13. August 1961 – Berliner Mauer
Bereits seit zwei Monaten stehen die Mauerbilder auf Berliner Plätzen und Straßen und erinnern großformatig alle, die vorrübereilen, an den 50. Jahrestag des Mauerbaus. Unzählige Tagungen, Veranstaltungen, Filme, Diskussionen, Stadtführungen und Ausstellungen bringen dies geschichtsträchtige Datum auf ganz unterschiedliche Weise ins Gedächtnis zurück. In diesen Tagen rund um den 13. August erreicht die Veranstaltungsreihe ihren Höhepunkt.
Auch am ehemaligen Grenzübergang Invalidenstraße stehen vier Tafeln mit historischen Fotos. Auf allen ist die frühere Kaiser-Wilhelm-Akadamie, jetzt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, gut zu erkennen. Manche Passanten lässt das stutzen, sie schauen sich um und lesen den Text über die Charité als Grenzobjekt.
Nur 11 Tage nach dem Mauerbau wurde Günter Litfin beim Versuch durch den Humboldthafen zu schwimmen erschossen. Er war der erste, der an der Mauer durch Grenztruppen getötet wurde. Ida Siekmann, das erste Todesopfer, verunglückte 2 Tage davor beim Sprung aus ihrem Fenster in der Bernauer Straße. Der Gedenkstein für Günter Litfin steht auf der Moabiter Seite der Brücke. Auf der anderen Straßenseite gegenüber, zur Zeit wegen der Baustelleneinrichtung schlecht zu lesen, erinnert eine transparente Stele an einen weiteren spektakulären Fluchtversuch an dieser Stelle.
Am 12. Mai 1963 versuchten 12 junge Männer und Frauen mit einem Kleinbus die Grenzanlagen zu durchbrechen. Sie blieben in dem engen Durchlass stecken und wurden, teilweise von Schüssen verletzt, verhaftet. Es gab keine Toten. Die Grenzanlage des Übergangs wurde danach verstärkt. So steht es auf der Tafel. In Welt online erzählt einer der Beteiligten die Geschichte seiner gescheiterten Flucht zum ersten Mal, nach 44 Jahren.
Es ist Manfred Massenthe. Seine Eltern hatten schon vor dem Mauerbau mit ihm gesprochen, ob sie nicht in den Westen gehen sollten. Damals war er 17, wollte seine Lehre zu Ende machen. Er war verliebt und wollte seine Freundin nicht verlassen. So blieb die Familie. Doch nach dem Mauerbau nahm die Unzufriedenheit auch im Freundeskreis immer mehr zu. Jetzt war er 19 Jahre alt. Für den Fluchtversuch panzerten sie einen Kleinbus. Aus 12 mm dicken Blechen schweißten sie Panzerbleche zusammen und bauten damit eine Kabine im hinteren Teil des Busses unter der sich fünf Personen ducken konnten. Für die drei Personen im Führerhaus war es schwieriger sich zu schützen. Während der rasenden Fahrt durch die Grenzabsperrungen drückte Massenthe mit seinen Beinen die Panzerbleche vor die Scheibe. Doch am Grenzübergang waren viel mehr Grenzschützer eingesetzt, als sie erwartet hatten. Die drei vorne wurden von 138 Schüssen getroffen und schwer verletzt. Der Bus blieb stecken, alle wurden verhaftet. Massenthe wurde als Rädelsführer zu 9 Jahren Haft verurteilt, von der BRD aber nach zwei Jahren freigekauft. Doch blieb er trotzdem, jetzt wegen der Eltern, in der DDR.
Einen Radiobeitrag zur Flucht im gepanzerten Bus kann man auf der Webseite Chronik der Mauer anhören, dort findet sich eine ausführliche Dokumentation mit anschaulichem Material über die Geschichte der Berliner Mauer. Oder suchen Sie Informationen in der Datenbank der Mauertoten bei berlin:street. Hier gibt es zum Beispiel einen Bericht von Regine Hildebrandt über das Grenzleben an der Bernauer Straße oder einen Bericht eines Kreuzberger Jugendlichen über die Rettung eines ins Wasser gefallenen Kindes an der Oberbaumbrücke, die von Grenzern fast verhindert worden wäre. An dieser Stelle in Kreuzberg sind mindestens vier Kinder ertrunken (Cengaver Katranci, Giuseppe Savoca, Siegfried Kroboth und Cetin Mert).
Hier ist das Programm der zentralen Gedenkveranstaltung an der Gedenkstätte Berliner Mauer zu finden. Die Bernauer Straße ist von 6 bis 22 Uhr für den Verkehr gesperrt.
