Mein Moabit
Ich hab’s gehört und niedergeschrieben:
Das Zauberwort
Da hatte einer Appetit. Und die Auslage mit den gebackenen Brötchen, daneben aber auch die Wurst- und Fleischqualitäten ließen ihn in dieses kombinierte Geschäft stürmen. Und so stand er vor der Bäckertheke, wobei ihm das Wasser im Munde zusammenlief.
„Lust und Liebe sind de’ Fittiche zu jroßen Taten, jute Frau – ich krieg’n Gaffee, ’ne Bockwurscht – und det alles in diesem Laden!“ dichtete er. Der freundliche Blick der Verkäuferin war sofort wie weggeblasen.
„Det war und is’ det Jeheimnis der Heilijen, junger Mann!“ schmiss die Verkäuferin ein paar bissige Worte über den Ladentisch. „Aber mich bejleitet etwas andres bei der Arbeit, damit sie mir noch besser von der Hand jeht!“
„Det wäre?“ Die Verkäuferin schaute dem jungen Kunden groß in die Augen, der dieses ‚DET WÄRE?’ wie befehlend in den Laden schleuderte. „So sicher wär’ icke mir da nich’, junger Mann, bei der Erfüllung Ihrer Wünsche!“
Der Kunde: „Leider, ick merk’s. Se’ reden lieber! – Doch hab’ ick Unrecht heut’ jetan, sieh et lieber Jott nicht an! liebste Dame!“ „Lassen Se’ mal besser den lieben Jott aus ‚m Spiel!“
„Aber wieso keene Erfüllung meiner Wünsche? Sind jar de Kaffeebohn’ alle oder wat?“ „Det allerdings nich’“, sagte die Dame hinter der Theke. „Oder de Bockwürschte – sind die etwa älteren Datums? Oder denken Se’ vielleicht, ick hab’ keen Jeld?“
Die Verkäuferin: „Gaffeebohn’ sind jenügend da, und unsere Bockwürschte, die sind immer frisch, det merken Se’ sich mal, na, und der Preis für beides – Gaffee und Bockwurscht – is’ sicherlich erschwinglich für Sie! Doch warum verjessen junge Leute immer ihre frühesten Kinderjahre?“
„Wat denn?“ „Versuchen Se’ es doch mal anders! Mir fehlt das Zauberwort – leider!“ „Wat? Das Zauberwort? Wird hier etwa nach Parolen bedient, die keener kennt, wenn er nich jerade aus dieser Ecke hier stammt?“
Die Verkäuferin: „Jawohl, das wird es, und diese Parole is überall jleich; die kennt jeder! Nur bei Ihnen zeigte sie wohl noch keine durchschlagende Wirkung! Beachten Se’ das in Zukunft, junger Mann! Dieses Motto bringt man jewöhnlich immer im ersten Satz.“ „Kenn ich nicht!“ sagte er dann konsterniert.
„Klar kennen Se’ das! Diese Parole heeßt: B-i-t-t-e! – Lesen Se’ mal wieder den Klassiker Knigge, der mein verdammter Zeuje ist! – Klingt doch hübsch, was? – Einfacher jeht’s nun nich mehr – B.I.T.T.E!“ buchstabierte die Dame hinter dem Tresen laut, langsam und seeehr vernehmlich.
Daraufhin ergriff der Kunde die Flucht. Aber schon nach wenigen Minuten tauchte er wieder auf, in der Hand eine langstielige gelbe Rose, in der anderen ein goldglänzendes Päckchen Kaffee. Beides überreichte er der Verkäuferin und bemerkte: „Einspruch erheben Se’ aber jetzt nich!“ Und mit einer im Halse steckenbleibenden Tragikomik trieb er es auf die Spitze: „Jeben Se’ mir doch eene Tasse Kaffee und eene Bockwurscht, und nehmen Se’ dann – BITTE – diese Entschuldigungsrose mit dem Kaffee entjejen! Damit ick wieder ein fürchterlich jutes Jewissen krieje! DANKE!“
Autor: Holger Hartenstein