Der König vom Feuerland
Bosetzkys neuer dokumentarischer Roman über August Borsig
Einen ganz schön dicken Schinken hat Horst Bosetzky, der emeritierte Soziologieprofessor, Krimi- und Bestsellerautor über den „König der Lokomotiven“ vorgelegt: 365 Seiten inklusive Prolog und Epilog. Letzteren sollte man wirklich erst zum Schluss lesen, denn hier plaudert der Autor mit Borsigs Geist in dessen Grabtempelchen auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Bosetzky muss sich rechtfertigen für seine Interpretation. Denn Borsig behagt es gar nicht als prunksüchtig und eitel beschrieben zu werden und er mokiert sich außerdem über die erfundenen Personen. Durch dies Gespräch erfährt der Leser fast nebenbei, was historisch belegt ist und welche Romanfiguren Bosetzkys Fantasie entsprungen sind. Oder auch, wieviel Berliner Museen für das hier abgebildete, 1847 von Karl Eduard Biermann geschaffene Gemälde der Maschinenbauanstalt Borsigs im Feuerland vor dem Oranienburger Tor bezahlt haben, das auch den Buchumschlag ziert.
Die Karriere von August Borsig (1804-1854), der schon als Zimmermannslehrling in der Breslauer Werkstatt seines Vaters vom Schmiedehandwerk träumt und in der dortigen Bauhandwerksschule Kuppeln entwirft, zum Fabrikherren über fast 2.000 Arbeiter und Villenbesitzer in Moabit ist trotz vieler historisch belegter Einzelheiten locker und spannend zu lesen. Es treten jede Menge Zeitgenossen auf und lassen preußische Geschichte lebendig werden. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen des Vormärz, die Märzrevolution und ihre bürgerlichen Profiteure, englischer Erfindergeist gepaart mit Unternehmertum, Industriespionage und nachholende Industrialisierung in Deutschland kommen als Geschichten einzelner Personen daher. Das macht die Erzählung so lebendig. Ins Schmunzeln gerät der Leser schon gleich im Prolog, wo Journalisten, Schriftsteller und Regierungsbeamte im Salon Karl Varnhagen von Enses 1854 darüber sinnieren, warum ausgerechnet Borsig diesen Aufstieg geschafft habe. Ob es am „telos“ gelegen habe, an göttlicher Bestimmung, wie die Calvinisten glauben, oder ob die Zeit einfach reif gewesen war, dass Verkehr und Technik sich so rasant entwickelten. Schließlich besuchen Ludwig Rellstab, der in der Vossischen Zeitung zum 50. Geburtstag eine ganz Seite über Borsigs Leben schreiben muss und der Regierungsbeamte, der für Minister August von der Heydt die Rede zur Feier der 500. Lokomotive entwerfen soll, auf Vermittlung des Hausarchitekten Johann Heinrich Strack den Fabrikherrn und der beginnt aus seinem Leben zu erzählen.
Von der Schul- und Lehrzeit in Breslau, der Reparatur einer Dampfmaschine in Schlesien, von den Plänen Baumeister zu werden. Mit 19 Jahren wird Borsig nach Berlin geschickt an das Königliche Gewerbeinstitut von Christian Peter Beuth, wo er nach gut anderthalb Jahren an zu viel theoretischem Stoff scheitert. Er will praktisch arbeiten. Immer noch begeistert von Feuer und Eisen heuert er 1825 bei Franz Anton Egells an. Der nimmt ihn trotz schlechter Zeugnisse, er bewährt sich und wird schließlich Faktor (Werksleiter) in dessen Eisengießerei und Maschinenbauanstalt vor dem Oranienburger Tor im sogenannten Feuerland. Das ist eine gut bezahlte Stellung. 1836 hat er 10.000 Taler gespart und kauft direkt nebenan ein Grundstück um seine eigene Fabrik zu eröffnen. Dafür braucht er dann aber noch Kredit. Friedrich Hermes, auch aus Breslau, den er bei Egells wieder getroffen hat, wird sein erster Mitarbeiter. Der erste großen Auftrag, den Borsig ergattert, ist die Herstellung von 116.200 eisernen Schrauben für die Potsdamer Bahn. 1841 baut er die erste Lokomotive. Zehn Jahre später hat er schon 100 Lokomotiven gebaut. Bis zur 500. dauert es dann keine 10 Jahre mehr. Ich will Borsigs Aufstieg hier nicht noch einmal erzählen, das haben andere bereits knapp, ausführlich oder besonders schön illustriert getan.
Der Roman ist übersichtlich gegliedert nach Jahreszahlen. Zitate aus zeitgenössischen Berichten, wie die Jungfernfahrt auf der Strecke Berlin – Potsdam oder die Wettfahrt mit einer englischen Lokomotive auf der Anhalter Bahn nehmen breiten Raum ein. Meisterhaft hineinverwoben sind verschiedene Charaktere, die unterschiedliche politische Strömungen repräsentieren oder persönliche wie ökonomische Intrigen spinnen. Ein Bosetzky eben. Seine Liebe zu Schienenfahrzeugen, seine Kenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse, seine Anteilnahme für die kleinen Leute und demokratische Bestrebungen kommen in leicht ironischen Gedankensplittern zum Ausdruck.
Die Firmenerweiterung nach Moabit spielt erst ab Seite 252 eine Rolle. Das Eisenwerk, die Villa, das Palmenhaus, die Maschinenbauanstalt an der Kirchstraße. Borsig ist Unternehmerpatriarch. Die sozialen Errungenschaften wie Krankenkasse und gute Bezahlung der Maschinenbauer sind notwendig für den Erfolg der Firma. Er stellt sich nach der 1848er Revolution an die Spitze der Bürgerwehr – aus Selbsterhaltung. Er ist Auftraggeber und Mäzen von Künstlern. Als ein von Erfindergeist und Erfolg Besessener stirbt August Borsig auf der Höhe seines Ruhmes kurz nach dem Fest der 500. Lokomotive an einem Schlaganfall. Eigentlich schade, dass es in Moabit neben dem Relief an einem Giebel in Alt-Moabit und dem Essener Park, dem Rest des Borsigschen Gartens, keine Erinnerung an die Industriebetriebe entlang der Spree erhalten sind. Dort wo sich einst der Borsigsteg über die Spree spannte, hätte wenigstens die kleine neu gestaltete Grünfläche „Borsig Platz“ heißen können.
Horst Bosetzky: Der König vom Feuerland, Jaron Verlag, 368 Seiten, 19,95 Euro.
Eine äußerst unterhaltsame Lesung fand in Moabit bereits bei der 4. Langen Nacht des Buches am 18. November in der Kurt-Tucholsky-Bibliothek in der Rostocker Straße statt und kommenden Samstag, 26. November wird Bosetzky um 20 Uhr mal wieder in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung zu Gast sein, Veranstaltung in Kooperation mit dem Heimatverein und Geschichtswerkstatt Tiergarten.
Eine Buchpräsentation zum 15jährigen Bestehens des Jaron Verlags „Die schönsten Seiten Berlins“ kann man in der Philipp-Schaeffer-Bibliothek vom 28.11.11 bis 20.1.12 besuchen.
Lesen Sie auch die Artikel bei Luise-Berlin: Maria Curter, „Sehen Sie, sie geht!“ und Hans Aschenbrenner, „Wo einst die Borsigmühle stand„