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Karin Babbe und ihre „Theaterschule“

Gehört hatte ich von Karin Babbe, der engagierten Rektorin der Erika-Mann-Grundschule schon viel, bevor ich sie im  Februar 2009 beim Erzählcafé Wedding persönlich kennen lernte. Dort erzählte sie, wie sie und ihr Kollegium es schaffen, das Potential der meisten ihrer Schülerinnen und Schüler zu erkennen und zu fördern. Dazu tragen nicht zuletzt ihre eigenen frühen Erfahrungen als Schulkind bei. Karin Babbe, Jahrgang 1955, wuchs in einem kleinen Dorf an der Ostsee auf. Schon mit etwa 5 Jahren erklärte sie dem Dorfarzt, Dr. Schumann, auf die Frage, was sie denn mal werden wolle: Schauspielerin, Lehrerin oder Mutter. Die selbstbewusste Tochter eines Bäckers kam gemeinsam mit ihrem Spielkameraden, dem eher ängstlichen Sohn des Milchhändlers, in die erste Klasse. Gleich am ersten Schultag geschah etwas für sie Unfassbares, ein Schlüsselerlebnis. Der weinende und traurige Spielkamerad schimpfte auf Platt über seine Mutter, die versprochen hatte, ihn wieder mitzunehmen. Dafür bekam er eine schallende Ohrfeige. Welch ein Schock für die kleine Karin. Später fühlte sie sich in der Dorfschule recht wohl, denn sie hatte in den ersten Jahren eine verständnisvolle Lehrerin. Das Mädchen begriff schnell und durfte der Lehrerin helfen. Ab der 4. Klasse unterrichtete ein anderer Lehrer, bei dem es weniger angenehm zuging. Viel Stillarbeit, während mit den älteren Schülern gearbeitet wurde. Sie war immer schnell fertig, durfte bei den größeren aber nicht mitmachen. Um die Langeweile zu überbrücken, bog sie ihre Daumen unter der Bank. Als der Lehrer das entdeckte, erhielt sie einen Schlag mit dem Geigenbogen. Wie ungerecht, dabei hatte sie überhaupt nicht gestört! Ungerechtigkeit ist für Karin Babbe heute immer noch unerträglich.

karin-babbe2Sie studierte in Göttingen fürs Lehramt, kam 1978 nach Berlin, war erst mal arbeitslos und musste mit einer ABM-Stelle als Hausaufgabenhilfe in einer Kita vorlieb nehmen. Der Umzug nach Berlin hatte sich eher zufällig ergeben, nicht weil sie die Stadt besonders schick fand. Nach ihrem Examen war es nicht leicht in Niedersachsen eine Referendariatsstelle zu finden. Sie hätte eine Schwangerschaftsvertretung in den Kasseler Bergen oder an der Nordsee zur Auswahl gehabt. Ein Wochenendausflug zur Party eines Berliner Freundes gab den Ausschlag. Dort war der schreckliche Wohnungsmangel in Berlin Thema, aber jemand hatte eine Wohnung zu vergeben. Dies Glück wollte sie sich nicht entgehen lassen und zog in die Turiner Straße, die zum Einzugsbereich ihrer heutigen Wirkungsstätte gehört. Sie wohnte später im grünen Reinickendorf, am Schäfersee. Als sie ihren Mann, auch er Lehrer, kennenlernte, zogen beide in die Wittstocker Straße in Moabit.

Karin Babbe lebt also seit fast 30 Jahren im Beusselkiez, zuerst mit Ofenheizung, später haben sie die Wohnung mit zwei Südbalkons nach ihren eigenen Wünschen ausgebaut. Das Haus ist in gutem Zustand, die Nachbarn sind nett. Sie wohnt gerne dort, nicht zuletzt wegen der verkehrsgünstigen Lage: die Babbes reisen gerne. Karin Babbe meint das Lebensgefühl der Hugenotten aus dem 18. Jahrhundert heute noch in Moabit zu spüren: die geistige Freiheit des „jeder nach seiner Façon“. Als Beispiel führt sie die stets gleichbleibende Freundlichkeit in der Dönerbude um die Ecke an, egal ob sie nun verschwitzt und abgekämpft vom Laufen aus den Rehbergen kommt oder aufgebrezelt im Abendkleid aus der Oper. Das lässt sie über manche Unannehmlichkeiten hinwegsehen, wie Straßenschmutz und Hundekacke. Obwohl sie oft spät abends nach Hause kommt, hat sie nie Angst. Durch die nahe Tankstelle ist die Straße belebt. So ein Wohngebiet wie Prenzlauer Berg mit den vielen angesagten Kneipen wäre ihr im Sommer zu laut. Nur ein einziges Mal musste sie unter Kriminalität im Wohnumfeld leiden. Da klingelte es eines Sonntagmorgens um 8 Uhr, die Polizei war da und zeigte die Beschädigung ihres Autos an. Fast musste sie lachen, als sie ihr Auto, einen alten Nissan Micra, vor dem Haus stehen sah: die Motorhaube fehlte. Wie komisch das aussah. Ein ärgerlicher Diebstahl, aber auch der einzige Fall in diesen 30 Jahren im so schlecht beleumdeten Beusselkiez.

