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Modedesignerin bei BürSte

Interview mit Jennifer le Claire

Jennifer le Claire ist Modedesignerin und Schneiderin. Seit einiger Zeit hilft sie BürSte für einige Stunden in der Woche bei der Arbeit im neuen BürSten-Haus, in der Fahrradwerkstatt oder auf dem Stephanplatz. Jennifer hat ein eigenes Modelabel Anthracite mit Shop im Online Portal DaWanda. Unter dem Motto „AntiNaked Strategies“ zeigt sie atemberaubende Kleider, Korsagen und hautdurchlässige Kleidungsteile, die von viel Kreativität zeugen im Grenzbereich von gezeigter und verborgener Körperlichkeit.

Gleichzeitig modelt Jennifer professionell – und natürlich auch für ihre eigene Kollektion. Ihre faszinierende Gestalt und ihre vielfältigen Tätowierungen, werden dabei zum Teil der Kreation und nicht selten wandelt sich das Motto in „Naked Strategies“ – weil angezogen eben doch nackter sein kann. Das Gespräch führte Stephan la Barré (BürSte).

Jennifer, wie hast Du Dein Talent als Schneiderin und Modedesignerin entdeckt und mit welchen ersten Arbeiten hast Du angefangen?

Ich erinnere mich, als sehr kleines Kind meinen Stofftieren Kleider genäht zu haben, und danach bin ich den typischen Werdegang durchlaufen: Zuerst als Kind und Jugendliche meine gekauften Klamotten zu ändern, um später immer höhere Ansprüche zu entwickeln und meine Ideen umsetzen zu wollen. Da irgendwann meine    Ideen so umfangreich wurden, dass meine fehlenden Fähigkeiten mich daran gehindert haben, sie umzusetzen, habe ich mich schließlich dazu entschieden, das Schneiderhandwerk zu erlernen. So stand der Verwirklichung nichts mehr im Wege.

Gab es auf Deinem Weg besondere Menschen oder Schlüsselerlebnisse, die Dich in dem Glauben bestärkt haben, gerade diesen Weg zu gehen?

Ja, natürlich. Erstens die Menschen, die mich einfach unterstützt haben, für mich da waren, als alles schief ging, und mir Mut zugesprochen haben, als ich dachte, ich schaff es nie. Ein Schlüsselerlebnis habe ich jedes Mal, wenn ich ein ganz neues Kleidungsstück hergestellt habe, das ist immer wieder auf’s neue euphorisierend. Vor allem aber ist es wunderbar, wenn ich feedback von zufriedenen Kunden bekomme, manche schicken mir auch Bilder von sich in ihrer neuen Jacke, ihrem Rock, ihrer Bluse, die kurz davor noch in Einzelteilen auf meinem Arbeitstisch lag …, die Leute damit ein bisschen glücklich zu machen, ist toll!

Wie war Deine Ausbildung und was würdest Du anderen Menschen raten, die Lust haben, eine ähnliche Karriere zu machen?

Die Ausbildung war sehr schwierig …, ich habe kein Abitur, was bedeutete, dass ich mich drei Jahre lang erfolglos an allen Schulen beworden habe. Nur Ablehnungen. Letztendlich nahm mich eine private Schule auf, welche mit sehr viel Druck arbeitet. Wir hatten Arbeitszeiten von ca. 100 Stunden die Woche, zusätzlich musste ich noch in Barjobs arbeiten, um mich zu finanzieren. Ich habe die drei Jahre lang nie mehr als vier Stunden pro Nacht geschlafen und habe wie am Fließband gelernt, gearbeitet, gezeichnet und genäht. Meine Mitschüler und ich waren körperlich und seelisch am Ende, aber: Es hat sich gelohnt.

Ich habe wirklich hart gearbeitet und auf sehr viel verzichtet, ich hatte keine Zeit für Freunde, Partys, Freizeit, ich konnte nicht einmal schlafen oder gesund leben, alles war unwichtig, außer der Ausbildung. Aber ich habe mit 22 Jahren mein Diplom gemacht, und das kann mir niemand mehr nehmen. Ich habe meine Fähigkeiten, und ich habe gelernt zu kämpfen und ein Ziel zu verfolgen, auch wenn es ausweglos erscheint. Im Nachhinein fühle ich mich, als hätte ich nur gewonnen.

Es klingt abgedroschen, aber mein Rat an alle ist folgender: Nicht aufgeben. Ich hätte es auch hinschmeißen können, um mich lieber zu besaufen und Videospiele zu spielen. Und dann? Wirklich, arbeitet einfach noch ein bisschen härter, strengt euch noch ein bisschen mehr an, lernt so viel wie ihr könnt, immer und überall. Es zahlt sich ALLES aus. ich mache heute Dinge, die ich mir nie hätte erträumen können – ich nähe wunderschöne Kleider, ich fotografiere professionell, ich kann meine Zeit frei einteilen und fliege in andere Städte und Länder, verbringe meine Zeit mit interessanten, intelligenten und kreativen Menschen, die mich bereichern. Und das alles nur, weil ich stur und eigensinnig, aber auch fleißig, meinen Weg gegangen bin.

Ich hatte nie Geld, mir wurde nie Zucker in den Arsch geblasen, man kann sich alles erarbeiten.

Woher kam Dein Mut zur Entwicklung vom Schneidern zu ganz eigenständigen Kreationen und dann zum Modedesign mit eigener Kollektion?

Haha, das wüsste ich selbst gerne. Eigentlich brauche ich dazu keinen Mut …, ich glaube, es kommt drauf an. Ich wäre z. B. für einen Bürojob gänzlich ungeeignet, oder das Arbeiten mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen. Andere sind wie dafür geschaffen und haben daran viel Spaß. Ich finde, man braucht für Arbeit, in der man z. B. Verantwortung für andere Menschen oder Tiere hat, viel mehr Mut.