Nachtrag:
Noch eine Mauergeschichte aus Kreuzberg.
An der ganzen Mauerdiskussion stört mich, dass dieses Thema oft dafür benutzt wird, selbst extreme Auswüchse des heutigen Gesellschaftsmodells als „alternativlos“ zu rechtfertigen. Natürlich bin ich froh, dass die Mauer nicht mehr funktioniert, man hätte sogar größere Abschnitte als Mahnmal stehen lassen sollen. Aber ist die Einheit gelungen? Wollten die Entscheidungsträger überhaupt einen Zusammenschluss auf Augenhöhe? Siehe beispielsweise „unsere“ Nationalhymne …
K. S., da hast Du recht, das geht mir auch oft so!
Allerdings kommt meiner Meinung nach beim Thema Schießbefehl an der Mauer und Ertrinkenlassen der Kinder eher eine „gesamtdeutsch“ weitverbreitete Mentalität von Befehl und Gehorsam als Ursache in Frage. Das hat doch mit Sozialismus oder Kapitalismus nichts mehr zu tun, genauso wie „unsere“ Nationalhymne damit nichts zu tun hat. Das ist schon fatal, dass nun nur die 3. Strophe die Hymne ist, aber dennoch in vielen Köpfen der Text der 1. Strophe hängt.
Ein lesenswerter historischer Artikel zur Diskussion um die deutsche Nationalhymne findet sich im Spiegel:
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,422419,00.html
Ausführlicher in Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Nationalhymne
http://de.wikipedia.org/wiki/Auferstanden_aus_Ruinen
Mich stört an der ganzen gesamtdeutschen Diskussion, daß sie immer erst dann einsetzt, „als die Russen hier waren“, als ob die vom Himmel gefallen wären. Das alles entscheidende Datum jährt sich doch in wenigen Wochen: Der 1. September 1939, bzw. da wäre ja noch der 30. Januar 1933 zu nennen. Ohne diese Daten hätte es in Folge keinen eisernen Vorhang geben können, wäre ein Walter Ulbricht wahrscheinlich zeitlebens ein mehr oder weniger unbedeutender KPD-Funktionär geblieben.
Und da schließt sich die Frage an, warum ein eigentlich „für die Arbeiterklasse“ gemachter Staat sich so schnell zum Desaster entwickeln kann, daß „die Arbeiterklasse“ mit den Füßen abstimmt. Stellvertretend für so vieles möchte ich den Umstand nennen, der sowohl bei Wolfgang Leonhardt als auch bei Ulbricht selbst (in einem Brief an Georgi Dimitroff, wo er sich seiner Aktion rühmt) seinen Niederschlag findet: Das Verbot der gerade frisch nach der Befreiung vom Faschismus gebildeten antifaschistischen Ausschüsse, in denen viele meist in der Illegalität überlebenden Kommunisten saßen, durch den „Moskauüberwinterer“ Ulbricht. Da kann ich Susanne nur zustimmen: Es muß wohl etwas mit Befehl und Gehorsam zu tun haben, gerade in der „Partei neuen Typs“. Demokratie funktioniert nur, wenn man selbst die Sache in die Hand nimmt, anstatt seine Stimme abzugeben.
@R.S. Wer in aller Welt? Welche relevante Gruppe benutzt in jüngster Zeit dieses Thema dafür um „selbst extreme Auswüchse des heutigen Gesellschaftsmodells als “alternativlos” zu rechtfertigen“? M.E. niemand. Das ist wohl nur ein Popanz. Ich höre jüngst nur von Menschen, die den Mauerbau als „alternativlos“ rechtfertigen. Unsere politische Diskussion ist voll mit allen möglichen Debatten, insbesondere auch um die Ergebnisse der Vereinigung. Aber es gibt auch Tage, die der Trauer gehören und der Freude über die Überwindung der Teilung. Die kürzlichen Feierlichkeiten empfand ich als sehr angemessen. Aber ich merke immer wieder, dass viele, die nicht in Berlin aufgewachsen sind und keine längere Familienüberlieferung zu der Thematik besitzen, wenig damit anfangen können. Schade.
