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Der Stephankiez aus der Sicht der Immobilienwirtschaft.

Seit einiger Zeit wird der Stephankiez immer beliebter für Investoren. Angefangen hat dies mit der Fußballweltmeisterschaft. Danach haben viele Mietshäuser den Besitzer gewechselt. Man bemerkte schlicht, dass man in Berlin ein ganzes Mietshaus für den Preis einer einzelnen Eigentumswohnung in London oder Paris bekommen konnte. Ich habe selbst beobachtet, wie ein Reisebus mit jungen schlipstragenden Angelsachsen sich über die Moabiter Kissen durch die Stephanstraße quälte und in den frisch renovierten Mietshäusern in der Stephanstraße 57-59 verschwanden. Das Unternehmen Ziegert hat in der Stephanstraße 61 und in der Stephanstraße 19 Wohnungen im Angebot. In den dazugehörigen Prospekten lernen wir, wie man Moabit und den Stephankiez sehen kann, wenn man etwas anzupreisen hat.

Im Prospekt Sternenhaus wird die zentrale Lage des ehemaligen Stadtbezirkes Tiergarten in unmittelbarer Nähe zu Hauptbahnhof, Siegessäule, Kanzleramt, Schloss Bellevue und zum großen wunderschönen Tiergarten gepriesen. Auch der Potsdamer Platz ist nicht weit. Über Moabit wird gesagt, es sei ein ehemaliges Arbeiterviertel mit nicht immer dem besten Ruf. Doch es wird auch beschrieben, wie der Wandel dazu führt, dass zwischen liebevoll sanierten Gründerzeitfassaden sich zahlreiche besondere Vorteile verbergen. Dazu zählen eine moderne Shopping Mall und Sternehotel im Moa-Bogen Center bis hin zu der fantastischen Arminius Markthalle aus der Kaiserzeit. Sogar unsere beliebte Dorotheenstädtische Buchhandlung wird zusammen mit dem Nobelrestaurant Paris Moskau als besondere Perlen beschrieben. Auf der nächsten Seite wird eine alte Postkarte mit Heinrich Willhelm von Stephan gezeigt, “dem Namensgeber und zeitweiligem Anwohner der Stephanstraße“ und seine Urheberschaft an der Postkarte um 1870 gepriesen.

Der Einstieg in den Kiez startet mit “Wild war gestern“ und genial interpretierten historischen Informationen: “schon um 1850 gab es hier am Standort von Bolle, Borsig und AEG Massenstreiks und Straßenkämpfe“. Nachdem die legendäre Kommune 1 als direkter Nachbar zu den neuen Eigentumswohnungen Erwähnung findet, gelangt der Autor zu der These hier sei es “ruhig, aber nicht langweilig“, womit er nicht ausschließlich verkehrsberuhigt meint.

Über den Stephankiez wird zudem berichtet, dass 90 Prozent der historischen Bausubstanz erhalten sind, und kühn behauptet, dass der Stadtteil mit seinen im Sonnenlicht strahlenden komplett sanierten Fassaden, den Wettbewerb mit Prenzlauer Berg eröffnet habe. Die gute Lage im Berliner Zentrum und die Qualität der Verkehrsanbindung wird genauso hervorgehoben wie die neuen Sportplätze und Joggingstrecken im Fritz-Schloß-Park, das zukünftige Wellnessbad, Amala Spa, aber auch die zahlreichen Spielplätze und sogar BürStes kostenloser Spielzeugverleih, sowie unsere Kiezfeste bleiben nicht unerwähnt. Die Beschreibung schließt mit dem Satz “Nachbarschaftlichkeit und Menschlichkeit werden hier groß geschrieben“. Zwischen den Hochglanzbildern vom Moa-Bogen, der Markthalle und dem Amala-Spa Bad wird dann unter dem Titel “Es tut sich was!“ erläutert, wie man sich im Stephankiez und Moabit körperlich und kulinarisch verwöhnen lassen kann.

Bevor das sanierte Gebäude mit den zweieinhalb bis knapp dreitausend Euro teuren Wohnungen zur Darstellung gelangt, werden die Gebrüder Grimm bemüht, den etwas vernachlässigten Stadtteil aus dem Dornröschenschlaf wach zu küssen “zum Stadtteil mit Platz für Individualisten“.

Der Autor hat gut recherchiert und vieles Positive zusammengetragen, etwas übertrieben die feinen kleinen Geschäfte betreffend aber im wesentlichen auf den Punkt gebracht, was so besonders an Moabit ist. Immerhin, das total verfallene Haus in der Stephanstraße 61 wird aufwendig und vollständig saniert, eine unglaublich aufwendige und damit kostspielige Angelegenheit.

Nur dass es den Wolf braucht, um wachgeküsst zu werden, erscheint mir doch eine zweifelhafte Methode für Moabit zur Besinnung zu kommen, denn der Prinz ist schon lange kein Frosch mehr, aber Märchen sind ja kompliziert.

Zuerst erschienen in der LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Nr. 21, Frühjahr 2012

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