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Topographie einer brüchigen Mehrheitsgesellschaft

2010

Perleberger Straße 47, 10559 Berlin, so lautet die offizielle Adresse, aber viele Ortsfremde werden vergeblich danach suchen, weil der Eingang auf der Birkenstraße liegt mit der Hausnummer 15.

Es liegt etwas zurück und ruhig. Von der Straße aus erblickt der Besucher zuerst eine kleine Wiese, die unmittelbar an die aufwendig gearbeitete große Terrasse grenzt, wobei zwei große Ahornbäume ausreichend Schatten spenden und zum Verweilen einladen. Eine leichte Sommerbriese und das Aroma des frischgemahlenen Espresso sorgen für Wohlfühlatmosphäre und Entspannung.

Abends sowie an kalten und dunklen Wintertagen erwartet den Besucher ein überraschend faszinierendes LED Lichterspiel, der Anblick eines gemütlichen Chillout – Bereiches, begleitet von insprierender Musik. Vor der großen Fensterfront begnügt man sich mit einer Tageszeitung oder schaut den langsam herunterfallenden Schneeflocken zu. Um diese Jahreszeit duftet es so herrlich nach Zimtkuchen und der Betrachter genießt dabei vielleicht einen frischzubereiteten Chai -Tea – Latte bei uns….

Doch heute war ich ausnahmsweise derjenige, der hier vor der großen Fensterfront saß, trank und las….  In der April/ Mai 2011 Ausgabe der Quartierszeitung 21° Ost, stieß ich auf einen Leserbrief (Seite 7). Die Lehrter Straße wurde beschrieben, ihre Anwohner, Geschäfte und die vorherrschenden Lebensbedingungen.

Wenn ich nicht in der Nähe leben würde, könnte ich denken, es handele sich hierbei um die Notizen, Erinnerungen und Anekdoten eines reisenden Europäers in einem fremden Land, während seines Auslandsurlaubes. Es gibt eine Form, jedoch ohne Inhalt, es ist inhaltslos, also leer. Die Anstrengung diese zu füllen, insbesondere mit den Worten, kleine Leute, die wenig haben, die kein Bein auf die Erde bekommen, suggeriert eine heimliche Arroganz und stößt an die Grenzen einer weitreichend dominierenden Parallelgesellschaft. Es ist makaber in dieser Haltung und Gesinnung Mitleid mit seinen Mitmenschen auszudrücken.

Doch die Lehrter Straße ist hier in Berlin. Jemand, der in der Lehrter Straße wohnt und seine Umwelt und Nachbarn in dieser Form wiedergibt, hat in seinem Leben ganz schön viel verpasst. Man müsste sich die Frage stellen, was wäre, wenn es die kleinen Leute nicht mehr gäbe?

Es war der 17. Dezember 2011

Antje Hildebrandt von der Berliner Morgenpost beschreibt in Ihrem Artikel mit der Überschrift „Weihnachten ist wie Ramadan – bloß in Grün„, den Umgang vieler muslimischer Familien mit diesem Thema. Im letzten Absatz erkannte ich einige Auszüge aus einem mit mir geführten Telefonat und neigte dazu ihr persönlich meinen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Sie hatte aus vielen einzelnen Puzzleteilen den Schritt gewagt einen Gesamtkontext herzuleiten, was ihr unstrittig auch gelungen war. Doch in vieler Hinsicht war der Ideenreichtum einer unfähigen nicht vollendeten Metamorphose gleichzusetzen. Als Muslime erweisen wir selbstverständlich allen Glaubensrichtungen unsere Hochachtung und entziehen uns nicht der Verantwortung einen angemessenen Dialog herbeizuführen, um dabei auch unsere Demut und Respekt zu veranschaulichen.

Als „starke Partner“ des Quartiersmanagements Moabit-Ost bot sich an einem Adventsonntag unser Geschäft als Kulisse einer beispielhaft organisierten Begegnung an. Denn im Rahmen der Quartiersmanagementprojekte konnten die Macher und wir als Gastgeber eine Vielzahl von Anwohnern mit einem Tannenbaum zum bevorstehenden Weihnachtsfest und Jahreswechsel beglücken.

Hierbei ging uns vor allen Dingen darum, unsere Nachbarn, Freunde und Kiezbewohner zu treffen, Gedanken auszutauschen, allen Menschen einen entsprechenden Rahmen zur Selbstverwirklichung ihrer christlich religiösen- und kulturellen Identität zu verschaffen. Es wäre absurd und würde jeder Grundlage entbehren, sollten Hypothesen aufgestellt werden, Muslime hätten „zähneknirschend“ ihre Loyalität zu Weihnachten offenbart.

Kürzlich haben wir den Fastenmonat Ramadan mit einer zeremoniellen Abschlussfeier beendet, es gab auch die Möglichkeit unter dem Motto „Wir in Moabit – Mal Anders“ in der Ayasofya Moschee an einem gemeinsamen harmonisch besinnlichen Fastenbrechen (Iftar) teilzunehmen. Der Einladung sind viele Nachbarinnen und Nachbarn gefolgt, alle waren positiv überrascht.

Leider sind mir dabei Zweifel gekommen, inwieweit unsere Nachbarn tatsächlich die Parallelität der Feste reflektieren, wie ernst unsere „deutschen Nachbarn“ ihre Absichtserklärungen von Toleranz, Respekt und Akzeptanz nehmen. Ich vermisse immer noch zumindest den Spruch: „Wir wünschen Ihnen ein besinnliches Ramadanfest“.

Fatih Bayram

Ein Kommentar auf "Topographie einer brüchigen Mehrheitsgesellschaft"

  1. 1
    K. S. says:

    Also ich bin ein Weihnachtsmuffel, auf mich wirken der schrille Konsumkommerz und die nichtssagenden Politiker-Klerus-Verbrüderungen eher abstoßend. Insofern würde ich einem Muslim nichts Gutes wünschen, wenn ich hier eine Analogie herstellen sollte.

    Ich wünsche zur heutigen Vollmondnacht allen ein fröhliches Multikulti!

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