Wohnen in Moabit – vor 30 Jahren
Da hat mich doch neulich ein Student gefragt, ob man eigentlich heute besser in Moabit lebt als früher. Nun, wann ist früher?
Ich lebe seit Anfang der 1980er Jahre in Moabit und meine Antwort fällt – mit kleinen Einschränkungen bei Nebenaspekten – doch sehr eindeutig aus.
Klar wohnt man heute besser in Moabit als noch in den 1970/80er Jahren. Ist man früher im Winter auf die Straße gegangen, zog einem von überall her der Kohlengeruch in die Nase. Auch das Kraftwerk hat uns ganz schön eingenebelt.
Graue Fassaden, abblätternder Putz, feuchte Treppenhäuser, verschimmelte Wände – o.k. das war nicht überall so, aber doch in sehr vielen Hinterhäusern und Seitenflügeln. Klo halbe Treppe, Küchenfensterscheiben überzogen mit dickem Eis.
Wer von Euch kennt noch die kupfern schimmernden Badeöfen? Die gab es allerdings nur in den großen unsanierten Vorderhaus-Wohnungen, in denen schon beim Bau ein Bad eingebaut worden war. Gut, wenn diese Kessel noch mit Holz zu heizen waren, jedenfalls im Winter, dann wurde wenigstens das ganz Bad gleich mitgeheizt. Aber im Sommer, doch eher lästig die Anheizerei für warmes Badewasser. Wenn der Kamin nicht zog, weil gerade die Sonne drauf schien, wollte es nicht brennen, nur Qualmentwicklung. Aber welch ein Luxus aus damaliger Sicht. Braucht man im Sommer warmes Wasser? Man kann ja auch kalt duschen, zumindest wenn es richtig heiß ist. Später wurden dann elektrische Heizstäbe in die kupfernen Badeöfen eingebaut und dann brauchte man auch noch eine teure Stromheizung, damit der ganze Raum ein wenig angewärmt wurde.
Ja, so war das. Dafür musste man aber auch nur ein Viertel oder noch weniger der heutigen Miete zahlen.
Und die Nachbarschaft, da hat sich ein natürlicher Zusammenhalt entwickelt. Musste ja auch sein, wenn im Winter die Wasserleitung einfriert, dann hilft man sich eben gegenseitig.
Ein wenig vermisse ich es auch, das tägliche Feuer machen, die wohlige Kachelofenwärme, den Feuerschein, das Knistern des Holzes, die schimmernde Glut und beneide diejenigen, die sich jetzt den Luxus eines Kamins leisten können.
Wer von Euch kennt noch die genialen Kochmaschinen aus weißen Kacheln in der Küche? Ein Topf mit warmem Wasser stand dort immer bereit, die einzeln abnehmbaren Feuerringe, der Größe des Topfes anpassbar. Fast überall sind sie längst rausgerissen, nach Funktionsverlust haben sie nur noch Platz weggenommen.
Autorin: Hilde Berger
Ich habe den kurzen Artikel gern gelesen, aber denke, dass hier keine spezifisch Moabiter Situation beschrieben wird. Wie war übriges die Multikulti-Mischung damals? Ich gehe lieber beim Türken als bei Discounter-Ketten einkaufen …
Sehr anschaulich beschrieben, liebe Hilde.
Auch ich bin Alt-Moabiter. Aber nicht originär, sondern Mitte der 70er als Student von Steglitz nach Moabit verschlagen. Und geblieben. Und meine Kinder auch.
Ofenheizung – Badeofen – Kochmaschine, all das hatte seinen Platz und seine eigene Romantik.
Wir haben uns mit unserem damaligen Wohnstandard abgefunden und identifiziert. Aber es gab Besseres.
Die Fernwärme, Warmwasser aus der Wand und der Gasherd, das waren Quali-tätssprünge. Sie haben Moabit später erreicht als weite Teile Rest-West-Berlins. Und ich möchte sie nicht mehr missen.
Einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der 80er Jahre in Moabit – mit dem Blick von Außen – gibt ein Artikel aus der ZITTY von 1988:
„Moabit: Der leise Tod. Moabit – der Name des Stadtviertels hinter dem Tiergarten hat sich unbemerkt von der Öffentlichkeit zum Armenhaus der Stadt entwickelt, beklagen Bewohner. Das Image des Viertels ist zudem blaß und grau, eine Kiezatmosphäre gibt es nicht!“ von Eberhard Seidel.