erika-mann-gs_theater-jungen-250Natürlich fragte ich Karin Babbe auch nach dem Erfolgsrezept für ihre Schule, die sie seit 1996 leitet. Dazu holte sie weit aus. Erklärte, dass das Berufsbild des Lehrers, als Beamter, also Diener des Staates, der die Staatsphilosophie umsetzen muss, im Wandel begriffen ist. Doch Schule ist weiterhin ein streng hierarchisches System. Seit eineinhalb Jahrhunderten ist die Schulaufsicht zur Kontrolle da. Heute wird sie eher als Berater gebraucht. Dieser Wandel ist noch nicht vollzogen. Vieles wird immer noch in Gutsherrenmanier durchgesetzt. Ein Beispiel ist der Umgang mit Schulschwänzern: statt den Ursachen nachzugehen, wird nach der Eintragung ins Klassenbuch, der Meldung und der Polizei gerufen. Sie selbst geht im näheren Umfeld ihrer Schule auch schon mal selbst los und holt fehlende Schüler von zu Hause ab. Wer Lehrer werden will, sollte sich dazu berufen fühlen, sagt sie. Lehrer müssen sich professionell weiter entwickeln. Doch haben Schulleiter dafür wenig Steuerungsinstrumente in der Hand. Anders als über die Motivation des Kollegiums geht es nicht. Statt über schlecht besuchte Elternabende zu jammern, wurden sie an der Erika-Mann-Grundschule abgeschafft. Es gibt statt dessen jedes halbe Jahr ein intensives Gespräch zwischen Lehrern, Eltern und Schüler. Einzeln. Das funktioniert. Schule braucht Visionen, muss eine geistig anregende Atmosphäre schaffen. Die Schulleitung muss mit dem Kollegium zusammen einen gemeinsamen roten Faden finden und dann im Alltag auch umsetzen. Das haben sie in der Erika-Mann-Grundschule getan: die Theaterpädagogik ist erika-mann-gs_theater-madchen-250seit 10 Jahren fest im Schulalltag integriert (s. unten Theaterfestival „Helden“). Leicht ist es nicht. Und doch empfindet sie die Aufgabe immer wieder Vorbild sein zu müssen nicht als Last. Dabei hat sie das Lachen nicht verlernt – auch das Lachen über sich selbst. Natürlich kann nicht jeder jeden Tag gut gelaunt zur Schule gehen, aber daran arbeiten, kann jeder. Der Blick auf ihr Kollegium ist spannend, jeder ist anders. Unter den 100 Kollegen gibt es so viele Talente: eine Komponistin, vier Opernsängerinnen, einen Fliesenleger. Wenn es gelingt diese Talente für die Schule zu erschließen, dann ist viel gewonnen.

Karin Babbes lebenslanges Hauptmotiv ist der Kampf für Bildungsgerechtigkeit. „Kinder müssen nachmittags reicher aus der Schule kommen, als sie morgens hineingegangen sind. Jeder Tag, an dem das nicht passiert, ist eine verlorener Tag.“ Der Erfolg gibt ihr recht. Die Schüler kommen aus 23 Nationen, die Schule liegt in einem sozialen Brennpunkt. Und doch bekommen bis zu 80% der Sechstklässler der Erika-Mann Grundschule eine Empfehlung fürs Gymnasium oder für die Realschule. Ist so der Ausspruch von Schulstadträtin Dagmar Hänisch zu verstehen, „man muss aufpassen, dass die Erika-Mann-Grundschule keine Eliteschule wird“? Darüber hat sich Karin Babbe geärgert. Obwohl die Erika-Mann-Grundschule beim Deutschen Schulpreis bundesweit auf dem 8. Platz gelandet ist, ein Lob von höherer Stelle hat das Kollegium nicht erhalten.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, ist eingeladen zum
9. Theaterfestival 2009 „Helden“ in der Schaubude Berlin, Greifswalder Straße 81, 10405 Berlin
Premiere, Sonntag, 7.6.2009 Matinee um 11 Uhr
Weitere Vorstellungen 13 und 15 Uhr mit jeweils anderen Stücken
Schülervorstellungen jeweils 8./9./10.6. um 10 Uhr

2 Kommentare auf "Karin Babbe und ihre „Theaterschule“"

  1. 1
    Christiane Heider says:

    Hallo, liebe Susanne,
    Du hast diesen Artikel so liebevoll und der Persönlichkeit von Frau Babbe gerecht geschrieben, daß ich mich einfach melden muß. Klasse!!!
    Alles Liebe,
    Jane

  2. 2
    Susanne Torka says:

    Gespräch zweier Schulleiterinnen über jahrgangsübergreifendes Lernen, Karin Babbe im Gespräch mit Rita Schlegel aus Neukölln in der Berliner Zeitung vom 17.9.2011:
    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/schulleiterinnen-interview-lernen-grundschule/358991.php

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