Auch sind Menschen mutig, die manchmal auf der Straße noch Angst haben müssen; Menschen mit nichtweißer Hautfarbe, Schwule, Lesben, Transgender. Von der Welt als „anders“ eingestuft zu werden, ohne das man es will – dafür braucht man Mut. Zum Klamottennähen nicht so viel.

Kannst Du den Lesern etwas zu Deinem Verhältnis von Modedesign und Modeln sagen?

Ich habe früher aus Spaß gemodelt, an eine Karriere war nie zu denken, da ich zu früh schon tätowiert war und seltsame Frisuren trug. Heute model‘ ich fast nur noch für meine eigenen Kollektionen, aber das tue ich, genau wie das Fotografieren, nur weil es einfacher ist. Es gefällt mir, alles selbst in der Hand zu haben, ich kann so einfach besser arbeiten. Ich freue mich, für bestimmte Projekte mit anderen zusammenzuarbeiten, aber generell bin ich so unabhängiger und kann zu jeder Zeit genau das umsetzen, was mir vorschwebt. Mein Modeln ist also eher pragmatischer Natur.

Du hast mir erzählt, dass Du nicht hungern musst, um so schlank zu sein. Wie gehst Du mit dem Thema Hungermodelle um?

Ehrlich gesagt, recht emotionslos. Selbstverständlich halte ich es für schlecht, wenn Leute sich quälen um in einem Job konkurrenzfähig zu bleiben. Jedoch ändern sich Moden und Schönheitsideale immer. Mal müssen alle dünn sein, dann wieder dick, Menschen binden sich die Brüste ab oder setzen Implantate ein, operieren sich die Nasen oder lassen sich von Ärzten die Beine brechen, um sie zu verlängern. Füße wurden abgebunden, bis das Laufen unmöglich war, Babys wurden geboren mit Abdrücken von Korsetts, da man auch in der Schwangerschaft nicht auf die Wespentaille verzichten wollte. Männer lassen sich operativ den Penis verlängern oder transplantieren die kahle Stelle am Kopf weg. Mal ist ein „echter Mann“ klug und kultiviert, mal ist er derbe und bemuskelt. Man rasiert sich am ganzen Körper oder schneidet nie das Haar. Man tätowiert sich oder bleicht sich das Haar. Menschen tun schon immer die seltsamsten Dinge, um sich abzuheben und als schön zu gelten. Manchmal schaden sie sich damit auch.

Es liegt an einem selbst, diesbezüglich bewusste Entscheidungen zu treffen: Lasse ich mich darauf ein? Inwiefern tue ich es? Ab wann überschreite ich die Grenze zwischen gesund und ungesund? Bin ich noch fit und schlank, oder ist mir das Dünnsein schon zu wichtig? Letztendlich ist jeder Mensch auch für sich selbst verantwortlich, man kann die Schuld nicht immer woanders suchen. Die richtigen Antworten ändern sich auch, je nachdem, wer die Frage stellt. Egoshooter machen alleine nicht gewalttätig, und dünne Models alleine machen uns nicht magersüchtig. Das Thema ist aber sehr kompliziert, und ich fürchte, damit den Rahmen zu sprengen.

Über Berlin spricht man nicht selten als eine aufstrebende Modestadt, weniger bieder als Düsseldorf, beeinflusst von zahlreichen Szenekulturen. Deine Mode ist in Teilen gewagt, Deine Motive provozierend. Könntest Du Deine Mode auch in Hamburg oder Köln machen?

Aufgrund dessen, dass ich ausschließlich über’s Internet verkaufe und werbe, ist es praktischerweise egal, von wo aus ich arbeite. Interessanterweise verkaufe ich viel in die USA (die ja allgemein mit Freizügigkeit weniger gut umgehen kann als z. B. Deutschland) und nach Nordeuropa, innerhalb Deutschlands häufig nach Hamburg, aber fast nie nach Berlin. Komisch, oder?

In Berlin ist die DIY (do it yourself) Mentalität sehr verbreitet, hinzu kommt, dass es viele Studenten, Künstler und generell Leute gibt, ohne Geld. Hier wird häufiger als anderswo improvisiert oder selbstgemacht, als Geld auszugeben für ‚Luxusartikel‘ wie schöne Kleidung. Aber all diese Dinge ändern sich schlagartig, je nach Zielgruppe. Pauschal kann man gar nicht beantworten, was sich wo am besten verkauft.

Was sind für Dich wichtige Erfolge? Und wie motivierst Du Dich in Deinem Beruf?

Wichtige Erfolge sind ganz banale Dinge, z. B, wenn ich es schaffe, regelmäßig zu verkaufen. Das Schwierigste an der Selbstständigkeit ist, dass man einen Monat lang gar nicht hinterher kommt vor Aufträgen, und im nächsten Monat ist gar nichts los. Glückliche Kunden sind wichtige Erfolge. Ab und zu ergeben sich Kollaborationen mit unglaublichen Künstlern, mit Leuten, deren Arbeit ich sehr achte, die eine Inspiration sind. Manchmal hat man auch Glück und erschafft Kleidungsstücke oder Fotos, die so atemberaubend sind, dass man heulen möchte, aber die wichtigsten Erfolge sind glückliche Kunden. Hört sich an wie ‘ne peinliche Floskel, oder? Ist aber so.

Gibt es eine Sache, die Dir besonders wichtig für die Zukunft ist?

Ab dem Herbst möchte ich Praktikanten/innen einstellen, und langfristig auch Angestellte.

Danke für das Interview.

Zuerst erschienen in der LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Nr. 19, Juli 2011

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