@S. Torka: Ausgerechnet den Mauerbau und den Maueralltag sollen ein Beleg für die Befehls- und Obrigkeitshörigkeit der Deutschen sein? Das Gegenteil ist doch richtig. Weil die Menschen einfachen Befehlen nicht – wie früher einmal – gehorchen wollten, war die Mauer notwendig. Und auch im Maueralltag zeigt sich, dass es zwar Befehlshörigkeit bei vielen gab, bei anderen aber wiederum auch nicht, wenn man die zahlreichen Desertationen von Grenzsoldaten bedenkt (allein an der Berliner Spreegrenze mehrere Dutzend) , die ganz offensichtlich hohe Zahl von eben nicht abgegebenen Todesschüssen. Auch von Westseite hielt man sich kaum an Anweisungen der Westalliierten, wenn es um die Mauer ging. Viele Menschen wurden auch trotz der Todesgefahr aus dem Grenzstreifen von Westbürgern gerettet, selbst von Minen verletzte Grenzsoldaten wurden geborgen. Weil die DDR so wenig an die Gehorsamkeit ihrer Soldaten glaubte standen bei Baumaßnahmen immer drei Kolonnen hintereinander gestaffelt, die sich nicht kannten und sich gegenseitig überwachen mussten. Wer in Berlin aufgewachsen ist, konnte das oft beobachten. Die DDR musste die weltgeschichtlich höchste Geheimdienstspitzeldichte aufbauen um den Staat zu stabilisieren (in den 70er zumindest temporär erfolgreich kombiniet mit Honeckers Konsumsozialismus), weil es eben mit der einfachen Gehorsamkeit (die vielleicht vor 1918 oder 1945 ausgereicht hat) nicht zu weit her war. Die Rede von der Gehorsamkeit der Deutschen mag sich gut anhören (und man meint sich ja damit nie selbst, sondern immer nur die anderen). Gerade die Mauer und erst Recht ihre Überwindung zeigt aber eher, dass dieses Stereotyp doch eher früheren Zeiten angehört.
@ prolet: Der Mauerbau wird nicht in die Geschichte 1933 /39/345 eingebettet? Das entspricht wohl kaum dem Diskussionsstand, zumindest der letzten drei Jahrzehnte, weder auf wissenschaftlichen, noch politischen noch journalistischen Gebiet. Man könnte doch aberhunderte Bücher, Reden und große Zeitschriftenartikel aufzählen. In den 80er Jahren war es ja geradezu Mode, die Teilung als gerechte Strafe für die Verbrechen der Nazizeit zu interpretieren (deren Abbüßung man dann aber netterweise den Ostdeutschen überließ.) Mir fällt es schwer, hier noch Defizite der Aufarbeitung zu erkennen. Die Daten hängen zusammen, wenngleich es keine Zwangläufigkeiten gibt.
Also in den Gedenkreden werden Mauerbau und Mauerfall immer wieder dazu benutzt, die BRD zu rühmen. Einverstanden, Merkel ist mir immer noch lieber als Putin und Berlusconi. Welch tollen Staat man bei einer Vereinigung auf Augenhöhe hätte machen können, wurde von der offiziellen Politik jedoch nie ernsthaft thematisiert. Ebenso wurde nur ansatzweise aufgearbeitet, wie reibungslos Jahrzehnte vorher manches NS-Personal in den Westsektoren „übernommen“ wurde. Wer aber wirklich mit bestimmten Fragestellungen auf längere Zeiträume als die nächste Wahl oder die nächste Finanzkrise abzielt, wird in die Ecke der Spinner oder der Stalinisten gestellt.
Jetzt haben wir also einen Nationalstaat, der zwar immer effektiver den Müll trennt, dafür aber Atomkraftwerke und Verbrennungsmotoren, Waffen und sogar ganze Waffenfabriken exportiert, mit Billigramsch und Kahlschlag traditionelle Wirtschaftsstrukturen „armer“ Länder zerstört, der Spekulanten reich und Kinder arm macht. Nee, wirklich, mir geht es jetzt besser als in der DDR, aber derzeitige Mahn- oder Jubelfeiern laufen doch immer wieder darauf hinaus, den heutigen Status Quo zu rechtfertigen, insofern ist die „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ genannte Verschaukelungsplanung auf makabere Weise durchaus gelungen. Dafür bin ich nicht zu „ungenehmigten“ Demos gegangen, als das unter Honecker noch echt gefährlich war!
P. S. an Carsten
Es ist völlig verständlich, dass unterschiedliche Biografien unterschiedliche Sichtweisen bedingen. Dass bestimmte Tage „der Trauer gehören und der Freude über die Überwindung der Teilung“, dagegen habe ich nichts prinziell einzuwenden, Ich spüre aber immer die Absicht, „Wir sind das Volk“ (Demokratie) und „Wir sind ein Volk“ (damals von der Mehrheit meiner Mit-Ossis vor allem auf die Währungsunion abzielend) zu vermischen. Geschichtsschreibung wird von den Siegern gemacht, Gedanken solcher Leute wie Friedrich Schorlemmer finden sich kaum noch in der Politik wieder. Und die Mauern rund um die EU werden auch nur selten erwähnt:
http://news.orf.at/stories/2043486/2043507
(Foto vom Zaun gegen die bösen Afrikaner)
Die deutsche Geschichte hier zu diskutieren wird wohl sehr umfangreich von den Beiträgen.
