So können Sie mitmachen!

Ein Gespräch mit Sven Kirschke

… aus der Kontaktstelle PflegeEngagement Mitte, die Hilfe zur Selbsthilfe für pflegende Angehörige bietet

Im Nick Hornbys Besteller „A Long Way Down“ begegnen sich vier Menschen beim Selbstmordversuch auf einem Hochhausdach und geben sich das Versprechen, ihren Suizid aufzuschieben und sich umeinander zu kümmern. Eine davon ist eine Mutter, die sich durch die Pflege ihres schwer behinderten Sohnes mehr und mehr von der Außenwelt abgegrenzt hatte und seit vielen Jahren einsam und abgeschieden lebte.

Isolierung ist leider keine Seltenheit bei pflegenden Angehörigen, weiß Sven Kirschke, der die „Kontaktstelle Pflege Engagement Mitte“ der StadtRand gGmbH leitet. Er selbst hat die Erfahrung gemacht: sein Bruder starb nach 6 Jahren Krankheit an einem Hirntumor, im ersten Jahr versorgte Sven ihn im Wechsel mit der Mutter und einem Freund. Das bedeutete, alle drei Wochen eine Woche lang völlig aus seinem Alltag gerissen zu sein, denn der Bruder brauchte rund um die Uhr Betreuung. Svens soziale Isolation wuchs in dieser Zeit, es fehlte ihm nicht nur der neue Stoff an der Uni, sondern auch der Kontakt zu den Freunden. „Anfangs ist das Mitgefühl der Umgebung sehr stark, aber mit der Zeit sind auch Freunde mit der Situation überfordert. Und wenn man dann nicht selbst aktiv den Kontakt hält, wird man schnell einsam.“ Er sei damals selbst in die Falle getappt, alles für seinen Bruder tun zu wollen und dabei seine eigenen Bedürfnisse zu verdrängen: „Bis man irgendwann merkt, dass es so nicht weitergehen kann. Ich selbst lebe ja auch noch!“

Um anderen in ähnlichen Situationen zu helfen, war es ihm daher auch ein persönliches Anliegen, Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige aufzubauen. Denn schon der Austausch mit anderen, die ähnliches durchmachen, ist eine große Hilfe und Erleichterung. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Beratung. „Man geht als Angehöriger so weit über seine Grenzen. Was ist, wenn man selbst krank wird? Kann vielleicht jemand stundenweise einspringen, ohne dass man dafür Geld bezahlen muss? Und wie kann man bei einer durchschnittlichen Pflegedauer ist sechs bis acht Jahren der Isolation entgegen wirken?“ Ein wirksames Mittel ist es, nachbarschaftliche Beziehungen zu aktivieren, was er mit seiner „Kontaktstelle“ tut. Sie wurde 2010 von der Senatsverwaltung und den Pflegekassen initiiert, in jedem der zwölf Bezirke wurde ein Büro eröffnet, meist unter dem Dach von Nachbarschafts- und Stadtteilzentren. „Mit denen gemeinsam suchen wir Synergien, gerade beim Thema Selbsthilfe. Denn die sind nahe an unserer Zielgruppe dran.“

Sven Kirschke lebt seit 2006 in Moabit. Schnell kannte er sich hier besser aus als seine Lebensgefährtin, die Radiojournalistin Monika Hebbinghaus, die auch Quartiersrätin ist. Sie war der Grund dafür, seine Zelte in Berlin aufzuschlagen. Ein großer Schritt für den Mann, der bis dahin im beschaulichen Bremen lebte. Aus einer kleinen Woh- nung in der Wiclefstraße zog das Paar in eine größere im Vorderhaus. „Wir haben einen tollen Vermieter, durch den es viel Unterstützung gab. Heute ist er selbst pflegebedürftig, und ich versuche, seine Frau in dieser Situation zu unterstützen – auch über meine Arbeit in der Kontaktstelle. „2008 wurde Sohn Arthur geboren und Sven sagt begeistert: „In Moabit bleiben wir.“

Der praktizierende Buddhist, den viele auch aus dem Zentrum für interreligiösen Dialog (ZID) kennen, wurde nach einer Schlosserlehre zum Krankenpfleger. Er arbeitete viele Jahre im stationären Bereich, bevor er auf dem zweiten Bildungsweg Pflegewissenschaften und Pflegepädagogik zu studieren begann. Als Krankenpfleger bekam er in Berlin Arbeitsangebote zuhauf, bis es dann beim Pflegedienst der Diakonie auf dem Gelände des ehemaligen Moabiter Krankenhauses klappte. Nach einem Jahr in der ambulanten Pflege übernahm er dort die Öffentlichkeitsarbeit und machte die Station bekannter. Das hätte so weiter gehen können. Aber ein Projekt, das Selbsthilfe und Ehren- amt mit Pflege verbindet, reizte ihn dann doch so sehr, dass er die „Kontaktstelle Pflege Engagement Mitte“ übernahm. 50 Pflegeanbieter gibt es allein hier im Bezirk, Sven kommt aber nicht in Loyalitätskonflikte wegen seiner früheren Tätigkeit bei der Diakonie: „Wir vermitteln ja keine Patienten in Pflegedienste, sondern wollen als Kooperationspartner mit allen Pflegeanbietern zusammen arbeiten. Wir sehen unsere Arbeit als Ergänzung, denn wir wollen pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen dabei unterstützen, selbst Hilfe für sich anzunehmen.“

Kontakt:
Kontaktstelle PflegeEngagement Mitte für pflegeflankierendes Ehrenamt und Selbsthilfe,
StadtRand gGmbH, Lübecker Str. 19, 10559 Berlin Tel: 030-22194858 / Fax: 030-22194859 / mobil: 0176-38467745 Tel: 0177-8903516
(Angehörigengruppe in türkischer Sprache) Sprechzeiten: Mo 10-12 Uhr / Di 16-18 Uhr / nach Vereinbarung
www.stadtrand-berlin.de

Text & Fotos: Gerald Backhaus. Dieser Artikel erschien zuerst in der moabiter INSELPOST im Mai 2012.

Nachtrag:
25 Jahre Selbsthilfe-, Kontakt- und Beratungsstelle Mitte (Berliner Woche).

Schreibe einen Kommentar

Beachte bitte die Netiquette!