Werde den Artikel an die MoabitOnline-Redaktion schicken, evtl. können die ihn hier einbauen (falls er nicht schon in den Tiefen dieser hervorragenden Seite versteckt ist).
Vielen Dank für das Angebot Michi_B!
Und Du hast richtig vermutet, der Zitty-Artikel ist hier schon „versteckt“ (einfach Zitty in die Suchmaske rechts oben eingeben). Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir von der Zitty die Genehmigung bekommen Text unf Foto hier zu dokumentieren.
Link zum Artikel: https://moabitonline.de/7007
Nun, an „Multi-Kulti“ (oder besser Bi-Kulti) kann ich mich meine Schulzeit betreffend auch schon erinnern, allerdings waren die Zahlen der türkischen Schüler noch so überschaubar, daß ich mich heute noch an ihre Vornamen (Cuma, Ayse, Mehmet, Adnan und Jacub) erinnern kann, einen türkischen Lehrer hatte die Anne-Frank-Schule auch schon. Die kleine italiensiche Eisdiele, damals neu, gibt es immer noch auf Alt-Moabit, genauso wie den Eisenwarenladen A.W.Gericke gleich daneben. Gerickes waren übrigens eine alteingesessene Moabiter Kaufmannsfamilie. Damals (in den siebzigern) war ALDI noch etwas ganz neues, im Turmpalast. Hertie gab es dagegen schon, sowie Woolworth und Karstadt. Nicht zu vergessen die gutsortierte Schreibwarenhandlung Kurt Sandow und der Lederwarenladen Echaust, heute Dönerladen und türkische Lebensmittel. Oder auch die kleine Drogerie in der Straße und fünf Eisenwarenläden in Moabit, dort bekam man auch Schürhaken und Ascheneimer. Ein Schwarz-Weiß-Fernseher hatte fünf Knöpfe: Erstes, zweites und drittes Programm sowie „Osten eins“ und „Osten zwei“. Das hatte damals völlig ausgereicht.
Große Kokswagen kamen, um den damals schon zentralbeheizten Häusern den Brennstoff zu liefern, den der Hauswart dann im Keller verfeuern mußte. Und der Kartoffelwagen, noch mit Pferden gezogen. Ruinen gab es noch jede Menge, im zerbombten Hinterhaus auf der anderen Straßenseite mußten wir mehrfach unsere Katze suchen, denn dort lebte ein dicker Kater …
Es gab noch geteilte Wohnungen, in einer Hälfte wohnte meine Oma (selbstverständlich mit Kochmaschine), in der anderen Hälfte auch eine alte Dame, am Ende des gemeinsamen Flures stand ein unbeleuchtetes Plumpsklo in einer Bretterbude. Omas Schrank habe ich heute noch, er war mit zu schade zum Verheizen im Kachelofen.
Der 86er fuhr Alt-Moabit und die Invalidenstraße längs (die Schienen der von den Bussen abgelösten Straßenbahnen waren noch fast überall zu sehen) und endete vor der Sandkrugbrücke, er fuhr dabei an einem riesigen, fast leeren, aber umzäunten Gelände vorbei (der ehemaligen Ulanenkaserne), auf dem erst die Polizei bauen wollte, dann aber die Zille-Siedlung entstand. Vorn an der Ecke zur Rathenower Straße, wo heute das OSZ steht, befand sich noch ein Klinkerbau (Kaserne) und ein Minigolfplatz davor. Die heute so schmucke Werftstraße hatte dunkle und desolate Flure, und in der Lehrter Straße hing in einem Haus immer noch ein Zettel an der Wand: Man möge sich im Dunkeln vorsehen, da Glühlampen zu normalen Preisen nicht zu beschaffen wären, der Verwalter. Überhaupt, der östliche Rand von Moabit: Eine merkwürdige Welt mit ruinösen, stillgelegten und zum Teil zugewachsenen Bahnhöfen, stehengebliebene Zeit, die Mauer gleich gegenüber, über die mit schöner Regelmäßigkeit die zischenden und rumpelnden ockergelb-roten Züge mit den Holzbänken und den vielen Nieten fuhren, die man als „guter West-Berliner“ aber nicht zu benutzen hatte. Manch ein „Interzonenzug“ fuhr noch mit einer Dampflok. Auf dem ULAP-Gelände ein riesiges Kohlenlager, Senatsreserve. Und immer wieder Konserven aus der Senatsreserve im Handel, denn ewig hielten die Sachen ja nicht …