmal zähe und schmerzhafte Ankommen in einer neuen Gesellschaft erlebt. Bei der Initiative der Diakoniegemeinschaft Bethanien e.V. lernen sie, manche zum ersten Mal, dass sie eine Perspektive haben. Und dann geben sie das Gefühl, gebraucht zu werden und fähig zur Weiterentwicklung zu sein, an andere weiter. „Ich konnte förmlich sehen, wie sie sich  veränderten. Aus ängstlichen, unsicheren Hausfrauen, die kaum rauskamen aus ihren vier Wänden, wurden Frauen, die mitten im Leben stehen: Als Kosmetikerin, Apothekengehilfin oder Sozialassistentin. Die Frauen wurden immer schöner mit der Zeit.“

Seit 2004 setzt sich Frau Saber-Fattahy begeistert für Moabit und ihre Bewohner ein: „Ich finde es toll, wie sich hier alles entwickelt hat, die nachbarschaftlichen Projekte, so viele Leute, mit denen ich etwas auf die Beine stellen kann, die vielen neuen Läden und Restaurants. Bei Simit Evi Tee trinken, bei Freddy Leck Wäsche trocknen und auf dem Weg dazwischen zwanzig verschiedene Sprachen hören.“

So selbstverständlich scheint erfolgreiche Integrationsarbeit, wenn Shiva Saber-Fattahy vor einem sitzt. An ihrer Bürotür hängt der Spruch: „Man müsste das Leben so einrichten, dass jeder Augenblick bedeutungsvoll ist.“ Sie ist die Verkörperung dieses Satzes: Vorbild und Stütze für viele, ein Leuchtturm in Moabit.

Text: Nathalie Dimmer, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte

www.diakoniegemeinschaft-bethania.de

Zuerst erschienen in „ecke turmstraße„, Nr. 1 – Februar 2013.

Nachtrag:
Lesen Sie auch den Artikel aus der mittendrin, Oktober 2013.

Kein Geld für die Kiezmütter, Jan. 2015

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