Musa Jalil – ein tatarischer Dichter in Moabit
Die russisch-deutsche Literaturwerkstatt „Moabiter Dichter“ unter der Leitung von Nora Gaydukova lud im Juni zu einem Gedenkabend für den tatarischen Widerstandskämpfer und Dichter Musa Jalil (1906-1944) ins Stadtschloss Moabit ein. Die Literatur-Gruppe hat bereits zwei deutsch-russische Bücher herausgegeben und startet nach der Sommerpause mit der Textsammlung für das dritte Buch. Die Veranstaltung fand in sehr familiärem Rahmen statt.
Nora Gaydukowa berichtete Wissenswertes über das Leben von Musa Jalil, der am 12. Februar 1944 von den Nationalsozialisten zum Tode verurteilt und am 25. August 1944 mit 11 weiteren tatarischen Widerstandskämpfern in Plötzensee hingerichtet wurde. Er ist nur 38 Jahre alt geworden. Das Foto zeigt ihn mit seiner Tochter. Ausgewählte Gedichte aus seinem Werk wurden vorgetragen, auf tatarisch (nur eins), auf russisch und auf deutsch. Jede_r konnte sich beteiligen und die teils heroischen, teils traurigen, aber auch erstaunlich hoffnungs- und humorvollen Verse vortragen.
Was verbindet diesen Volkshelden und Dichter, der seit 1956 als Held der Sowjetunion verehrt wird, dem ein Jahr später der Leninpreis verliehen wurde, nach dem eine Stadt benannt wurde, ebenso wie ein Opernhaus in Kazan, der Hauptstadt der Tatarischen Republik, eigentlich mit Moabit?
Musa Jalil, ein Bauernsohn, hatte bereits mit 13 Jahren im russischen Bürgerkrieg erste Gedichte veröffentlicht. Während er noch zur Schule ging, schrieb er Gedichte, organisierte Laienspiele mit der Dorfjugend. Später gab er Zeitschriften für Kinder und Erwachsene heraus, schrieb Theaterstücke und Opern und baute das Nationaltheater und die Oper auf (siehe biografische Hinweise von Raffael Mustafin). 1941 nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion meldete er sich freiwillig zur Roten Armee und geriet 1942 in Kriegsgefangenschaft. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Nationalsozialisten den Versuch gestartet kriegsgefangene Tataren und Männer aus anderen nichtrussischen Völkern als Legionäre gegen die Rote Armee einzusetzen. Mit wenig Erfolg. Ein Bataillon lief komplett zu den Partisanen über (siehe Quelle zur Tatarischen Legion). Dieser Aufstand inspirierte auch Musa Jalil und weitere Tataren zu antifaschistischer Propaganda-Tätigkeit in der Legion, die aufgedeckt wurde. Sie wurden am 10. August 1943 verhaftet und gefoltert. Vor seiner Hinrichtung war Musa Jalil im Zellengefängnis Moabit und anderen Berliner Gefängnissen eingkerkert. Zellenkamerad war zeitweise der belgische Widerstandkämpfer André Timmermanns.
Im Zellengefängnis Moabit schrieb er seine Gedichte, wie der ungleich bekanntere Albrecht Haushofer. Während dessen Texte nach seinem Tod 1946 als „Moabiter Sonnette“ herausgegeben wurden, sind Musa Jalils Gedichte als „Moabiter Hefte“ bekannt geworden. Sie erschienen erst 1953 nach seiner Rehabilitierung in der Sowjetunion. Ein Teil dieser zwischen 1943 und 1944 geschriebenen Gedichte wurde ins Deutsche übersetzt und erschien 1977 in der DDR als schmales Bändchen. Dies ist komplett im Internet zu lesen mit einem Vorwort seiner Frau Amina.
Wer sich detaillierter informieren möchte, findet hier eine Zusammenstellung der Internet-Quellen zu Musa Jalil. Sie wurde von jungen Leuten aus Kazan und Berlin bei einem Projekt „Geschichtsbilder“ erarbeitet, wie auch dieses Archiv alter Texte und auch persönliche Beiträge.
3 Gedichte von Musa Jalil:
Letztes Lied
Das Antlitz der Erde,
wie hell und wie strahlend!
Doch hier ist es dunkel,
die Zelle verschlossen.
Der Vogel im Luftraum,
fliegt hoch und noch höher.
Ich krieche am Boden,
die Hände gefesselt.
Die Blume im Freien,
erquickt sich am Regen.
Ich muß hier verschmachten,
verwelken in Trauer.
Ich weiß, wie beglückend
es sein kann: das Leben!
Doch ich muß hier sterben,
dies Lied ist – mein letztes.
August 1943
Der Verurteilte
Heut nun hat er ihren Spruch vernommen.
Todesstrafe. Ob es ihn erregt?
Wie erwartet, ist es auch gekommen –
und er zeigt sich ruhig, unbewegt.
Auch die Zelle hört nicht eine Klage.
Mond am Himmel bleibt der gute Hirt.
Den Gefangenen quält nur diese Frage:
Wie sein Kind, die Waise, sich behelfen wird.
September 1943
Die Wanze
Ein finstres Loch. Die Mäuse spielen Fangen.
Die Wanzen feiern Hochzeit, wie man sagt.
Voll Wut und Trauer gehe ich den langen,
den endlos langen Tag auf Wanzenjagd.
Und denk dabei, man müßte dieses ganze
Gefängnis schleifen, daß nur Trümmer bleiben,
und den Gefängnisherrn wie eine Wanze
darin zerquetschen und zu nichts zerreiben.
Nicht später als September 1943
Nachtrag:
Weitere Gedichte finden sich unter diesem Link: http://home.datacomm.ch/nickvp/welcome.html
Liebe Susanna,
das ist toll, für die leute über Musa Jalil zu schreiben und unsere Literaturgruppe vorstellen.
Danke schön!
Wir sehen uns bald.
LG
Nora
Nächste Woche im Deutschen Historischen Museum im Rahmen der Ausstellung Zerstörte Vielfalt, Vortrag und Diskussion zu Musa Jalil:
http://www.dhm.de/ausstellungen/zerstoerte-vielfalt/begleitprogramm.html#august
Neues von den Moabiter Dichtern, der russisch-deutschen Gruppe, die schon zwei Bände herausgegeben hat und jetzt Texte für den dritten sammelt:
http://www.moabitwest.de/Russisch-deutsche-Literatur-Das-Neueste-von-den-Moabiter-Dichtern.4930.0.html
Der vierte Band ist erschienen und ein Artikel in der Berliner Woche:
https://www.berliner-woche.de/moabit/c-kultur/moabiter-dichter-machen-von-sich-reden_a181547