Ich beschränke mich mal auf diesen und andere Gedenk- bzw. Feiertage und den historischen Bezug. Mir sind Erinnerungen, wo Widerstand gegen bestehende Systeme geleistet wurde, wichtiger als formale Ereignisse, wie z.B. der 3.Oktober 1990. Somit wäre der 9.November 1989 als Gedenk- und Feiertag m.E. viel geeigneter als der Tag des „Beitritts“ der DDR. Und beim Tag des Mauerfalls wird natürlich an den Tag des Mauerbaus erinnert, nur können wir alle froh sein, dass die Bürger der DDR dies friedlich eingeleitet hatten.
Da dieser Tag u.a. mit der „Reichsprogromnacht“ zusammenfällt, können wir es als positive Entwicklung sehen, die wir Deutschen vollzogen haben. Wir erinnern uns unserer Greueltaten, aber wir haben uns verändert. Wir erkennen auch endlich die Gefahren der Atomenergie und steigen aus.
Darum wäre auch eine andere Nationalhymne wesentlich besser und aktueller gewesen. Die „Kinderhymne“ von Brecht.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderhymne
Und hier noch historiische Daten zum 9.November:
http://www.wasistwas.de/aktuelles/artikel/link//1c18becb84/article/der-9-november-schicksalstag-der-deutschen/-7c05c71e06.html
Konkretes Erinnern …
Die Gelder für die Ausgestaltung des Mahnortes Quitzowstraße (Deportationsrampe) stehen erst einmal nicht mehr zur Verfügung, so ein Zwischenstandsbericht des Bezirksamtes zu einem SPD-Antrag vom März 2011. Der diesjährige Wahlkampf in Berlin soll einer der tewuersten sein …
Carsten hat natürlich einerseits recht, in der Wissenschaft sind die Zusammenhänge heutzutage wirklich meist klar dargestellt und es werden immer wieder alte Legenden (z.B. „Blitzkrieg“) entlarvt. Aber im Alltag sieht es andererseits leider nicht so aus: In einem Leserbrief an die Berliner Zeitung steht heute unter der Überschrift „Merkwürdiges Gedenken“ folgendes: „Was ist das nur für ein eigenartiges Land der Deutschen, im dem der jährliche Holocaust-Gedenktag am 27. Januar im Wesentlichen eine Erinnerungssache für die Juden und ein paar Offizielle bleibt, in dem (… [Aufzählung] …) fast unbemerkt vorbeirauschen und der 8. Mai keinen offiziellen Anlass zum Innehalten, Glockenläuten und Besinnen bietet, in dem jedoch anlässlich einer unmittelbaren Kriegsfolge, nämlich der deutschen Teilung, sogar U- und S-Bahnen stehen bleiben.“ Und genau dies meinte ich mit meinen Worten.
Japaner bewundern uns für unsere Geschichtsaufarbeitung, aber wenn ich ihnen dann berichte, daß Eigentumswohnungsbesitzer sich gegen Stolpersteine vor ihrem Haus verwahrten (die schmälerten den Wiederverkaufswert), dann fragen die sich natürlich schon, wieviel von der Aufarbeitung eigentlich verinnerlicht worden ist. Und ich frage mich das auch.
Und noch eines: Es ist wichtig und richtig, daß z.B. Jörg Friedrich sein Buch „Der Brand“ über den Bombenkrieg in Deutschland und die deutschen Opfer geschrieben hat, ich habe andererseits aber auch wieder Literatur entdeckt, z.B. über die Bombardierung Dresdens (bitte nicht mißverstehen, ich will dieses Inferno keineswegs schönreden oder aus dem Gang der Geschichte heraus gar legitimieren!), in dem der Schwerpunkt allein auf die Opferrolle gelegt worden ist, in dem noch nicht einmal in der Einleitung ein geschichtlicher Zusammenhang auch nur mit einem „Anstandssatz“ genannt worden ist. Darin sehe ich die größte Gefahr, indem mit größer werdendem Abstand zu geschichtlichen Ereignissen diese relativiert werden im Sinne von „wir haben uns lange genug geschämt, jetzt müssen wir mal sagen, daß wir auch Opfer sind“.